"Meine lieben Abenteurer, im Jahre 1122 hörte ich die Sage von einem kräfteverleihenden, magischen Wein, der zugleich Scharfsinnigkeit, Mut und die ewige Jugend verspricht", so steht's in einem rätselhaften Schriftstück, das meine Frau Anika und ich erst einmal zweifelnd hin und her wenden. Scheinbar handelt es sich um ein Jahrhunderte altes Dokument, entsprechend mitgenommen, brüchig und vergilbt, gezeichnet von Otto von Bamberg. Uns muss eine spannende Suche nach dem magischen Wein von Ramsthal bevorstehen. Werden wir alle Rätsel knacken?
Ganz so sicher sind wir beide uns nicht, als wir am Ramsthaler Dorfplatz in unsere erste rätselhafte Escape-Tour einsteigen. Seit einigen Wochen bieten Milena Greubel und Lukas Stark die Rätselreise in ihrem Heimatdorf an. Logik und Kombinationsgeschick brauche man, um den Spuren des Heiligen Ottos zu folgen und letztlich das sagenumwobene Relikt hervorzuzaubern, sagen sie. Ob wir zum Schluss mit dem Wein werden anstoßen können?
Das Prinzip des Spiels
Escape-Spiele boomen seit Jahren. Das Prinzip ist einfach: Verschiedene Rätsel und Hindernisse jeglicher Art sind zu bewältigen, um sich Schritt für Schritt zum Ziel vorzuarbeiten. Es gibt sie längst als Brett- oder Kartenspiele für zuhause oder als Erlebnisausflug. Etwas Vorkenntnis sollte man nach Ramsthal mitbringen, um den Einstieg zu erleichtern. Denn schnell wird uns klar: Eine Escape-Tour ist kein Kreuzworträtsel oder Sudoko und auch keine Schnitzeljagd. Es gehört schon mehr dazu. Kleine Knobler sollten deshalb noch Erfahrung sammeln, empfohlen wird die Tour ab 16 Jahren.
Wir beginnen unsere Reise also auf dem Ramsthaler Dorfplatz, heute wie fiktiv im Jahr 1122. Die Veranstalter schnallen uns einen vollgepackten, gar nicht so leichten Rucksack auf den Rücken. Mit einem hölzernen Wanderstock mit seltsamen Einkerbungen und eben jenem pergamentartigen Schreiben, das uns den Weg weisen soll, legen wir los. In der Hand haben wir nichts außer einige mehr oder minder kryptische Hinweise. Und das war's dann, wir sind auf uns gestellt. Gut, zur Sicherheit bekommen wir für den Notfall ein Lösungsbuch an die Hand.
Den Rucksack sollten wir uns ganz genau anschauen, war einer der Hinweise. Blöd nur, dass die vielen Reißverschlüsse fast ausnahmslos mit massiven Zahlenschlössern versiegelt sind. Es dauert doch ein paar Minuten, bis wir herausfinden, in welche Richtung unsere Reise denn überhaupt gehen soll. Leider hatten wir keine großen Ortskenntnisse, die uns dabei geholfen hätten. Unbedingt gebraucht haben wir sie aber nicht. Schließlich haben wir die Hinweise ja richtig gedeutet. Denn ruckzuck finden wir uns in den malerischen Weinbergen rund um Ramsthal wieder.
Diese Umgebung verleiht der Rätselreise ihren ganz besonderen Flair. Wir sind erstaunt, wie schön unsere Heimatregion doch ist. Weinstöcke aller Arten rahmen die Fußwege ein, die sich weitläufig die grünen Anhöhen hinaufschlängeln. Die Atmosphäre lädt ein zum Verweilen, Ausruhen, Innehalten und Genießen: Weinwanderungen, Junggesellen- und Gesellinnenabschiede, Ausflüge im Freundes- und Familienkreis, all das und noch viel mehr lässt sich doch toll mit der Tour kombinieren, denken wir uns.
Um den Ausflug genießen zu können, sollte man Zeit mitbringen. Zwischen zwei und vier Stunden soll die Reise dauern, sagen die Veranstalter. Tatsächlich sind nach oben kaum Grenzen gesetzt. Weil die Aufgaben wirklich knifflig sind. Aber auch, weil die Wanderung eben so viel mehr bietet. Für ambitionierte und fokussierte Rätselknacker sind die angepeilten zwei Stunden durchaus realistisch. Sieben Knobelhürden und rund fünf Kilometer Fußweg gilt es zu bewältigen, dazu die für Weinberge eben natürlichen Höhenmeter. Eine gewisse körperliche Grundfitness sollte also vorhanden sein.
Wir jedenfalls genießen die Zeit, genießen die Umgebung, genießen die Reise: Im Rätselfieber erst einmal angekommen, lässt es uns nicht mehr los. Sind wir am richtigen Ort? Geht's links oder rechts weiter? Welche Rolle spielen die Weinsorten? Was sollen wir mit einem Kompass und den Sehenswürdigkeiten rund um Ramsthal anfangen? Und wie hilft uns der Heilige Vitus auf unserer Reise? Fragen über Fragen und spannende, bemerkenswert gut durchdachte Lösungen. Konzept und Umsetzung der Escape-Tour sind alles, nur nicht amateurhaft.
Gut drei Stunden sind wir unterwegs, bis wir vor der entscheidenden Frage stehen: Haben wir richtig kombiniert und die Puzzleteile so zusammengesetzt, dass jetzt die große Belohnung, der magische Wein auf uns wartet? Offenbart uns der gute Otto von Bamberg nun sein Geheimnis? Und wenn ja, handelt es sich um den angemessenen Bocksbeutel? So viel sei verraten: Wir haben unser Ziel erreicht, alle Schlösser geknackt und unser flüssiges Geschenk entgegengenommen. Und besonders weisen wir darauf hin: Einen gewissen Anflug von frischen Kräften, Scharfsinnigkeit, Mut und ewiger Jugend haben wir am Morgen danach gespürt . . .