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Plädoyer für lebenslanges Lernen
Was in Berlin vor 90 Jahren begann, stillt in Hammelburg seit über 60 Jahre manchen Wissensdurst.
Von unserem Redaktionsmitglied Katja Glatzer
 |  aktualisiert: 12.01.2012 18:43 Uhr

Bildung sollte für alle erschwinglich sein – dieses Leitbild hat sich die Volkshochschule auf die Fahne geschrieben. Heute vor 90 Jahren wurde im Bürgersaal des Roten Rathauses in Berlin die erste Volkshochschule gegründet. Auch in Hammelburg gibt es das Bildungsangebot der vhs seit bald 63 Jahren. Im Gespräch mit der Main-Post erzählt Geschäftsführerin Sieglinde Könemann-Merz über das Programm von damals, den Wandel der Zeit und die neuesten Trends. Seit 1994 leitet die heute 58-Jährige die Bildungseinrichtung in der Saalestadt.

Frage: 90 Jahre ist es her, dass die erste Volkshochschule gegründet wurde. Was bedeutet das für Sie als Leiterin der vhs in Hammelburg?

Sieglinde Könemann-Merz: Ich freue mich, dass die vhs schon über so einen langen Zeitraum hinweg erfolgreich Erwachsenenbildung betreibt. Es zeigt auch, wie wichtig und notwendig unser Angebot ist. Priorität hat, damals wie heute, dass wir Bildung für alle anbieten wollen, zu sozialverträglichen Preisen. Auch, wenn das nicht immer einfach ist.

Im Jahr 1949 entstand die vhs in Hammelburg. Wie sah denn damals das Angebot aus?

Könemann-Merz: Nach dem Krieg hatten die Menschen einen großen Nachholbedarf an Bildung. Vorträge zur Demokratisierung waren gefragt und berufsbildenden Kurse. Das Interesse stieg stetig. 1969 zum Beispiel gab es sieben Kurse mit insgesamt 96 Teilnehmern: drei Mathekurse, ein Sprachkurs und drei Stenokurse. Später kamen weitere Sprachen dazu, und der Hobby- und Freizeitbereich erweiterte sich. Besonders kreativ ging es ab Mitte der 70er Jahre zu. Zum Beispiel mit Ikonenmalerei, Puppenbasteln, oder Patchwork. Auch Kochkurse waren gefragt, „sie liefen damals über zehn Wochen“.

Welche Veränderungen gab es im Laufe der Zeit im Programm? Sagt dies etwas aus über die gesellschaftliche Entwicklung?

Könemann-Merz: Natürlich. Ein Kochkurs über zehn Wochen wäre heute nicht mehr denkbar. Das Freizeitverhalten hat sich verändert, und die meisten Menschen sind durch ihren Beruf stärker beansprucht als früher. Sie wollen und können sich nicht auf eine längere Zeitspanne hin festlegen. Veränderungen im Programm gab es besonders Ende der 90er Jahre. Die kreativen Seminare waren plötzlich weniger gefragt, alles rund um den Computer lag im Trend. Wir haben es geschafft, EDV einer breiten Bevölkerungsschicht zugänglich zu machen. Auch Leute, die sich keinen PC leisten konnten, konnten sich weiterbilden. Wir haben immer versucht, uns den Erfordernissen des gesellschaftlichen Wandels anzupassen und manchen Entwicklungen voraus zu sein.

Ist das Angebot auf dem Land anders als in Großstädten?

Könemann-Merz: Klar gibt es in der Großstadt mehr Möglichkeiten. Da können zum Beispiel Erwachsene ihren Schulabschluss nachholen oder auch Sprachprüfungen ablegen. Auch die Kooperation mit den Arbeitsämtern ist besser. Das können wir hier nicht leisten. Trotzdem bemühen wir uns um ein facettenreiches Programm.

Ist das Interesse an der vhs im Laufe der Jahrzehnte gleich hoch geblieben?

Könemann-Merz: Die Zahlen stiegen immer stetig. Besonders in den 90er Jahren gab es nochmals einen Boom. 2001 war der Höhepunkt, dann gingen die Zahlen zurück und pendeln heute zwischen 2500 bis 3000 Teilnehmer pro Jahr. Vielleicht hing es mit der Einführung des Euro zusammen, dass die Leute zurückhaltender wurden. Aber wie gesagt spielt auch der schwindende Zeitfaktor eine Rolle. Ich habe vor jedem Hochachtung, der sich nach der Arbeit noch mal Zeit zum Lernen nimmt. Trotzdem bin ich zufrieden mit der Teilnehmerzahl.

Wie wichtig sind Angebote zum Entspannen in einer von Burnout geprägten Gesellschaft?

Könemann-Merz: Sehr wichtig. Aber ich denke, da sind wir gut aufgestellt mit Qi Gong, Yoga oder Autogenem Training. Schon in den 80er Jahren hatten wir Entspannungskurse im Programm, da waren wir Vorreiter. Heute ist die Konkurrenz natürlich größer. Überhaupt interessiert vieles rund ums Thema Fitness und Gesundheit. Bei manchen Kursen muss man zwei oder drei Versuche starten, bis die Neugierde geweckt ist. So war es zum Beispiel mit der Wassergymnastik. Jetzt ist es der große Renner.

Der Sparzwang der Städte und Gemeinden wird immer höher. Was hat das für Auswirkungen auf die vhs?

Könemann-Merz: Wir sind von Zuschüssen abhängig, mit denen wir Personalkosten decken und unser Programmheft finanzieren. Die momentane Förderung ist an der unteren Bedarfsgrenze. Es wird immer schwieriger, mit dem Betrag auszukommen, denn die Mieten werden teurer und verschiedene Anschaffungen stehen an. Was das Programmheft angeht, versuchen wir über die Hälfte der Kosten durch Inserate zu finanzieren.

Das neue Programm ist draußen und am morgigen Samstag ist Einschreibetermin: Was gibt es aktuell für Neuerungen und interessante Kurse?

Könemann-Merz: Oh, einiges. Geschichtsinteressierte können sich mit historischen Texten auf die Reise ins Rittergut Bonnland begeben, während andere sich mit Feng Shui oder dem Entrümpeln ihrer Wohnung beschäftigen. Auch indisch kochen steht auf dem Plan oder „Latin move“, die Tanzfitness zu lateinamerikanischen Rhythmen. Für Kinder haben wir Waveboarding im Angebot oder die Tanzwerkstatt „Let's dance“.

Was wünschen Sie sich für die Zukunft?

Könemann-Merz: Für die vhs Hammelburg wünsche ich mir, dass uns die Mittel nicht gekürzt werden. Ein großer Traum wären eigene Räumlichkeiten, über die wir verfügen können. Dann könnten wir auch tagsüber Kurse anbieten. Und natürlich wünsche ich mir, dass es weiterhin viele Lernwillige gibt, die sich für das Motto der vhs „lebenslanges Lernen“ begeistern.

 
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