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BAD KISSINGEN
Pools aufschlitzen als „Ausdruck der Ohnmacht“
Bei Familie Pilip in Niederlauer, links Martina, rechts Richard Pilip, hat ein Unbekannter Ende August 2016 den Pool im Garten aufgeschlitzt. Der Sommerspaß für sie und ihre drei Söhne war damit vorbei.
Foto: Julia Back | Bei Familie Pilip in Niederlauer, links Martina, rechts Richard Pilip, hat ein Unbekannter Ende August 2016 den Pool im Garten aufgeschlitzt. Der Sommerspaß für sie und ihre drei Söhne war damit vorbei.
Ralf Ruppert
 |  aktualisiert: 11.12.2019 18:40 Uhr

Sieben Jahre lang trieb der sogenannte Pool-Schlitzer sein Unwesen, in 47 Fällen wurden Planschbecken und größere Kunststoff-Pools beschädigt. Im September fasste die Polizei einen damals 27-Jährigen aus dem Landkreis Bad Kissingen. Die Staatsanwaltschaft wirft ihm nun 17 Fälle der Sachbeschädigung vor, in neun Fällen kommt Diebstahl dazu. „25 weitere Fälle wurden eingestellt“, berichtet Hubert Petrik, stellvertretender Leiter des Amtsgerichts Bad Kissingen. Ein Verhandlungstermin steht noch nicht fest.

Warten auf Gerichtsurteil

Eingestellt wurden laut Petrik auch die Vorwürfe wegen Hausfriedensbruchs. „Aber die Umstände der Tat werden bei der Findung des Urteils natürlich berücksichtigt“, sagt Petrik ganz allgemein zum Ablauf eines Strafprozesses. Die Verunsicherung, die die Taten in der Region verbreiteten, würden also nicht unter den Tisch fallen, auch wenn der Vorwurf „nur“ auf Sachbeschädigung laute. Petrik selbst ist für den Fall nicht zuständig, gibt deshalb auch keine Schätzung ab, wann er verhandelt wird. Vor allem falls weitere Gutachten notwendig seien, dürfte das Urteil aus seiner Sicht vermutlich erst im kommenden Jahr gesprochen werden.

„Von uns ist kein Gutachten eingeholt worden“, berichtet Leitende Oberstaatsanwältin Ursula Haderlein. Sachbeschädigungen seien „kein Fall für eine Unterbringung“, auch bei der Frage der Schuldfähigkeit sah die Staatsanwaltschaft Schweinfurt keinen Anlass, eine medizinische Fach-Meinung einzuholen. Mit der Weitergabe der Anklageschrift ans Gericht im August hat die Staatsanwaltschaft auch die Zuständigkeit abgegeben und macht keine weiteren Angaben zum Fall.

Interaktive Karte: Hier war der Pool-Schlitzer aktiv

 

„Wir warten auf die Verhandlung“, sagt Stefan Haschke, Leiter der Bad Kissinger Polizei. „Danach ist bisher nichts mehr passiert“, freut er sich, dass die Serie hoffentlich aufgeklärt ist. Dass dem Verdächtigen nur 17 von insgesamt 47 Fällen eindeutig zugeordnet werden konnten, liege am langen Zeitraum, über den sich die Taten erstreckten.

Keine Ermittlungen mehr

Bereits bei der Festnahme vermutete die Polizei, dass es in einzelnen Fällen auch Trittbrett-Fahrer gab, aktuell laufen aber keine Ermittlungen mehr: „Wenn keine Serie vorliegt, zählen Sachbeschädigungen zu den Bagatellfällen. Wenn es da innerhalb von ein paar Wochen keine Hinweise gibt, werden die unter Unbekannt abgelegt“, beschreibt Haschke den Ablauf. Die Bad Kissinger Polizei zog im Laufe der Ermittlungen auch Fälle aus anderen Dienstbereichen an sich, etwa einen aufgeschlitzten Pool in Schondra vom Juni 2016.

Im Internet wieder aktiv

Auf die Verhandlung warten auch die Opfer. Für Unruhe sorgt bei ihnen die Nachricht, dass sich der mutmaßliche Täter bereits wieder auf Kleinanzeigen zu Schlauchbooten und Luftmatratzen im Internet meldete. „Das ist keine Straftat, der Verdächtige verhält sich ansonsten aus unserer Sicht absolut unauffällig“, sagt dazu Haschkes Stellvertreter Christian Pörtner.

Parallelen zum „Feuerteufel“

„Ich höre diese verrückte Geschichte zum ersten Mal“, sagt der renommierte Kriminologe Professor Christian Pfeiffer auf Anfrage zu dem Fall aus Unterfranken. Der langjährige Leiter des Kriminologischen Instituts Niedersachsen sieht aber Parallelen zu den sogenannten „Feuerteufeln“, also Menschen, die Brände legen: „Der Grundzug, anderen grundlos Leid zuzufügen und Entsetzen zu verbreiten, ist meist ein Ausdruck eigener Ohnmacht“, beschreibt Pfeiffer das Motiv, und: „Der Wiederholungszwang entsteht aus dem Erfolgserlebnis, nicht gefasst zu werden.“

Große mediale Aufmerksamkeit

Die mediale Aufmerksamkeit solcher Serien sei ein weiterer Antrieb. Für den unterfränkischen Pool-Schlitzer hatten sich die Medien bundesweit interessiert und groß berichtet.

Kriminologe Pfeiffer sagt, es sei trotzdem wichtig, über die Fälle zu berichten: „Ohne die Medien kriegt man die Täter meistens nicht“, betont Pfeiffer, und: „Die Medien sind unverzichtbar, auch wenn sie die Täter auf der anderen Seite anheizen.“ Typisch sei auch, dass die Täter „müde vom Zwang“ würden und deshalb absichtlich Spuren legten, die zu ihrer Ergreifung führen. Im Fall Pool-Schlitzer hatte sich der damals 27-Jährige mutmaßliche Täter mehrfach kurz vor den Taten auf Kleinanzeigen gemeldet.

Der Pool-Schlitzer

Von 2009 bis 2016 war der sogenannte Pool-Schlitzer im Bereich Main-Rhön unterwegs, der Schwerpunkt lag im Lauertal und in Bad Kissingen. Der reine Sachschaden betrug oft nur 30 oder 40 Euro, aber die Verunsicherung war groß. Viele Betroffene trauten sich nicht mehr in den Garten, Kinder durften nicht mehr draußen zelten, Gartenbesitzer rüsteten auf, bauten Zäune, installierten Bewegungsmelder und Scheinwerfer. Der Fall ging auch deutschlandweit durch die Medien: Privatsender und überregionale Zeitungen berichteten von betroffenen Familien.

Der mutmaßliche Täter wurde bereits für eine Brand-Serie 2013 verurteilt: Nachdem Heuballen oder eine Holzhütte brannten, kamen die Erst-Mitteilungen immer wieder von einer Person. Das führte die Polizei auf seine Spur. Schließlich gestand er, die Feuer auch gelegt zu haben. Deshalb und wegen einer Körperverletzung ist der 28-Jährige mittlerweile verurteilt. Im September 2016 gestand er dann auch die Beschädigung einiger Pools. Bei einer Hausdurchsuchung wurden unter anderem Luftmatratzen gefunden, die er an den Tatorten hatte mitgehen lassen. rr

 
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