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Bad Kissingen
Prozess: Messerangriff am Arbeitsplatz
Was zunächst als Arbeitsunfall deklariert wurde, entpuppte sich im Laufe der Ermittlungen als ein Angriff, der tödlich hätte enden können.
Weil er einem Kollegen ein Messer in den Oberkörper gestoßen hatte, wurde ein 53-Jähriger vor dem Amtsgericht in Bad Kissingen zu einer Strafe von einem Jahr und zwei Monaten, ausgesetzt auf Bewährung, verurteilt.  Foto: Amtsgericht - Symbolfoto: Christopher Schulz       -  Weil er einem Kollegen ein Messer in den Oberkörper gestoßen hatte, wurde ein 53-Jähriger vor dem Amtsgericht in Bad Kissingen zu einer Strafe von einem Jahr und zwei Monaten, ausgesetzt auf Bewährung, verurteilt.  Foto: Amtsgericht - Symbolfoto: Christopher Schulz
| Weil er einem Kollegen ein Messer in den Oberkörper gestoßen hatte, wurde ein 53-Jähriger vor dem Amtsgericht in Bad Kissingen zu einer Strafe von einem Jahr und zwei Monaten, ausgesetzt auf Bewährung, verurteilt.
Anja Greiner
 |  aktualisiert: 20.08.2022 03:45 Uhr
Kurz nach der Mittagspause, am 1. September 2015, um 13.20 Uhr, eskalierte in einem Hammelburger Reifengeschäft ein Streit unter Arbeitskollegen. An dessen Anfang ein Schlag mit einem Schlauch und ein Faustschlag ins Gesicht standen, und an dessen Ende einer ein Messer zückte und zustach.

Bei seiner ersten Vernehmung durch die Polizei hatte der Angeklagte (53) noch behauptet, das Opfer (44) habe sich die Verletzung durch einen Arbeitsunfall zugefügt - er sei an einer Aufhängung hängen geblieben. In der Hauptverhandlung am Donnerstagmorgen vor dem Amtsgericht Bad Kissingen sagte er zunächst, der Geschädigte sei ihm ins Messer gefallen. Weder Richter, noch Staatsanwalt hielten das jedoch für plausibel. Das Schöffengericht verurteilte den Angeklagten schließlich zu einem Jahr und zwei Monaten, ausgesetzt zur Bewährung, zusätzlich wurden ihm 100 gemeinnützige Arbeitsstunden auferlegt.

Für das größte Rätsel in der Verhandlung sorgte eine Szene aus dem Video der Überwachungskamera, die in der Halle der Firma angebracht ist. Es zeigt nicht die Tat, jedoch die Momente kurz davor und danach. Der zuständige Beamte der Kriminalpolizei beschreibt die Aufnahme wie folgt: Der Beschuldigte läuft rückwärts ins Bild, fasst an die Werkbank, nimmt dort das Messer aus einem Messerblock, läuft aus dem Bild heraus, einen kurzen Augenblick später kommt er wieder zurück zur Werkbank, wo er das Messer in den Block zurücksteckt. Dann läuft er wieder raus und einen Moment später kommen beide Männer ins Bild gelaufen, sie reden belanglos miteinander, so als wäre nichts passiert.

Eine solche Gelassenheit, nach einem derartigen Angriff sei doch recht ungewöhnlich, lautete das Fazit des Kriminalpolizisten. Eine abschließende Erklärung dafür vermochten weder der Geschädigte noch der Angeklagte geben. Es sollte nicht die einzige Lücke bleiben.

"Der tiefere Grund für die Auseinandersetzung", hatte Richter Matthias Göbhardt in seiner Urteilsbegründung gesagt, "bleibt uns verborgen". Es gab wohl eine Meinungsverschiedenheit, aber genau lies sich nicht rekonstruieren, warum die Situation schließlich so "aus dem Ruder gelaufen" war.

Das war nicht zuletzt der Tatsache geschuldet, dass der Angeklagte, russischer Staatsangehöriger, der Verhandlung nur mit einer Dolmetscherin folgen konnte und auch der Geschädigte, ebenfalls russischer Staatsangehöriger, zwar etwas besser deutsch sprach, aber auch hier mitunter die Dolmetscherin nachhelfen musste. Dementsprechend schleppend verlief in manchen Punkten die Beweisaufnahme.
"Mein Gott, wir sind hier doch nicht im Kindergarten", entfuhr es dem Vorsitzenden Richter Göbhardt, als auch nach mehrmaliger Nachfrage, der Angeklagte den Tathergang nicht schlüssig schildern konnte.

Das Problem: hätte der Angeklagte das Messer in der Höhe gehalten, die er angab, dann hätte der Geschädigte auf Bauchhöhe und nicht auf Brusthöhe getroffen werden müssen. "Es muss eine Bewegung von ihnen dabei gewesen sein", sagte schließlich der Staatsanwalt. Anders lasse sich die Einstichstelle knapp unter der Achselhöhe nicht erklären.

Laut der Aussage des Geschädigten hatte sich folgendes zugetragen: Der Angeklagte habe, aus Ärger über eine Arbeitsanweisung des Geschädigten, zunächst versucht, ihn mit einem Schlauch an dessen Ende ein Metallstück befestigt ist, gegen den Kopf zu schlagen, den Angriff konnte er mit dem Arm abwehren. Aus Notwehr schlug er dem Angeklagten mit der Faust ins Gesicht. Der Angeklagte lief daraufhin zur Werkbank, zog das Messer heraus, kam wieder auf ihn zu und stieß ihm das Messer in die Seite.

Während der Staatsanwalt eine Strafe von zwei Jahren, ausgesetzt auf Bewährung forderte, die Nebenklage sich der Einschätzung der Staatsanwaltschaft anschloss und ein zusätzliches Schmerzensgeld forderte, plädierte die Verteidigung auf einen minderschweren Fall der gefährlichen Körperverletzung. Denn: zu bewerten sei die konkrete Gefährlichkeit der Tat und nicht die, wie von der Staatsanwaltschaft angesprochene, abstrakte Gefährlichkeit der Tat, die, wäre das Messer tiefer in die Brusthöhle eingedrungen, einen Pneumothorax hätte verursachen können - eine Luftansammlung in der Lunge, die zum Atemstillstand führt. Laut des rechtsmedizinischen Gutachtens hat jedoch in dem konkreten Fall zu keiner Zeit das Leben des Angeklagten auf dem Spiel gestanden. Die Wunde konnte im Krankenhaus oberflächlich behandelt werden. Drei Tage verbrachte der Geschädigte in der Klinik, heute ist noch eine kleine Narbe zu sehen.

Er bedauere, was passiert war, hatte der Angeklagt in seinem Schlusswort gesagt. Sowohl der Geschädigte selbst, als auch die als Zeugen geladenen Kollegen hatten den Angeklagten als ruhigen, in keiner Weise aggressiven Mann beschrieben. "Er war eher spaßig", hatte ein Zeuge gesagt.

Zu Gunsten des Angeklagten sprachen für das Gericht am Ende, dass er nicht vorbestraft ist, dass die Verständigung mitunter schwierig und dass er halbwegs geständig gewesen war und dass er, den Verletzungen zufolge, das Messer nicht mit "voller Wucht" gestoßen hatte. Außerdem hatte er trotz seiner schwierigen wirtschaftlichen Verhältnisse - aufgrund der Tat hatte der Angeklagte seinen Job verloren - dem Geschädigten bereits ein Schmerzensgeld in Höhe von 1000 Euro gezahlt.
 
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