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Bad Kissingen
Pure Freude am Spielen
Richard Goode ist ein Pianist, der nichts mehr beweisen muss.
Pianist Richard Goode aus New York gastierte beim Kissinger Sommer. Foto: Gerhild Ahnert       -  Pianist Richard Goode aus New York gastierte beim Kissinger Sommer. Foto: Gerhild Ahnert
| Pianist Richard Goode aus New York gastierte beim Kissinger Sommer. Foto: Gerhild Ahnert
Thomas Ahnert
 |  aktualisiert: 18.08.2022 04:35 Uhr

Das ist das Beruhigende: Tastenlöwen wachsen nach - jene Gruppe der Damen und Herren über 70, über die man sich schon freut, wenn sie auch nur kommen, die Klavier spielen, als hätten sie ihr Leben lang nichts anderes getan, als wäre es für sie keine Last mehr, sondern pure Freude . So ein Pianist ist Richard Goode, der 76-Jährige aus New York, einer der hierzulande weniger Bekannten, weil er sich in Europa schon immer rar gemacht hat, weil er sich nie an irgendeinem Personenkult beteiligt und sich immer auf die Musik konzentriert hat. Immerhin: Beim Kissinger Sommer war er schon einmal vor vielen Jahren. Da war es gelungen, ihn über den Atlantik zu locken. Es war ja schon eine kleine Sensation, dass er so problemlos und kurzfristig für den erkrankten Radu Lupu beim Eröffnungskonzert am vergangenen Freitag einsprang. Sein Recital am Montagabend war allerdings langfristig geplant. Man konnte sich länger darauf freuen.

Zurücktreten hinter die Musik

Es ist ein Satz, den man immer gerne schreibt: Richard Goode ist ein Pianist, der nichts mehr beweisen muss, der schon alles gezeigt hat, der vollkommen hinter der Musik zurücktreten und sie aus sich heraus wirken lassen kann. Und das ist eine Haltung, die Joseph Haydns Sonaten A-dur Hob. XVI:26 und D-dur Hob. XVI:24 gut tut. Sie brauchen die distanzierte Betrachtung, das Erkennen der musikalischen Linien, des Humors und des Charmes, die in dieser Musik stecken. Und einen Anschlag wie den von Richard Goode: staubtrocken und trotzdem weich, voller Farben, manchmal auch ein bisschen beiläufig. Dann kommen die Verzierungen, als seien sie spontan, dann kann sich eine Agogik entwickeln, die das Spiel wie einen nachdenklichen, aber zielstrebigen Kompositionsprozess erscheinen lässt, in dem Wirkung kalkuliert wird.

Wobei der große Witz der A-dur-Sonate ja eigentlich verborgen bleibt: das Menuet, das Haydn als "al rovescio" komponiert hat - also: die beiden Teile werden erst vorwärts, dann rückwärts gespielt. Das kann man nicht hören, das ist ein absoluter Insiderwitz, den man eigentlich erst dann bemerken kann, wenn man in die Noten schaut. Für Haydn ist das sicher ein Vergnügen. Aber er hat wohl auch bemerkt, dass der Witz nicht massentauglich ist, und hängt ein ganz kurzes Presto an, als wolle er möglichst schnell zu etwas anderem übergehen. Und Richard Goode tut ihm den Gefallen, das auch so zu spielen.

Kein heiteres Tänzchen

Bei Mozarts a-moll-Rondo KV tut es gut, wenn man als Interpret schon ein bisschen Lebenserfahrung hat. Denn das ist kein heiteres Tänzchen, das da flockig zu spielen wäre, sondern eine Trauermusik für einen verstorbenen Freund. Und Richard Goode weiß, dass Trauer nichts Vollgriffig-Pathetisches ist, sondern er schafft ein Klima der Introvertiertheit, der Erinnerung, natürlich auch des Schmerzes. Aber er hält das alles auf einer sehr persönlichen Ebene.

Plakativ werden kann er dann wieder bei Beethovens A-dur-Sonate op. 101. Und man versteht schon bei den ersten Akkorden, warum sie den Beinamen "Kleine Sonate für das Hammerklavier" bekommen hat: Er spielt sie so. Auf der einen Seite blättert er die Exposition leicht buchstabierend auf, auf der anderen Seite schafft er aber sofort innere Zusammenhänge und eine wunderbar sangliche Führung des Themas in der Mittel und Unterstimme. Am "hämmerigsten" ist natürlich der zweite Satz, "Lebhaft, marschmäßig" - durchaus eine ungewöhnliche Kombination. Goode spielt das, als wolle er sich ein bisschen über diesen "Geschwindmarsch" lustig machen, mit knallenden Akzenten, etwas auf Krawall gebürstet, auf harmonischen Konflikt - und absolut risikobereit. Nicht wirklich alle Töne waren von Beethoven. Aber 110-prozentige Perfektion war noch nie das Endziel der Musik, sondern Emotion. Der langsame Satz, diese kurze Hinführung zum Finale, wird zum absoluten, sanglichen Kontrast. Das Finale mündet in einer höchst ernsthaften Fuge, die Goode aus geradezu mystischen Tiefen herausholt, um sie dann umso wirkungsvoller zu steigern.

Aber er wäre nicht er, wenn er das so stehen lassen würde. Nach einer letzten Aufgipfelung taucht noch einmal das Liedthema auf, das er spielerisch, fast ein bisschen albernd, zerlegt. Die Musik ist wieder auf dem Boden angekommen.

Ja und dann Debussy, der Teil des Programms, auf den der eine oder andere besonders gewartet hatte - zu Recht. Denn Richard Goode ist für Debussy ein optimaler Interpret. Und er hatte eine Auswahl getroffen, die keinen Aspekt vernachlässigte: "Images", Buch 2, "La soirée dans Grenade" aus den "Estampes" und sechs der Préludes" aus den Büchern 1 und 2. Da kann er mit seinen Klangfarben zaubern. Da kann er unglaubliche Differenzierungen auch in kleinsten Nuancen erzeugen, da kann er Klangbilder in der Phantasie real werden lassen, da findet er in den Effekten immer auch melodische Aspekte.

Zehn Sätze

Die Titel der zehn Sätze werden schnell unerheblich, auch wenn sie die Vorstellungen des Hörers in bestimmte Richtungen lenken und auch vorher schon die des Interpreten nicht ganz unbeeindruckt lassen. Aber sehr schnell tritt die Frage, wie Titel und Musik in Einklang zu bringen sind - was bei "Une soirée dans Grenade" und "Les fées sont d'exquises danseuses" noch relativ einfach funktioniert, zurück hinter die Frage, wie die Klänge erzeugt werden und wie sie weitergehen. Aber das signalisert auch das Problem der zehn Sätze: Debussys - nicht Goodes - Effekte nutzen sich etwas ab. Und irgendwann kommt der Punkt, wo Überraschendes nicht mehr möglich ist.

Nach zweimal Chopin spielte Richard Goode noch als dritte Zugabe den Satz, auf den offenbar alle gehofft hatten: die vor allem in seiner Interpretation so wunderbare Sarabande aus Bachs Partita Nr. 1 B-dur BWV 825.

 
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