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Bad Kissingen
Opfer fühlen sich oft schuldig
Unter dem Hashtag #metoo teilen Frauen gerade weltweit im Internet ihre Erfahrungen mit sexueller Gewalt. Wie geht es den Frauen in Bad Kissingen?
Sexuelle Belästigung - Symbolfoto: Christopher Schulz       -  Sexuelle Belästigung - Symbolfoto
Foto: Christopher Schulz | Sexuelle Belästigung - Symbolfoto
Redaktion
 |  aktualisiert: 19.08.2022 05:45 Uhr
Es geht längst nicht mehr nur um Hollywood: Seit der Missbrauchsskandal um Filmproduzent Harvey Weinstein ans Licht kam, solidarisieren sich weltweit Millionen von Frauen online unter dem Hashtag #metoo ("Ich auch"), um über ihre Erfahrungen mit sexueller Belästigung zu berichten. "Für Betroffene ist die Aktion eine gute Sache", findet Monika Römer. Sie ist Leiterin der Anlaufstelle für sexuelle Gewalt an Mädchen und Frauen in Schweinfurt und hat oft erlebt, dass sich Opfer selbst die Schuld an den Übergriffen geben. "Viele denken auch: Das passiert nur mir. Wenn das Problem aber öffentlich gemacht wird, bekommen sie mehr Selbstbewusstsein und merken, dass sie nicht alleine mit dem Thema sind."

Die Aktion wird aber längst nicht von allen gutgeheißen, oftmals als allzu feministisch oder männerfeindlich abgetan. "Gerade Täter reagieren so, spielen ihr Verhalten herunter oder bezeichnen die Frauen dann als zickig." In einzelnen Köpfen werde sich auch durch #metoo nichts verändern, räumt Römer ein. Aber: "Sexuelle Belästigung findet beispielsweise häufig am Arbeitsplatz statt. Wenn vom Chef aber die klare Ansage kommt, dass so ein Verhalten nicht toleriert wird, hat das hoffentlich eine Wirkung."

Mit der Beteiligung am deutschlandweiten Projekt "Luisa ist hier" setzt sich die Schweinfurter Gastronomie- und Clubszene für die Sicherheit von Frauen auch nach Feierabend ein. Fühlt sich eine Frau beim Ausgehen von einem Mann belästigt, kann sie sich mit dem Code "Ist Luisa hier?" an das Personal wenden. Dieses nimmt die Betroffene dann zur Seite, um für sie beispielweise ein Taxi zu bestellen oder Freunde anzurufen.

76 Meldungen sexueller Gewalt gingen im Jahr 2016 für die Main-Rhön-Region ein, bei sechs davon handelte es sich um sexuelle Belästigung, bei den anderen um Vergewaltigungen und sexuellen Missbrauch an Kindern. 13 Prozent der Meldungen kamen aus dem Landkreis Bad Kissingen.

Die Zahlen seien in den letzten Jahren relativ stabil geblieben, meint Monika Römer. Auffällig sei allerdings, dass sich sexuelle Belästigung in letzter Zeit auch in die Sozialen Medien verlagere. Unsittliche Berührungen und sexistische Sprüche seien die häufigste Form sexueller Belästigung, erklärt Polizeichef Stefan Haschke. Auf dem Rakoczy-Festival wurden dieses Jahr beispielsweise drei Frauen von einem Fahrradfahrer am Hintern begrapscht. Ähnlich erging es zwei Klinikpatientinnen, die von Männern an Po und Brust berührt wurden.

"Sexuelle Belästigung wird nur auf Antrag verfolgt", so Haschke. "Es obliegt also der Frau, ob sie Anzeige erstatten möchte." Die geringe Fallzahl für den Bad Kissinger Landkreis könne darauf beruhen, dass hier tatsächlich wenige Frauen sexuell bedrängt werden. Oder die Scham ist bei vielen einfach zu groß. "Ich kenne keine Frau, die noch nicht sexuell belästigt wurde" heißt es nämlich häufig in den #metoo-Posts.
Eine spontane Umfrage dieser Zeitung in Bad Kissingens Fußgängerzone ergab, dass hier sexuelle Übergriffe nicht wirklich ein großes Thema, die Welt scheinbar noch in Ordnung ist. "Mir geht"s gut und ich hoffe, das bleibt auch so" oder "Ich habe noch keine lebensverändernden Sprüche von Männern abbekommen", sagten die angesprochenen Frauen und winkten einfach nur ab.

Das kann die Wahrheit sein, doch Monika Römer weiß: "Sexuelle Belästigung wird oft verdrängt oder von Frauen erst als solche wahrgenommen, wenn sie wirklich massiv wird." Andere haben die Hashtag-Aktion im Internet noch gar nicht wahrgenommen.

Zu ihnen gehört auch Sophie*, die gerade mit ihrem Freund in Bad Kissingen zu Besuch ist und sich generell von Social-Media-Kanälen fernhält. Der 30-Jährigen fällt rückblickend keine Situation ein, in der sie sich durch einen Mann schon einmal unwohl gefühlt hätte. Freundinnen hätten ihr aber anvertraut, dass sie schon in der Diskothek angegrapscht worden seien. "In der Jugend gab es bestimmt viele blöde Sprüche, aber die kamen dann von Gleichaltrigen, deshalb habe ich sie nicht ernst und als verletzend wahrgenommen", erinnert sich die Psychotherapeutin. Sie findet es zwar gut, durch die Aktion auf dieses gesellschaftliche Problem aufmerksam zu machen, warnt aber auch vor voreiligen Posts. "Das Thema sollte auch nicht überfrachtet werden, nur um Männerhass anzuschüren."

Der 15-jährigen Annalena aus dem Bad Kissinger Landkreis wurden dagegen auf der Straße bereits häufiger sexistische Sprüche hinterhergerufen, zuletzt habe sie schlechte Erfahrungen mit Asylbewerbern gemacht. Allerdings hat sich die Zahl der sexuellen Delikte seit der Flüchtlingswelle in Bad Kissingen nicht erhöht, wie Stefan Haschke betont. "Ich mag es auch nicht, nachts alleine heimlaufen zu müssen, dabei habe ich mich schon unwohl gefühlt", gibt die Auszubildende zu. Ihr gefällt die Hashtag-Aktion: "Auf das Thema sollte auf jeden Fall mal aufmerksam gemacht werden. Ich würde mich auf Facebook auch daran beteiligen." Teresa Hirschberg


* Namen von der Redaktion geändert

Was steckt hinter #metoo?

Der Hashtag Ins Leben gerufen wurde die Aktion von Schauspielerin Alyssa Milano, die auf Twitter Frauen dazu aufrief, unter dem Hashtag #metoo ihre Erfahrungen mit sexuellem Missbrauch online zu teilen.
Hilfe Die Anlaufstelle für sexuelle Gewalt an Mädchen und Frauen in Schweinfurt bietet telefonische und persönliche Beratungsgespräche an und ist auch Ansprechpartner für den Landkreis Bad Kissingen. Betroffene können sich unter Tel.: 09721/185 233 oder auf der Homepage unter www.frauen-gegen-gewalt.de informieren.
 
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