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Bad Kissingen
Post-Covid-Reha: Atmen als größte Anstrengung
Patienten, die schwerste Corona-Krankheitsverläufe hinter sich haben und über Wochen beatmet wurden, brauchen eine intensive Nachbetreuung. In der Klinik Bavaria in Bad Kissingen lernen sie, wieder ohne Maschine Luft zu holen.
Eddy Büchs, Koordinator auf der Intensivstation  und Chefärztin Claudia Siebel stellen ein Beatmungsgerät ein. Covid-19-Patienten werden zu Beginn aggressiv beatmet. Das heißt, sie bekommen 100-prozentigen Sauerstoff und holen vier Mal häufiger Luft. Die Entwöhnung von der Maschine ist ein langer Prozess.       -  Eddy Büchs, Koordinator auf der Intensivstation  und Chefärztin Claudia Siebel stellen ein Beatmungsgerät ein. Covid-19-Patienten werden zu Beginn aggressiv beatmet. Das heißt, sie bekommen 100-prozentigen Sauerstoff und holen vier Mal häufiger Luft. Die Entwöhnung von der Maschine ist ein langer Prozess.
Foto: Benedikt Borst | Eddy Büchs, Koordinator auf der Intensivstation und Chefärztin Claudia Siebel stellen ein Beatmungsgerät ein. Covid-19-Patienten werden zu Beginn aggressiv beatmet.
Benedikt Borst
 |  aktualisiert: 16.08.2022 22:35 Uhr

Im sechsten Stock der Klinik Bavaria liegen Patienten, die alle dem Tode nahe waren. Sei es nach einem Schlaganfall, nach einem schweren Unfall mit Schädel-Hirn-Trauma oder anderen gravierenden Hirnschädigungen. Zwölf Intensivpflegebetten mit Beatmungsgeräten stehen zur Behandlung solcher Fälle bereit. Seit Beginn der Pandemie wurden dort auch mehr als 40 Post-Covid-Patienten versorgt, berichtet die Chefärztin der Intensivtation, Claudia Siebel. "Aktuell befinden sich sieben bei uns", sagt die Anästhesistin und Intensivmedizinerin .

Alle Schwerstbetroffenen haben unabhängig von Erkrankung oder Schädigung miteinander gemeinsam, dass sie zuvor über Tage oder Wochen intensivmedizinisch in einem Akutkrankenhaus erstversorgt wurden. Zudem wurden alle maschinell beatmet. Gerade Covid-Patienten haben schwerste Lungenschädigungen erlitten. Im Extremfall hat das Virus das Organ derart zersetzt, dass nicht einmal mehr der Gasaustausch zwischen Lunge und Blut gelingt - Die Lungenfunktion wird komplett von speziellen "ECMO"-Beatmungsmaschinen außerhalb des Körpers übernommen: Das heißt, das Blut des Patienten wird in die Maschine geleitet, dort von Kohlendioxid gereinigt, mit frischem Sauerstoff angereichert und zurück in den Körper gepumpt. Während dieser Prozedur befindet der Patient sich meist in einem künstlichen Koma. "Anders wäre das nicht auszuhalten. So eine Behandlung ist nur in medizinischen Zentren möglich, hier in der Region in Würzburg und Bad Neustadt", erläutert Siebel.

Auch wenn der Covid-Patient sich soweit erholt, dass zumindest der Gasaustausch wieder funktioniert, ist er dennoch weiter auf künstliche Beatmung angewiesen. In diesem Zustand ist es jedoch möglich, ihn in die Bavaria zu verlegen. "Die Patienten kann man nicht einfach von der Beatmungsmaschine abhängen und dann auf Reha schicken. Sie brauchen eine intensivmedizinische Nachbetreuung", erklärt die Chefärztin. Ihre Chancen zu überleben sind zwar gestiegen, dennoch müssen sie rund um die Uhr überwacht werden. In Einzelfällen könne sich der Gesundheitszustand verschlechtern und Patienten sterben. Unter den 40 Post-Covid-Patienten war ein Todesfall in der Bavaria zu beklagen.

Sie betont: "Unser Anspruch ist, möglichst jeden gesund zu machen. Die allermeisten haben es nach Hause geschafft, mit Einschränkungen." Das heißt, nach vielen Wochen auf der Intensivstation und weiteren Monaten in der Reha, können die Patienten nach Hause entlassen werden. Dort sind sie weiter auf Sauerstoff oder Gehhilfen angewiesen oder haben mit anderen Folgeschäden wie etwa verlorenen Gliedmaßen zu leben.

Therapieziel: Atmen, Schlucken, Hinsetzen

Hauptaufgabe auf der Intensivstation ist es, die Betroffenen von der Beatmungsmaschine zu entwöhnen. Nach einem beinahe tödlichen Krankheitsverlauf und langer Zeit auf der Intensivstation ist der Körper geschwächt und hat den Großteil seiner Muskeln verloren. Die Patienten müssen erst wieder Muskulatur aufbauen um selbst zu atmen - daran dass sie sich im Bett selbstständig drehen oder gar aufzusetzen, ist in dem Zustand noch nicht zu denken. Auch das Sprechen und Schlucken muss neu gelernt werden. "Da versuchen wir parallel vorzugehen", sagt Siebel.

Die Beatmungsmaschine wird für ein paar Minuten entfernt. In der Zeit stimulieren Logopäden den Mund. "Das ist anfangs die größte Anstrengung des Tages. Das steigern wir, bis der Patient 24 Stunden ohne Beatmungsgerät durchhält." Es dauert, bis der Patient wieder in der Lage ist, zu Schlucken - erst den eigenen Speichel und später Nahrung. Für die Therapie brauche es ein multiprofessionelles Team. Alle Berufsgruppen müssten empathisch vorgehen, und: "Es braucht sehr viel Manpower", betont Siebel. Drei Therapeuten arbeiten zum Teil gleichzeitig an einem Patienten.

Meist keine Hirnschäden, aber dauerhafte Schwäche

"Was uns bei Post-Covid-Patienten auffällt, ist, dass sie sehr lange Erholungsphasen haben", berichtet die Chefärztin. Die Leistungsfähigkeit kehrt nur langsam wieder. Betroffene sind über lange Zeiträume sehr geschwächt und erschöpft - auch Monate später zuhause noch. Das Gehirn jedoch wird anscheinend weniger stark in Mitleidenschaft gezogen. "Die allermeisten, wenn sie die schwere Phase überstanden haben, sind gut in der Lage, sich zu reorientieren. Wir sehen bisher meist keine offensichtlichen Hirnstörungen. Wenn das Gehirn nicht gelitten hat, sind wir besonders dankbar", sagt sie.

15 bis 30 Tage bleiben Post-Covid-Patienten durchschnittlich auf der Intensivstation in der Bavaria. Sobald sie die Beatmungsmaschine nicht mehr benötigen und nicht mehr rund um die Uhr überwachungspflichtig sind, wird es für sie Zeit, umzuziehen: Drei Stockwerke tiefer auf eine reguläre Station für neurologische Reha. Dort stehen ihnen Monate des Trainings bevor. Für einen Tag auf einer Intensivstation lässt sich eine Woche Rehabedarf veranschlagen.

In der Neuro-Reha werden die Post-Covid-Patienten der zahlenmäßig größten Patientengruppe zugerechnet: Menschen mit "Critical Illnesss Polyneuropathie". "Das sind Patienten mit einer großen Kraftlosigkeit aufgrund einer schweren Grunderkrankung", erklärt Siebel. Anfangs bekommen sie Einzeltherapien auf ihrem Zimmer. Die Feinmotorik wird geübt, selbstständiges Essen und Trinken, sie erhalten Wasch- und Anziehtrainings, üben zu laufen oder im Rollstuhl zu fahren. Logopädische Einheiten gehören zur Reha ebenso wie kognitive Übungen mit Psychologen. "Die meisten sind glücklich, wenn sie es das erste Mal auf unsere Terrasse schaffen", sagte die Chefärztin. Stabilisiert sich der Zustand weiter, können die Patienten auch an Gruppeneinheiten teilzunehmen.

Aber auch nach der Entlassung ist die schwere Infektion mit Covid-19 oft noch nicht überstanden. Viele berichten von Langzeitfolgen, wie etwa Erschöpfungszuständen. Der Kampf zurück ins Leben geht weiter.

 
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