zurück
Bad Kissingen
Premiere im Kurtheater Bad Kissingen: Übrig bleibt ein Trümmerfeld
Mit Henrik Ibsens "Gespenster. Ein Familiendrama in drei Akten" haben die Theatergastspiele Fürth eine Premiere auf die Bühne des Kurtheaters gebracht.
Noch wissen Osvald und Regine nicht, dass sie Halbgeschwister sind, aber  Helene Alving muss sie endlich informieren. Unser Bild zeigt (von rechts) Anja Kruse, Michael N. Kühl und Sarah Maria Besgen.     Gerhild Ahnert       -  Noch wissen Osvald und Regine nicht, dass sie Halbgeschwister sind, aber  Helene Alving muss sie endlich informieren. Unser Bild zeigt (von rechts) Anja Kruse, Michael N. Kühl und Sarah Maria Besgen.     Gerhild Ahnert
| Noch wissen Osvald und Regine nicht, dass sie Halbgeschwister sind, aber Helene Alving muss sie endlich informieren. Unser Bild zeigt (von rechts) Anja Kruse, Michael N. Kühl und Sarah Maria Besgen. Gerhild Ahnert
Thomas Ahnert
 |  aktualisiert: 19.08.2022 00:35 Uhr
Da das Kurtheater schon lange kein eigenes Ensemble mehr hat, sind Premieren eine absolute Seltenheit geworden. Jetzt haben die Theatergastspiele Fürth die Gelegenheit genutzt, von Bad Kissingen aus eine ihrer neuen Produktionen auf die Reise zu schicken: Henrik Ibsens "Gespenster. Ein Familiendrama in drei Akten". Kein Wunder, dass über der Bühne die ganz spezielle Spannung des Anfangs lag.

"Gespenster" ist eine Geisterbahnfahrt, die depressiv machen kann. Denn nichts ist, wie es sich zu Beginn darstellt, nichts nimmt im Laufe der Entwicklung ein gutes Ende. Übrig bleibt ein menschliches Trümmerfeld. Denn Ibsen malt mit breitem Pinsel ein Bild der Gesellschaft, die an ihren eigenen überkommenen und überholten Konventionen zerbricht, ohne dass Alternativen in Sicht wären. Es ist eine Situation des Erstarrens, bestenfalls des hilflosen Reagierens, die das Drama mit schonungsloser Sprache deutlich macht.

Man kann verstehen, dass dieser Spiegel der Gesellschaft Ibsens Zeitgenossen verstörte, dass viele Theater mit Aufführungsverweigerung reagierten. So fand die Uraufführung im Mai 1882 in Chicago statt. In Deutschland konnte die Zensur ihre Hand noch länger draufhalten. Die erste öffentliche Aufführung ging im Dezember 1886 in Meiningen über die Bühne.

Peter M. Preissler hat mit seiner fünfköpfigen Truppe eine - durchaus im positiven Sinne - solide Inszenierung erarbeitet, die stark auf den Text und die Inhalte dieses Konversationsstückes zielt. Er hat zum Ende hin einiges gestrichen - dankenswerterweise, denn ohne Kürzungen würde da Drama etwa fünf Stunden dauern. Aber den Anfang ließ er weitgehend unverändert. So kann man als Zuschauer nicht nur die Fahrt in den Abgrund sehr gut begleiten, sondern man merkt auch als Heutiger, was an gesellschaftlichen Entwicklungen in den Rollen bereits angelegt ist, was Ibsens Zeitgenossen noch nicht begreifen konnten, wie etwa in der Figur der Regine Engstrand die Grundlagen der aufkommenden Frauenbewegung.

In einem Punkt ist Preissler allerdings weiter gegangen als der Autor : Die Antwort auf die Frage, ob Helene Alving ihrem sterbenden Sohn Osvald das tödliche Morphium gibt, überlässt Ibsen dem Zuschauer. Bei Preissler gibt sie ihm das Gift, bevor der Vorhang fällt - und die Depression komplettiert.

Bei der Besetzung hatte man sich auf Schauspieler verlassen, die schon aus Film und Fernsehen einen hohen Bekanntheitsgrad haben. Das kann unter anderem schon deshalb riskant sein, weil sich Filmschauspieler nie lange Texte merken müssen. Und das ist auch im Kurtheater schon manchmal schief gegangen. Bei den "Gespenstern" allerdings nicht. Anja Kruse mit ihrer großen Bühnenerfahrung gab eine schauspielerisch souveräne Helene Alving, Witwe des Hauptmanns und Kammerherrn Alving, von dem sie sich durch die Stiftung eines Kinderheims emanzipieren will (natürlich brennt es ab), und mit dem sie eine gewisse Normalität in ihr Leben bringen will. Anja Kruse spielt diese zerrissene Frau sehr genau: Nach außen gibt sie das Familienoberhaupt, das alles im Griff zu haben scheint. Auf der anderen Seite steigt ihre Nervosität, weil sie es immer weniger schafft, zwischen den "Gespenstern" der Familie, den ganzen verheimlichten Beziehungen und anderen Katastrophen, hindurchzusteuern, bis sie am Ende, als bis auf ihren sterbenden Sohn alle weg sind, zusammenbricht.

Ralf Komorr merkte man das Premierenfieber ein bisschen an. Er brauchte etwas, bis er seine ganze Konzentration fand. Dann war er ein beeindruckende Pastor Manders, getragen von strengen Moralvorstellungen, die bei ihm die Empathie ersetzen. Und er hält sie noch hoch, als er merkt, dass er unweigerlich untergeht - ein durchaus abstoßender Spagat, den Ralf Komorr ziemlich schonungslos gestaltet. Seine Abreise nach dem von ihm verschuldeten Brand des Kinderheims, das er zuvor im Auftrag von Helene Alving realisiert hatte, wird zur Flucht in die Gebrochenheit.

Bei Sarah Maria Besgens Regine Engstrand hatte man von Anfang an das Gefühl, dass sie sich für etwas Besseres als ein Hausmädchen hält, dass ihre dienende Devotheit aufgesetzt ist. Denn im Umgang mit ihrem Vater zeigt sie abweisende Kante, und auch ihr Interesse am Sohn des Hauses bleibt nicht unbemerkt. So kommt es nicht ganz überraschend, dass sie, als sie erfährt, dass Osvald ihr Halbbruder ist, mit Empörung reagiert und zielstrebig das Haus verlässt. Ihr traut man als einziger zu, dass sie aus ihrem Leben noch etwas macht. Aber sicher ist man sich nicht.

Michael N. Kühl spielte mit angemessener Körpersprache Helenes malenden Sohn Osvald, der sich in der Pariser Bohème die Syphilis eingefangen hat und jetzt zurückgekehrt ist, um zu Hause zu sterben. Bei ihm, der weiß, dass es mit ihm zu Ende geht, hätte man sich ein bisschen stärkere Gefühlschwanken vorstellen können, vor allen einen etwas offensiveren Zugang auf Regine, die er eigentlich als Pflegerin bis zu seinem Tod halten wollte - das hätte sie auch als Halbschwester tun können. Sebastian Sash als Tischler Engstrand und Regines Stiefvater wirkte in seiner Rolle noch nicht so ganz angekommen. Er ist zwar körperbehindert und so manchem Schluck nicht abgeneigt, aber als der Trottel, den er überkarikierte, hätte er sicher nicht den Auftrag zum Bau des Kinderheims bekommen. Er muss das wohl selbst gemerkt haben, denn am Ende spielte er nur noch sich selbst. Da kann er noch etwas nachhobeln.
 
Themen & Autoren / Autorinnen
Bad Kissingen
Bohème
Familiendramen
Frauenbewegung
Henrik Ibsen
Kinderheime
Kurtheater Bad Kissingen
Körperliche Behinderungen und Gebrechen
Lues
Morphium
Söhne
Zeitgenossen
Lädt

Damit Sie Schlagwörter zu "Meine Themen" hinzufügen können, müssen Sie sich anmelden.

Anmelden Jetzt registrieren

Das folgende Schlagwort zu „Meine Themen“ hinzufügen:

Sie haben bereits von 50 Themen gewählt

bearbeiten

Sie folgen diesem Thema bereits.

entfernen
Kommentare
Aktuellste
Älteste
Top