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Münnerstadt
Pharmahonorare im Kreis Bad Kissingen: Transparenz mit Gschmäckle
Arzneimittelhersteller zahlen jedes Jahr 500 Millionen Euro an Ärzte und Kliniken, auch an mindestens 43 im Landkreis Bad Kissingen.
Benedikt Borst
 |  aktualisiert: 18.08.2022 23:20 Uhr
Bernd Seese ist ein ausgewiesener Experte in der Lungenheilkunde. Der ärztliche Direktor und Chefarzt für Pneumologie am Thoraxzentrum in Münnerstadt behandelt Patienten mit den verschiedensten Lungenerkrankungen angefangen bei chronischer Bronchitis, über Tuberkulose bis zu Bronchialkarzinomen. Rund 3500 Menschen werden jedes Jahr in der Fachklinik des Bezirks Unterfranken behandelt.
Weil Seese ein anerkannter Experte ist, hält er mehrmals im Jahr als Referent Vorträge. Bezahlt werden diese von Pharmakonzernen. Mehr als 11 000 Euro hat das Thoraxzentrum 2015 und 2016 von fünf Unternehmen erhalten, darunter die Berlin Chemie AG, Bayer und Novartis. Die Zahlungen dienen der Fortbildung und damit dem Wohl des Patienten, argumentiert Seese. Kritiker wie der Psychiater Klaus Lieb und die SPD-Bundestagsabgeordnete Sabine Dittmar bemängeln dagegen Interessenskonflikte und weisen darauf hin, dass es neutrale Bildungsangebote gibt.


Facharzt als Vermittler

Für Ärzte gibt es eine Fortbildungspflicht.Um selbst auf dem aktuellsten Stand der Forschung zu bleiben, besucht Seese Fachkongresse, auf denen er sich über neue Behandlungsmethoden und Medikamente informiert. "Das kommt dem Patienten zugute", sagt der Lungenfacharzt. Es brauche Zeit, bis sich neue Erkenntnisse in der Praxis durchsetzen.
Das Wissen über neue Präparate und Behandlungen, das der Spezialist sich auf Fachtagungen aneignet, trägt er anschließend in die Breite, etwa zu Hausärzten. Ein Allgemeinarzt sei ein Allrounder, der mit einer großen Vielzahl an Erkrankungen konfrontiert sei. "Er hat aber keine Zeit, jeden Fachkongress zu besuchen und sich einzuarbeiten", erklärt Seese. Auch Lehrbücher eignen sich seiner Meinung nach nicht, aktuelles Wissen zu transportieren. Bis ein Buch erschienen ist, ist es im Hinblick auf die schnell voranschreitende Forschung auch wieder veraltet. "Ein ganz wichtiger Punkt bei der Weiterbildung sind deshalb Vorträge", so der Pneumologe.
Hält Seese einen Vortrag, lässt er sich das vorher von seinem Arbeitgeber genehmigen. Die Vorträge finden vor allem in der Region statt und richten sich an hiesige Hausärzte. Die Allgemeinmediziner benötigen die Vorträge wiederum für Fortbildungspunkte, die die Kassenärztliche Vereinigung und die Ärztekammer fordern. Alles ein üblicher Vorgang im Gesundheitswesen. Für lau gibt es das Engagement von Seese natürlich nicht, auch wenn die Veranstaltungen und die Vorbereitung in seiner Freizeit stattfinden. Die Kosten für den Wissensaustausch übernehmen deshalb Novartis, Bayer und Co.


Transparenzprojekt der Industrie

Vor zwei Jahren hat die deutsche Pharmaindustrie zum ersten Mal offen gelegt, wie viel Geld sie an Ärzte hierzulande zahlen: 575 Millionen Euro gingen 2015 an 71 000 Ärzte, Heilberufler und medizinische Einrichtungen. Ein knappes Drittel hat zugestimmt, dass die an sie geleisteten Zahlungen veröffentlicht werden dürfen, darunter auch 43 Mediziner aus dem Landkreis Bad Kissingen - wie Bernd Seese und das Thoraxzentrum.
Die Industrie bezeichnet die Veröffentlichung als Transparenzprojekt - ein Name, der sehr beschönigend wirkt, angesichts der Tatsache, dass zwei von drei Empfängern eine Veröffentlichung ablehnen. Das Projekt soll jedenfalls der Öffentlichkeit helfen zu verstehen, "wie sich die Zusammenarbeit von Unternehmen und Medizinern gestaltet", heißt es vom Verband Forschender Arzneimittelhersteller (VFA). Ärzte fertigen Untersuchungen zur Wirksamkeit und Sicherheit von Medikamenten an und werden dafür bezahlt. Außerdem unterstützt die Industrie den wissenschaftlichen Austausch von Ärzten im Rahmen von Fortbildungsveranstaltungen.


Kritiker sehen Interessenskonflikt

Die sogenannten Anwendungsbeobachtungen verfehlten oft die Ansprüche an wissenschaftliche Studien, heißt es von Kritikern. Sie bemängeln mögliche Interessenskonflikte, die die Mediziner beeinflussen können. Professor Klaus Lieb (Uniklinik Mainz) kommt in einer Untersuchung von 2014 zu dem Schluss,. industrienahe Ärzte verordneten im Schnitt höherpreisige Präparate, betonten die Vorteile von Medikamente und neigten dazu, die Risiken herunterzuspielen.
Seese tritt dem entgegen: "Die Vorträge sind nicht produktgetrieben von einem Hersteller. Sonst würde man in Verruf kommen." Er betreibe keine Werbung für ein Präparat, sondern setze sich anhand wissenschaftlicher Fakten mit Wirkstoffgruppen auseinander.
Sabine Dittmar, gesundheitspolitische Sprecherin ihrer Fraktion im Bundestag, sieht von der Industrie bezahlte Veranstaltungen skeptisch. "Ich glaube, man ist nicht darauf angewiesen, dass zum Beispiel die Firma Bayer das sponsort", sagt sie. Es gebe genug neutrale Kongresse. Als Ärztin habe sie früher zwar auch gesponsorte Vorträge besucht, aber "mir war immer klar, dass da kein für die Firma negatives Ergebnis vorgestellt wird". "Die Ärzte müssen wissen, wie sie mit den Infos umgehen", findet sie.
Dass ein Facharzt Wissen in die Breite trägt, "ist der übliche Weg des Wissenstransfers", sagt Seese dagegen. Finanziert werde die Innovation von denjenigen, die später einen potenziellen Nutzen davon haben, weil sie damit Geld verdienen. "Und das ist die Pharmaindustrie. Die Industrie braucht den Austausch."
Der Lungenfacharzt kritisiert, dass die Krankenkassen kein Extrabudget für Fortbildungen bereit halten. Generell fehle eine Ausbildungsvergütung für Kliniken. Die Kasse honoriert konkrete Leistungen, gleich ob sie ein Chef- oder ein Assistenzarzt erbracht hat. Dass ein junger Mediziner Betreuung braucht, mehr Zeit für eine Behandlung benötigt und auch eher einmal einen Fehler macht, werde nicht berücksichtigt und belaste kleinen, kommunale Kliniken.
 
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