Mit elf Jahren wurde Ben Salomo von seinem bis dahin besten Freund verprügelt – weil er Jude ist. „Es war nicht irgendein Nazi, es war mein bester Freund. Jemand, mit dem ich mich jeden Tag traf. Wir waren Nachbarn, haben Fußball gespielt, sind Fahrrad gefahren und haben Klingelstreiche gemacht. Irgendwann erfuhr mein bester Freund, dass ich Jude bin und aus Israel komme. Direkt am nächsten Tag lauerte er mir mit zwei älteren Jungs auf. Statt mich zu schützen, packte er mich und fing an, auf mich einzuprügeln.“
Tägliche Morddrohungen
Prägende und traumatisierende Erlebnisse im Zusammenhang mit Antisemitismus machte Ben Salomo fortan immer wieder – bis heute.
Seine Geschichte erzählte er vor 85 Schülerinnen und Schülern des Jack-Steinberger-Gymnasiums . In Kooperation mit der Friedrich-Naumann-Stiftung ist der Rapper Ben Salomo deutschlandweit unterwegs, um junge Menschen für ein wichtiges und erneut präsentes Thema zu sensibilisieren: Antisemitismus . „Ich lebe gefährlich, ich bekomme täglich Morddrohungen, weil ich solche Vorträge halte.“
Antisemitismus in der Rap-Szene
Ben Salomo verarbeitete seine aufgestauten Emotionen durch das Schreiben von Gedichten. Irgendwann begann er zu rappen. 20 Jahre war er in der Rap-Szene aktiv.
Er etablierte auf Youtube die Show „Rap am Mittwoch“, die zahlreichen Rappern eine Bühne für ihre Auftritte bot, ihnen zu größerer Bekanntheit verhalf und einigen sogar als Sprungbrett für eine erfolgreiche Rap-Karriere diente.
2018 zog er die Reißleine, er gab seine erfolgreiche Sendung auf und stieg aus der Szene aus. „ Judenhass hatte sich in der Rap-Szene ausgebreitet. Ich wurde unfreiwillig zum Experten für Antisemitismus in der Deutsch-Raps-Szene.“
Tausende antisemitische Kommentare habe er unter seinen Videos lesen müssen – bis heute sei das nicht abgerissen. Es sind Kommentare von ehemaligen Fans und von erfolgreichen Kollegen.
Texte, die offen zu Gewalt aufrufen
Er nannte konkrete Beispiele und zeigte Fotos von Rappern, Managern, Kommentare und Videos, die mit Antisemitismus in Verbindung stehen beziehungsweise antisemitische Bildsprache nutzen. Wie das schwarz-weiß gemusterte Tuch, das sogenannte Palästinenser-Tuch, das politisch als Symbol des Kampfes und des Terrorismus gegen Israel gilt und in Deutschland auch von Neonazis getragen wird.
Er schaute sich mit den Jugendlichen Texte an, die offen zu Gewalt, Rassismus, Frauenfeindlichkeit und Antisemitismus aufrufen. „Das ist Terrorpropaganda“, fasst er zusammen.
Die Betroffenheit war groß. Die Gymnasiasten wollten wissen, warum Youtube diese Videos nicht sperre.
Videos auf Youtube melden
Seine Antwort: „Der Youtube-Algorithmus erkennt es aufgrund der vielen Likes als beliebtes Video. Die Zuschauer wissen zu wenig über Antisemitismus sowie Nazi- und islamistische Symbolik aus anderen Ländern und können die Inhalte und Bilder somit nicht richtig einordnen. Ihr aber sollt wissen, was ihr auf einer Party hört und in eurer Playlist habt.“
Doch auf Youtube sei es durchaus möglich, ein Video mit „gefällt mir nicht“ zu markieren und mit dem Grund zu melden: „fördert Gewalt.“
Wo fängt Antisemitismus an?
Im Gespräch mit unserer Redaktion erklärt Ben Salomo , der mit bürgerlichem Namen Jonathan heißt: „Oftmals fehlt es jungen Menschen an Bewusstsein dafür, wo Antisemitismus eigentlich beginnt. Viele sind über Rassismus und Diskriminierung informiert, nicht aber über Judenfeindlichkeit.“
Eindringlich, kraftvoll, leidenschaftlich führte er die Jugendlichen durch seinen Vortrag. „Wer von euch hat schon einmal eine Hakenkreuzkritzelei gesehen? Leute, das ist schon Antisemitismus , denn dieses Symbol ist schon der Ausdruck des Judenhasses . Es ist ein Symbol der Nazis. Wer hat schon jemand auf einer Party mit dem Hitlergruß gesehen? Ihr seid Zeugen von Antisemitismus gewesen und habt es nicht gemerkt.“
Hitlergruß auf Partys
Einige Mädchen , die sich auf diese Fragen gemeldet hatten, räumten im Gespräch mit unserer Redaktion im Nachgang zum Vortrag ein, dass auf Partys und in Chats das Hakenkreuz und auch der Hitlergruß vorkommen.
„Wenn man da was sagt, hassen die einen“, räumte eine Schülerin ein. Allerdings sei die Angelegenheit mit dem Hakenkreuz im Klassenchat an die Lehrer weitergegeben und auch verfolgt worden.
Weltweit leben 15 Millionen Juden
Anhand einiger Zahlen zeigte Ben Salomo auf, wie bedrohlich wachsender Antisemitismus für Juden und Jüdinnen ist: „Weltweit gibt es 15 Millionen Juden, 200.000 Juden leben in Deutschland. Laut einer Studie glauben rund 24 Prozent der Deutschen an antisemitische Lügen, das sind rund 20 Millionen Menschen. Allein in Deutschland leben mehr Leute mit antisemitischem Blödsinn im Kopf, als es weltweit Juden gibt. Haben wir eine Chance ohne euch, wenn diese Lügen verbreitet werden? Wir brauchen euren Widerspruch, im Internet, im Sportverein, im Freundeskreis.“
Wie Antisemitismus entsteht
Wie breitet sich Antisemitismus aus?: „ Antisemitismus entsteht aus Lügen und Gerüchten über Juden, was die Wahrnehmung von Menschen verändert. Seit Jahrtausenden werden Gerüchte über Juden verbreitet und es gibt immer wieder Menschen, die sie glauben, die sie weitertragen.“
Anhand verschiedener Fragen testet er das mit den Jugendlichen aus. Alle sollten aufstehen, die eines der folgenden Gerüchte schon einmal gehört haben. „Alle Juden sind reich“, „Juden kontrollieren die Medien“, „Die Juden zahlen wegen des Holocaust in Deutschland keine Steuern“, „Am 11. September sind 4000 Juden nicht zur Arbeit erschienen, denn sie wurden vom israelischen Geheimdienst vorgewarnt.“
90 Prozent hatten Kontakt mit Antisemitismus
Am Ende hatten sich fast alle Schüler und Schülerinnen erhoben, standen teilweise auf ihren Stühlen, weil sie so viel Gerüchte schon einmal gehört haben.
„90 Prozent von euch hatten schon mal Kontakt mit Antisemitismus , nur habt ihr es nicht wahrgenommen“, fasste Ben Salomo das Ergebnis zusammen. Um diese Wahrnehmung geht es Ben Salomo . Er möchte junge Menschen mit seinen Vorträgen aufklären, sie für Antisemitismus sensibilisieren.
Ausgerechnet Deutschrap werde von vielen jungen Menschen gehört. Es gebe Rapper, die für ihre Musik gefeiert werden, obwohl sie äußerst bedenkliche Songs veröffentlichen – Songs, die mehr oder weniger subtile judenfeindliche Inhalte transportieren.
Musikgewohnheiten überdenken
Auf diese Weise dringe der Antisemitismus unbemerkt in die Köpfe der jungen Zuhörer und Zuhörerinnen ein.
Ben Salomo möchte die jungen Menschen aufklären, sich bewusster mit ihren Musikgewohnheiten auseinander zu setzen. Eine Studie der Universität Bielefeld aus dem Jahr 2021 konnte belegen: „ Antisemitismus und Frauenfeindlichkeit ist deutlich höher bei jugendlichen Gangsterrap-Hörern. Es sind 56 Prozent, die antisemitische und frauenfeindliche Aussagen gut finden.“
Playlist wird überprüft
Für die Mädchengruppe, die auf Partys und im Klassenchat mit Hitlergruß und Hakenkreuz konfrontiert wurde, ist die Sache klar. „Wir werden die Playlist genau überprüfen“. Der Vortrag habe sie wachgerüttelt, nachdenklich und betroffen gemacht.
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