Ein Geheimnis der Stadtgeschichte scheint gelüftet. Bad Kissingens erste Radrennbahn stand: im heutigen Rosengarten. Dort, wo bislang nur das Gelände der Rad-Fahrschule verortet war, die um das Jahr 1900 herum angelegt wurde.
„Wie wir soeben erfahren, wird in Kürze auf der sogenannten neuen Wiese mit der Herstellung der großen Rennbahn begonnen werden, welche der hiesige Velocipedclub für seine Fahrten benutzen wird. Auf derselben wird das große Pfingstwettfahren stattfinden“, heißt es in der Saalezeitung vom 14. Mai 1889.
Bislang ein Rätsel war die exakte Lage jener neuen Wiese. Die umfangreiche Recherche in frühen Ausgaben der Heimatzeitung fördert ein entscheidendes Detail ans Tageslicht. In der Ankündigung vom 9. Juni 1889 ist nämlich die Rede von der „neuen Wiese am Brückendamm“.
Anfrage beim Stadtarchiv, das prompt helfen kann. Der Brückendamm war am Übergang der Ludwigstraße zur Ludwigbrücke, unmittelbar am Gelände des heutigen Rosengartens. Auf einer historischen Ansicht von 1843 ist dieser Damm bereits zu erkennen.
Ein Jahr vor dem Premieren-Wettkampf hatte sich der erste Bad Kissinger Radverein gegründet, mit Philipp Schüllermann an der Spitze. 1889 hat der Velocipedclub bereits 50 Mitglieder. Im Jahr 1897 werden es 41 aktive, 25 passive und elf auswärtige Mitglieder sein. Die Aktiven gehören dem „Verband zur Wahrung der Interessen der bayerischen Radfahrer“ an.
Imposanter Festkorso
Überraschend umfangreich ist der Nachbericht von 1889 zum ersten Stiftungsfest samt einer Zusammenkunft der Allgemeinen Radfahrer-Union, musikalischem Frühschoppen und einem imposanten Festkorso. Vor vielen Zuschauern, auch Kurgästen, werden die Rennen in Disziplinen wie dem Erst-, Club-, Unions- oder Tandemfahren ausgetragen.
Alles überwacht und bewertet von Preisrichtern, die auf einer eigens errichteten Tribüne sitzen. Einen der Ehrenpreise gewinnt Ludwig Hörauf aus Fürth, der die zehn Runden (ca. 2 Kilometer) in 5 Minuten und 15 Sekunden bewältigt. „Außer einigen unbedeutenden Hautabschürfungen ging zum Glück das Rennen glatt ab“, heißt es in der Saale-Zeitung.
Zahlreiche Renngrößen besuchen in den nächsten Jahren Bad Kissingen, allerdings werden die interessanten Rennen im Jahr 1893 aufgegeben. „Da sich zeigte, dass die Rennbahn den Anforderungen der durch Erfindung des Luftreifens außerordentlich gesteigerten Geschwindigkeit nicht mehr genügte“, heißt es im Pressebericht vom 4. Februar 1896 anlässlich der Bannerweihe des Velociped-Clubs, der sich fortan mehr dem Tourenfahren widmet.
Dass der Verein über viele Jahre ein großes Renommee besitzt, bestätigen die wöchentlichen Anzeigen in der Saale-Zeitung, in denen meistens auf die Club-Abende hingewiesen wird, unter anderem in „Wahlers Bierkeller“. Es liegt aus baulichen Gründen ja durchaus nahe, dass die neue und bis 1913 betriebene Rad-Fahrschule auf dem ehemaligen Rennbahn-Gelände angelegt wird. Immer mehr Radvereine haben sich um das Jahr 1900 gegründet, wer Rad fährt, muss eine Radfahrkarte mit sich führen.
Der Handel mit Zweirädern ist zum Wirtschaftsfaktor geworden. Im großen Stil inseriert der Geschäftsmann und Neubürger Ludwig Huber, der den Bad Kissinger Radsport in den 1890er Jahren auf ein neues Niveau hebt. Der Fahrradhändler, vermutlich seit 1893 durch Heirat in Bad Kissingen ansässig, entscheidet sich für den Bau einer neuen, privat betriebenen Rad-Rennbahn in der Unteren Au, unweit vom Schweizerhaus und keinen Kilometer von der Rennbahn des Velociped-Clubs entfernt.
Ein reizender Anblick
Eine Postkarte, verschickt im August 1898, zeigt den „Sportplatz Ludwig Huber“ samt seiner beeindruckenden Holztribüne. In diesem Jahr findet laut Saale-Zeitung dort bereits das dritte große internationale Rad-Wettfahren statt. Gefahren werden von den „31 Sportsmen“ verschiedene Rennen über maximal zwölf Runden, die etwa vier Kilometern entsprechen. Die Ehrenpreise sind ausgestellt im Schaufenster des Herrn Huber in der Theaterstraße.
Die gesellschaftliche Bedeutung dieser Veranstaltungen manifestiert sich in diesem wunderbaren Satz aus der Saale-Zeitung vom 22. August 1898: „Der Blumencorso bot einen ganz reizenden Anblick; voraus fuhr ein mit Astern geschmücktes Dreirad, ihm folgte eine in Weiß gekleidete hübsche junge Dame auf einem Rad, über welchem sich sechs Tauben auf Blumenstengeln, reizend arrangiert, befanden.“
Viele Rennen werden die Bürger von Bad Kissingen und das internationale Kurgast-Publikum noch sehen in der Unteren Au. Das Stadtarchiv vermutet, dass die Bahn spätestens mit Ausbruch des ersten Weltkrieges im Jahr 1914 nicht mehr betrieben wird.
1920 wird Ludwig Huber nach Tegernsee ziehen. Seine Rennbahn ist bis 1929 auf verschiedenen Plänen eingezeichnet, danach verschwinden die Spuren – und mit ihnen die Hoch-Zeiten des Bad Kissinger Radsports.
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