Am Abend des 8. Oktober 2023 – das war ein Sonntag – kurz nach 20 Uhr stand der junge ungarische Pianist Mihály Berecz auf dem Podium des Max-Littmann-Saals und erfuhr etwas, das er zwar erhofft, aber nicht unbedingt erwartet hatte: Er hatte gerade den 21. Kissinger KlavierOlymp gewonnen und hielt seine Siegerurkunde in der Hand.
Jetzt stand er wieder an derselben Stelle, auch wieder neben einem Flügel, aber um sich herum ein Orchester und zur Rechten ein Dirigent: Mihály Berecz war gekommen, um seinen Wettbewerbsgewinn einzulösen: ein Auftritt als Solist mit der Deutschen Kammerphilharmonie unter der Leitung von Jérémie Rohrer. Gemeinsam führten sie das 3. Klavierkonzert von Ludwig van Beethoven auf.

Neue Möglichkeiten
Was ist in den letzten acht Monaten im Leben von Mihály Berecz geschehen. Hatte dieser Gewinn überhaupt Konsequenzen. Eine Frage, die er entschieden mit „ja“ beantwortet. Denn zum einen hat sich etwas verändert, was man als Außenstehender gar nicht auf der Rechnung hat: „Ich habe eine neue Agentin. Das kam durch die Kissinger KlavierOlymp.“
Eine Konzertagentur in Berlin hat ihn unter ihre Fittiche genommen: „Das war alles ganz neu für mich, mit so einem internationalen Management zusammenzuarbeiten. Und dadurch hatte ich sehr schöne Erlebnisse“.
Unter anderem in Amsterdam: „Da hatte ich mein Debüt im Concertgebouw mit dem Niederländischen Rundfunkorchester unter Tarmo Peltokoski, einem ganz jungen und wunderbaren finnischen Dirigenten . Da habe ich das 1. Klavierkonzert von Tschaikowsky gespielt.“
Highlight: Bad Kissingen
Mihály Berecz weiß, was sich gehört: „Es ist natürlich ein Highlight für mich, dass ich nach Bad Kissingen zurückkommen darf, woran ich wunderschöne Erinnerungen habe und wo ich mit so einem tollen Orchester zusammenspielen darf."
Probleme gab es im Vorfeld keine. Mihály Berecz schickte eine Liste mit Klavierkonzerten , die er im Repertoire hat und die er gerne spielt: „Das 3. Beethovenkonzert spiele ich schon seit 12 Jahren. Auf das haben wir uns sehr schnell verständigt.“
Es gab nur eine Probe in der Berufsschule in Bremen-Tenever, wo die Kammerphilharmonie ihr Probenquartier hat. Mehr war nicht nötig: „Es ist gar nicht so einfach mit Konzerten, die man so oft hört und spielt. Es hängt viel von der Energie ab und von der Art, wie wir kommunizieren, wie wir miteinander umgehen. Mit den Mitgliedern des Orchesters war die Energie sofort da, und es war sehr einfach. Auch mit Jérémie Rhorer, obwohl wir uns vorher gar nicht gekannt haben.“
Der Auftritt
Längere Diskussionen über interpretatorische Fragen gab es nicht. „Wenn alles gut geht, braucht man das nicht. Man kann das einfach fühlen, und mit Jérémie war das so. Ein paar Kleinigkeiten mussten wir besprechen, aber sonst war nach meinem Eindruck alles klar.“
Allerletzte Fragen lassen sich ja auch noch in der Anspielprobe vor dem Konzert klären. Und wie war dann die Aufführung? Mihály Berecz hält es mit dieser Frage wie seine Kollegen: Er beantwortet sie nicht oder nicht gerne: „Ich habe mich in dem Saal klein gefühlt, aber ich hatte ein wunderbares Publikum.“ Aha!
Die glasklare Nüchternheit des Klanges
Das mit dem Publikum stimmte. Denn wer gekommen war, war aus echtem Interesse gekommen und hatte den Nagelsmann-Buben das Nachsehen gegeben. Aber „klein gefühlt“? Der „kleine“ Mihály Berecz hätte bestimm nicht so gespielt, wie er gespielt hat, und das in völligem Einvernehmen mit dem Orchester.
Denn was sofort auffiel, war die glasklare Nüchternheit des Klanges oder jegliches Fehlen einer Neigung zum virtuosen Pathos. Mihály Berecz und Jérémie Rohrer verzichteten auf jede übertreibende virtuose Geste und taten nur das, was zu tun war. Und das Orchester spielte so, wie man es seit 2017 kannte: außerordentlich konzentriert und engagiert und mit sichtlicher Freude am Tun.
Frische Tempi, plastische Agogik und spannende Dynamik
Die umfangreiche Orchesterexposition entwickelte nach leisem Unisono-Beginn schon nicht eine weihevolle Stimmung, sondern brachte gutgelaunten Schwung ins Spiel. Schließlich konnte es ja auch drei Themen vorstellen.
Hier legte Jérémie Rhorer die stilistische Marschrichtung schon fest: frische Tempi, eine plastische Agogik mit deutlichen, sinnfälligen Übergängen und eine stark differenzierte, spannende Dynamik. Was nicht heißt, dass es laut zugehen muss: Rhorer ist eher ein Freund der leiseren, kammermusikalischen Tönen, was natürlich auch die Zusammenarbeit mit dem Klavier zu einer wunderbaren Sache macht.
Und in der Tat: Mihály Berecz musste sich seinen späten Einsatz nicht erkämpfen. Er setzte bei seiner Themenübernahme relativ lakonisch ein, brauchte auch angenehm wenig Pedal und lenkte so, wie auch das Orchester, die Aufmerksamkeit von der Aufführung zur Musik.
Problemlose Zusammenarbeit von Solist und Orchester
Überhaupt funktionierte die Zusammenarbeit zwischen Solist und Orchester ausgezeichnet. So wählte Berecz für den Beginn des zweiten Satzes – da ist er alleine tonangebend – ein ausgesprochen langsames, nachdenkliches, poetisches Tempo, das trotzdem spannend wurde.
Das Orchester ließ sich darauf ein, und so entstand ein intensiver Dialog, der es sich leisten konnte, sich Zeit zu nehmen. Federnd nahm der letzte Satz im Klavier Fahrt auf. Hier war es jetzt das Orchester, das sich etwas ungeduldig verhielt, das Tempo wollte – und bekam – und trotzdem kammermusikalisch blieb. Der Übergang in die Coda war so schön gezogen, dass man herzhaft lachen konnte.
Als Zugaben spielte Mihály Berecz die Corrente aus der Partita e-Moll BWV 830 und Béla Bartòks „Drei Volkslieder aus dem Komitat Csik“.
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