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Oberthulba
Auf dem Weg ins KZ: Der Rucksack von Regina Berney
Bewegende Reden bei der Einweihung des „Denkorts“ Aumühle vor der früheren Synagoge in Oberthulba.
Bürgermeister Mario Götz bei seiner Ansprache. Im Hintergrund ist der künstlerisch umgesetzte Rucksack der Jüdin Regina Berney zu sehen.       -  Bürgermeister Mario Götz bei seiner Ansprache. Im Hintergrund ist der künstlerisch umgesetzte Rucksack der Jüdin Regina Berney zu sehen.
Foto: Hilmar Ruppert | Bürgermeister Mario Götz bei seiner Ansprache. Im Hintergrund ist der künstlerisch umgesetzte Rucksack der Jüdin Regina Berney zu sehen.
Hilmar Ruppert
 |  aktualisiert: 07.11.2023 16:18 Uhr

Vor der früheren Synagoge in Oberthulba wurde mit einer würdigen Feier der Denkort Aumühle eingeweiht. Das Gebäude steht im direkten Umfeld zur Kirche. Auf der rückwärtigen Seite verläuft die Ledergasse, in der auch die meisten jüdischen Familien gewohnt haben.

Synagoge als Gefangenenlager missbraucht

Nach dem Zweiten Weltkrieg und am Ende der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft sei die Synagoge zunächst als Gefangenenlager genutzt worden, so Bürgermeister Mario Götz in seiner Ansprache. Ab 1956 beinhaltete es die Gefrieranlage und seit den 1980er Jahren wird es vom Gesangverein und vom Roten Kreuz als Vereinsheim genutzt.

Der Rucksack von Regina Berney

2019 beschloss der Gemeinderat einstimmig, sich am Projekt „Denkort Deportationen“ zu beteiligen, und zwar mit einem Rucksack mit der Aufschrift 656. Das Original wurde von einem einheimischen Sattler für Regina Berney gefertigt, die ihn im Alter von 64 Jahren auf dem Weg zur Deportation getragen haben soll. Dieser Rucksack und viele andere Gepäckstücke symbolisieren den Verlust und das Verschwinden von Jüdinnen und Juden aus ihren Heimatgemeinden.

„Keiner von uns trägt die Verantwortung für das, was geschehen ist“, sagte Götz. Aber es sei unsere Verantwortung als Gesellschaft, die Erinnerung an diese schrecklichen Taten stets wach zu halten. „Wir lebten in Deutschland seit 1945 in Frieden“, aber der aktuelle Krieg auf europäischem Boden und die kriegerischen Auseinandersetzungen auf der ganzen Welt würden zeigen, wie fragil die aktuelle Lage sei.

Erinnerung und Mahnung

Die Generation der Zeitzeugen werde es bald nicht mehr geben, deshalb sei es wichtig, die Erinnerung und die Mahnung zu wahren. Der Rucksack wurde 2019 auf der Rückseite der ehemaligen Synagoge aufgestellt. Gleichzeitig habe er sich dann zusammen mit Gotthard Schlereth , Kreisheimatpfleger Roland Heinlein, sowie Kolleginnen und Kollegen der Verwaltung und des Staatsarchivs um die Ausarbeitung von drei Gedenktafeln gekümmert, erklärte Götz. Der Bürgermeister bedankte sich bei den Verantwortlichen für die mühevolle Recherchearbeiten. Im Rahmen der Planungen für die Tafeln habe man sich dann dazu entschieden, den Gedenkort an diese Stelle zu verlegen.

Heinlein erinnerte an die Befreiung des größten Vernichtungslagers Auschwitz. Unter den Opfern seien auch vier jüdische Menschen gewesen, die in Oberthulba geboren wurden. 1942 seien die letzten Juden, darunter auch Kinder, auf einem Lastwagen zur Sammelstelle in Würzburg und von dort per Bahn in den Osten Polens verbracht worden, wo sie dann umgekommen seien. Viele gebürtige jüdische Bürger Oberthulbas hätten versucht, durch Umzug eine Auswanderung zu ermöglichen oder unterzutauchen.

Hinter den Namen stehen Schicksale

Mit Schiff, Löbenfried und Distelburger habe es drei Familien gegeben, deren Spuren sich 100 Jahre zurückverfolgen ließe. Hinter jedem Namen auf der Liste stehe ein Schicksal, exemplarisch dafür Rudy Sally Schiff: Rudy und seine Stiefmutter Frieda verkauften 1937 ihr Haus am Marktplatz und zogen nach Frankfurt, dort heiratet Frieda erneut, stirbt aber schon 1939. Sie ruht auf dem gleichen Friedhof wie Simon. Ihr zweiter Mann wird ohne Rudy abtransportiert, von Rudy gibt es danach kein Lebenszeichen mehr. Ludwig Englisch, ein Verwandter von Rudy und Nachfahre der Familie Schiff wäre gerne bei dem Termin dabei gewesen, konnte aber aus gesundheitlichen Gründen nicht kommen.

Wichtigstes Gebet gesprochen

Der stellvertretende Landrat Gotthard Schlereth erinnerte an die Veranstaltung „1700 Jahre Jüdisches Leben in Deutschland“, sowie an die 25 Jahre bestehende Partnerschaft des Landkreises Bad Kissingen mit dem Partnerlandkreis Tamar in Israel. „Das Christentum ist ohne das Judentum nicht vorstellbar“, sagte Schlereth. Mit dem Kaddischgebet – eines der wichtigsten Gebete im Judentum – gedachte Bernd Bös den deportierten und ermordeten jüdischen Bürgerinnen und Bürgern von Oberthulba . Es werde vor allem auch zum Totengedenken gebetet. In diesem Gebet hieß es: „Sein großer Name sei gepriesen in Ewigkeit, in Ihm seid ihr geborgen, obwohl euer Leben vernichtet wurde, als sei es nichts wert…“

Zur Gedenkfeier begrüßte Bürgermeister Götz noch Dr. Riccardo Altieri vom Dr. Johanna Stahlzentrum in Würzburg, sowie Benita Stolz vom Verein Denkort Deportationen e.V. Zum Austausch fand anschließend ein kleiner Empfang im Rathaus statt.

Der stellvertretende Landrat Gotthard Schlereth bei seiner Rede.       -  Der stellvertretende Landrat Gotthard Schlereth bei seiner Rede.
Foto: Hilmar Ruppert | Der stellvertretende Landrat Gotthard Schlereth bei seiner Rede.
Gotthard Schlereth, Altbürgermeister und Vize-Landrat,  Riccardo Altieri, Bernd Bös (Kirchenteam Oberthulba), Roland Heinlein (Kreisheimatpfleger), Benita Stolz (Vorsitzende des Vereins Denkortdeportationen e.V. Würzburg) Mario Götz (Bürgermeister...       -  Gotthard Schlereth, Altbürgermeister und Vize-Landrat,  Riccardo Altieri, Bernd Bös (Kirchenteam Oberthulba), Roland Heinlein (Kreisheimatpfleger), Benita Stolz (Vorsitzende des Vereins Denkortdeportationen e.V. Würzburg) Mario Götz (Bürgermeister) und  Elisabeth Böhrer (Forscherin von jüdischen Schicksalen).
Foto: Hilmar Ruppert | Gotthard Schlereth, Altbürgermeister und Vize-Landrat, Riccardo Altieri, Bernd Bös (Kirchenteam Oberthulba), Roland Heinlein (Kreisheimatpfleger), Benita Stolz (Vorsitzende des Vereins Denkortdeportationen e.V.
 
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