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Werneck / Münnerstadt
Psychiatrie-Chef: System stößt immer wieder an Grenzen
Nach dem Freispruch eines Mannes, der unter paranoider Schizophrenie leidet, wird in Münnerstadt über den Fall diskutiert. Über „Drehtürpatienten“ spricht der Chef der Psychiatrie Schloss Werneck.
Seit 2022 ist Professor Dr. Maximilian Gahr Ärztlicher Direktor der Psychiatrischen Klinik Werneck.       -  Seit 2022 ist Professor Dr. Maximilian Gahr Ärztlicher Direktor der Psychiatrischen Klinik Werneck.
Foto: Josef Lamber | Seit 2022 ist Professor Dr. Maximilian Gahr Ärztlicher Direktor der Psychiatrischen Klinik Werneck.
Susanne Will
 |  aktualisiert: 26.01.2025 16:55 Uhr

Oft werden Menschen mit psychischen Störungen als „Drehtürpatienten“ bezeichnet: Psychisch Erkrankte, die nach erfolgreicher Behandlung die Psychiatrie verlassen können – und kurze Zeit später wieder eingewiesen werden, weil sich die Symptome ihrer Erkrankung wieder Bahn gebrochen haben. Wieder und wieder wurde ein Mann, der über viele Monate aufgrund seiner Verhaltensweisen Menschen in Münnerstadt ängstigte und belästigte, in der Forensischen Psychiatrie im Bezirkskrankenhaus Werneck untergebracht, behandelt und wieder entlassen.

Ein Gespräch mit Professor Dr. med. Maximilian Gahr, dem Ärztlichen Direktor, des Krankenhauses für Psychiatrie, Psychotherapie und Psychosomatische Medizin (KPPPM) Schloss Werneck.

Herr Professor Gahr, wir werden aufgrund der Persönlichkeitsrechte nicht über den aktuellen Fall sprechen, der derzeit in Münnerstadt diskutiert wird: der Freispruch eines Mannes, der unter paranoider Schizophrenie leidet.

Gahr: Richtig, der Fall ist sensibel und außerdem der Freispruch eine juristische Entscheidung, zu der ich gar nichts sagen kann.

In der Forensik sind Menschen untergebracht, die aufgrund einer psychischen Erkrankung oder einer Drogenerkrankung im Zustand der Unzurechnungsfähigkeit Straftaten begangen haben und von Gerichts wegen eingewiesen wurden. Spätestens nach dem Fall Mollath wurden die Hürden, Menschen per Gerichtsbeschluss einzuweisen, erhöht. Jedoch tut sich meiner Meinung nach eine Versorgungslücke für Menschen auf, die nicht eingewiesen werden können und dennoch Hilfe brauchen. Warum können Betroffene nicht länger untergebracht werden?

Das ist richtig. Für chronisch psychisch Kranke, die infolge ihrer psychischen Störung episodisch eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit darstellen, stößt unser System der Allgemeinpsychiatrie in ganz Deutschland immer wieder an Grenzen.

Die Psychiatrie in Werneck       -  Die Psychiatrie in Werneck
Foto: Anand Anders | Die Psychiatrie in Werneck

Bei Patienten mit akuten psychischen Störungen und Eigen- und/oder Fremdgefährdung sowie fehlender Krankheitseinsicht und Behandlungsmotivation, kann Zwang, zum Beispiel das Zurückhalten in einer psychiatrischen Klinik gegen den Willen des Betroffenen oder eine Zwangsmedikation, rechtlich nur unter spezifischen Bedingungen durchgeführt werden. Wenn etwa die Störung und die damit assoziierte Gefährlichkeit im Rahmen einer stationären Behandlung rückläufig ist und der Patient im Verlauf sogar eine Behandlungsmotivation zeigt, ist die Fortführung der Anwendung von Zwang rechtlich oft nicht mehr möglich. Dann müssen die Patienten entlassen werden, wenn sie dies wünschen.

Was geschieht dann?

Oft wird die ärztlich empfohlene Therapie, zum Beispiel Medikation oder sozialpsychiatrische Maßnahmen wie Unterstützung zu Hause oder die Inanspruchnahme von Suchthilfemaßnahmen, nach der Entlassung nicht mehr umgesetzt. Häufig werden auch psychotrope Substanzen wie Alkohol oder Drogen konsumiert, die in der Regel ebenfalls ungünstigen Einfluss auf die Erkrankung haben. Es kommt zum Rückfall und in diesem Rahmen zur Wiederkehr der Gefährlichkeit mit erneuter Einweisung. Da entsteht dann oft der Eindruck, dass die Akutpsychiatrie fahrlässig oder unzureichend sorgfältig arbeitet, beziehungsweise den Aspekt der Beeinträchtigung der öffentlichen Sicherheit nicht ausreichend berücksichtigt.

Maximilian Gahr       -  Maximilian Gahr
Foto: Video Klein Ulm | Maximilian Gahr

Wenn sich diese Drehtürsystematik zeigt, stellt sich die Frage: Kann man nichts machen?

In der Regel werden zur Verhinderung dieses „Drehtüreffekts“ im Rahmen der stationären psychiatrischen Behandlung zahlreiche individualisierte poststationäre Maßnahmen mit dem Patienten besprochen und ihm angeboten. Dazu gehören eine sich anschließende tagesklinische Behandlung, sozialpsychiatrischer Dienst, aufsuchende Therapie, häusliche Unterstützung durch einen Pflegedienst, das Einrichten einer gesetzlichen Betreuung und vieles mehr.

Wie wirksam sind diese Maßnahmen?

Die Wirksamkeit dieser Maßnahmen beruht auf einer freiwilligen und kontinuierlichen Inanspruchnahme durch den Patienten und oft sind die Patienten nach der Entlassung krankheitsbedingt dazu nicht mehr in der Lage oder lehnen es im Verlauf ab. In schweren, oft chronischen Fällen mit wiederholter und auch prognostisch ungünstiger Störung mit Eigen- und/oder Fremdgefährdung, ist auch eine Unterbringung in einem geschlossenen Pflegeheim gegen den Willen des Betroffenen möglich. Wobei sich hier das Problem der sehr eingeschränkten Verfügbarkeit solcher Plätze ergibt. Hier zeigt sich beispielsweise sehr deutlich und ganz konkret, wo und wie unser Versorgungssystem defizitär bei der Versorgung der chronisch schwer psychisch Kranken ausgestattet ist.

Außer, es wird gerichtlich angeordnet, dass der Patient oder die Patientin dauerhaft untergebracht werden muss.

In Ausnahmefällen kann ein Richter die einstweilige Unterbringung im Maßregelvollzug anordnen, wenn der Verdacht besteht, dass der Patient eine Straftat im Zustand der verminderten oder aufgehobenen Schuldfähigkeit begangen hat und es die öffentliche Sicherheit erfordert. Dort bleibt der Patient dann bis zur Verhandlung und erhält Therapie. Die Entscheidung vor Gericht über seinen Verbleib kann in die eine oder andere Richtung gehen. Die Gerichte beachten bei ihren Entscheidungen natürlich die Verhältnismäßigkeit. Die Unterbringung in der Psychiatrie, insbesondere im Maßregelvollzug, ist ein stark in die Freiheitsrechte eingreifendes Mittel.

Daneben gibt es auch die Möglichkeit der Unterbringung (bürgerlich-rechtlich oder öffentlich-rechtlich) in einem psychiatrischen Akutkrankenhaus. Handelt es sich aber um Fälle wie zuvor beschrieben, ist diese Form der Versorgung häufig nicht zielführend, da eine längerfristige Unterbringung in der Akutpsychiatrie oft nicht die richtige Umgebung für den Patienten darstellt. Denn dieser benötigt eigentlich eine dauerhafte Perspektive in einem geeigneten Wohnumfeld oder einem Heim.

Frustriert Sie das?

Es ist bedauerlich, dass unser Versorgungssystem bei Fällen wie beschrieben immer wieder an seine Grenzen stößt. Und es ist schwierig, andere versorgungsbezogene Möglichkeiten zu konstruieren, weil sie einen großen personellen und finanziellen Aufwand bedeuten würden. Und bei allem braucht es auch die Bereitschaft des Patienten, dass er die Hilfen in Anspruch nimmt.

Kann man Medikamente nicht gegen den Willen des Betroffenen verabreichen?

Tatsächlich gibt es die Möglichkeit, eine Zwangsmedikation zur Abwehr von akuter Eigen- oder Fremdgefährdung zu beantragen. Daneben müssen unter anderem noch Kriterien wie die Verhältnismäßigkeit und Wirksamkeit erfüllt sein. Wenn die akute Gefahr abgewendet ist, muss eine Zwangsmedikation oft erneut beantragt werden. Wenn der Patient dann bereits gebessert ist und/oder sogar mitteilt, dass er die Medikation freiwillig einnimmt, kann eine Zwangsbehandlung gerichtlich oft nicht mehr beschlossen werden. Und dann muss man auf die anhaltende Krankheitseinsicht und Behandlungsmotivation des Patienten hoffen.

Die Krankenkassen in Deutschland verzeichnen seit gut zehn Jahren einen dauerhaften Anstieg von Krankschreibungen aufgrund psychischer Diagnosen (Quelle: Statista). Haben Sie den Eindruck, dass es mehr psychisch Erkrankte gibt?

Die Frage wird immer wieder gestellt. Was wir sagen können: In bayerischen Kliniken verzeichnen wir eine Zunahme der absoluten Häufigkeiten von öffentlich-rechtlichen Unterbringungen. Ob es „wirklich“ mehr psychische Erkrankungen gibt, kann gegenwärtig nicht mit Sicherheit bewertet werden. Es ist u.a. möglich, dass deshalb mehr Menschen psychiatrische Hilfe in Anspruch nehmen, weil Sie dazu bereit sind oder die Angebot besser wahrgenommen werden.

Mehr Patienten brauchen mehr Pflegepersonal: Haben Sie Personalmangel in Ihrer Klinik?

Nein. Wir haben genügend Personal und die Stellen sind alle besetzt.

Gibt es genügend Plätze für Erkrankte in unserer Region?

Insbesondere die ambulante psychiatrische Versorgung in der Region ist erheblich defizitär. Das ist ein Grund für die teilweise sehr starke Inanspruchnahme der stationären Akutversorgung. Wir planen daher ganz konkret im nördlichen Unterfranken, im Raum Münnerstadt, eine psychiatrische Institutsambulanz in diesem Jahr zu etablieren .

 

Zur Person: Prof. Dr. Maximilian Gahr ist 44 Jahre alt. Er ist Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie, Psychoanalyse. Seit September 2022 ist er Ärztlicher Direktor des des Krankenhauses für Psychiatrie, Psychotherapie und Psychosomatische Medizin Schloss Werneck.

 
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