
Den Bart hat sich Christian Kessler in den vergangenen acht Wochen schon wachsen und grob in Form schneiden lassen. Der 54-jährige Gartenbauingenieur hält ein Foto in der Hand, das Zar Alexander II. von Russland zeigt. In die Rolle des Zaren wird er am kommenden Rakoczy-Festwochenende zum ersten Mal schlüpfen. 30 Jahre lang hatte Norbert Feineis zuletzt den Zaren verkörpert, sich jedoch im vergangenen Jahr aus gesundheitlichen Gründen als Darsteller verabschiedet.

13 Jahre Peter Heil
Kessler folgt ihm in diesem Jahr nach und hängt dafür die Rolle als Peter Heil , Bürger und Retter der Stadt, an den Nagel. Den Held der Kissinger Bienenschlacht spielte Kessler seit 2009. „Es ist eine Umstellung. Die Rolle ist eine andere. Ich bin nicht mehr der lächelnde Bürger, der winkend mit einem Bienenkorb durch die Straße geht, sondern der strenge und sogar leicht überheblich schauende Zar “, sagt er. Beim historischen Festzug am Sonntag werde er sicherlich auch einmal lächeln, aber gerade bei der Autogrammstunde danach, beim Festball und der Vorstellung am Samstag, werde er sehr auf die Rolle achten. „Da ist man dann der strenge Herrscher“, sagt er.
Kissinger Bürgerwehr, Stadtheld, Zar
Seit 25 Jahren wirkt Kessler beim Rakoczy-Fest als Darsteller mit. Die ersten elf Jahre war er Teil der Bürgerwehr von Peter Heil . Als dessen Rolle 2009 frei wurde, übernahm er sie bis vergangenes Jahr. Nach dem Abschied von Norbert Feineis fragte er bei den Organisatoren an, ob er Zar Alexander für die nächsten Jahre übernehmen könne. „Man hat sich schweren Herzens dazu entschieden, in dem Wissen, dass es nicht unbedingt sofort einen Nachfolger für den Peter Heil gibt“, sagt Kessler.
Interessierte Darsteller werden gebeten, sich mit der Staatsbad GmbH oder dem Rakoczy-Förderverein in Verbindung zu setzen. Dieses Jahr wird Peter Heil auf dem Fest fehlen.
Die Rolle des Peter Heil sei sehr aufwendig gewesen, weil es dazu gehört, für den Festzug Freiwillige für die Bürgerwehr und Marketenderinnen zu organisieren und außerdem Honigbrote vorzubereiten, die beim Umzug an die Zuschauer verteilt werden. „Die Rolle soll jetzt ein jüngerer machen“, so Kessler.
Maßgeschneiderte Zaren-Uniform
Zur Vorbereitung auf die neue Rolle braucht es nicht nur den akkurat am Original orientierten Bart. Kessler hat sich historisch belesen, um Fragen der Festbesucher etwa bei der Autogrammstunde beantworten zu können. Es gab ein Schauspiel Coaching und am wichtigsten: eine neue Uniform , die der Förderverein finanziert hat. Die seines Vorgängers hat ihm in Bezug auf die Kleidergröße nicht gepasst.
Die neue Uniform ist maßgeschneidert und stellt die des echten Zaren nach. „Ich habe mehrfach dafür Modell gestanden“, erzählt er. Der Stoff sei in herkömmlichen Läden nicht erhältlich, sondern stamme aus alten Theaterbeständen. Verwendet wurden außerdem historische Knöpfe, die Borte ist aus französischer Seide mit dem eingewebten Wasserzeichen des Zaren , die Bordüren am Ärmel sind aus Goldfaden. „Es soll so authentisch wie möglich sein. Wir sind beim Rakoczy-Fest keine Faschingsveranstaltung“, betont Kessler.
Uniform gibt Halt
Anziehen kann er die Uniform nicht allein. Sie ist eng anliegend, schwer und steif, er am Ende fest bis hoch zum Kragen eingeschnürt. Das Zuknöpfen lässt sich alleine nicht bewerkstelligen, sondern ausschließlich mit Hilfe. „Die Uniform gibt Halt und Stil. Wenn man sie anhat, geht man nicht gebückt“, sagt er.
Das Fest wird sich für ihn anders anfühlen, bekommt er jetzt als Zar eine andere Aufmerksamkeit und nimmt eine andere Position unter den einstigen bedeutenden Kurgästen Bad Kissingens ein. „Als Bürger Peter Heil war ich nie bei den Königen und Kaisern gestanden. Das passt vom Stand und auch zeitlich nicht“, erklärt der erfahrene Darsteller. Beim Ball und bei Fotos wird er jetzt eine prominentere und zentralere Rolle einnehmen.
Unterschrift ein Kunstwerk
So sehr er am historischen Vorbild orientiert und um Authentizität bemüht ist: Eine Sache gibt es, die Kessler schwerfällt. „Die Unterschrift des Zaren “, meint er. Die sei ein kleines Kunstwerk und es gelinge ihm nicht, sie gut nachzumachen. Bei den Autogrammen wird etwas mehr der Gartenbauingenieur aus Bad Kissingen zum Vorschein kommen.
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Eine Historienkomödie, die Käsge hochhält.
Und: alle rennen hin.
Ich war mit 14 das letzte Mal beim Festumzug dabei. Das hat mir damals schon gereicht. 46 Jahre her und seit damals nix verpasst:
Frei nach Freddie Frinton: same Procedere as every year.
Immer dasselbe.
Aber dem Mainstream gefällt es.
Ich bin dann mal weg!