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Bad Kissingen
Oberst a.D. Danzer: "Wir brauchen Abrüstung. Unbedingt."
Interview mit NATO-Experten über den geschwächten Westen, wie Russland schon lange unkonventionellen Krieg gegen Deutschland führt und wie wichtig Europa für die USA ist - egal, wer US-Präsident wird.
Herbert Danzer, Oberst a.D., Bad Kissingen       -  Herbert Danzer, Oberst a.D. aus Bad Kissingen, ist ein fundierter Kenner Russlands.
Foto: Susanne Will | Herbert Danzer, Oberst a.D. aus Bad Kissingen, ist ein fundierter Kenner Russlands.
Susanne Will
 |  aktualisiert: 10.12.2024 02:38 Uhr

Die USA wollen 2026 Marschflugkörper und Luftabwehrraketen in Deutschland stationieren. Russlands Präsident Putin hat gewarnt, er würde mit der Stationierung ähnlicher Waffen an seiner westlichen Grenze antworten. Putin sieht einen Rückfall in den Kalten Krieg, der den älteren Generationen vor allem in unserer früheren Grenzregion, wo sich die Nato und der Warschauer Pakt gegenüberstanden, noch deutlich im Gedächtnis ist. Wie konnte es soweit kommen? Wie geht der Krieg unter einem möglichen US-Präsidenten Trump weiter? Und wie umgehen mit Parteien, die recht windige Narrative nutzen, um ihre Russlandfreundlichkeit zu unterstreichen? Antworten kann ein Bad Kissinger Experte geben. Herbert Danzer (76) aus Bad Kissingen ist Oberst a.D. und ausgewiesener Russlandexperte. Lesen Sie im ersten Teil des Interviews, was er zu den Themen Abrüstung, Ukraine-Krieg und die Präsidentschaftswahl in den USA sagt.

Herr Danzer, warum gelten Sie als Russlandexperte?

Seit gut 30 Jahren beschäftige ich mich mit Sicherheitspolitik, war davon zwölf Jahre international tätig, habe mit dem russischen Militär zusammengearbeitet. Ich war Zeitzeuge einer gut beginnenden Kooperation mit der NATO , aber auch der bis heute wirkenden Streitpunkte in den West-Ost-Beziehungen, etwa NATO-Erweiterung, Raketenabwehr, Rüstungskontrolle. Nach meiner Pensionierung 2007 wirkte ich mit an den Deutsch-Russischen-Dialogen des Verteidigungsministeriums, organisiert durch die Stiftung Wissenschaft und Politik in Berlin. Ich beteilige ich mich an Diskussionen, um mit Fakten falsche russische Propaganda oder Narrative zu entkräften, die sich immer mehr verbreiten. Dazu nutze ich auch Vorträge im Heiligenhof hier in Bad Kissingen, ein ausgezeichneter Ort für sachliche Diskussionen.

Sie waren Mitte der 90er Jahre in Moskau. Warum?

Als erster Offizier der Bundeswehr und noch dazu aus einem Nato-Land studierte ich an der höchsten Bildungsstätte der russischen Streitkräfte und schloss mit dem Diplom „Sicherheitspolitik des Staates“ ab. Das war eine wertvolle Vorbereitung auf die folgenden Verwendungen hinsichtlich militärischem Denken sowie Sprachen- und Ortskenntnissen in Moskau, wo wir gut behandelt wurden und uns sehr wohl gefühlt haben.

Nachdem Sie Rüstungskontrolloffizier im Zentrum für Verifikationsaufgaben der Bundeswehr wurden, kamen Sie als Heeresattaché an die Deutsche Botschaft in Moskau. 

Ja. Im Zentrum war ich für die Auslandsinspektionen für konventionelle Waffen zuständig. Viele Inspektionen in Russland liefen professionell. Allerdings hat der Kreml diesen Vertrag 2015 verlassen, weil der Folgevertrag nicht fristgerecht von westlichen Staaten unterzeichnet wurde. Heute sind fast alle Rüstungskontrollabkommen immer mehr erodiert und Opfer der bilateralen Rivalität zwischen Washington und Moskau geworden. Was uns noch geblieben ist, ist das Wiener Abkommen mit Maßnahmen, um u.a. Truppenkonzentrationen und Übungen zu verfolgen. Auch hier beachtet Moskau die Bestimmungen seit Jahren nicht mehr. Der Washingtoner Vertrag wurde 2019 von den USA gekündigt, nachdem Russland Raketen mit einer Reichweite von über 2000 Kilometer entwickelte. Genau das sollte mit dem Vertrag, der die Vernichtung aller Mittelstreckenraketen mit einer Reichweite zwischen 500 und 5500 Kilometern vorsah, verhindert werden.

Sie wünschen sich wieder mehr Kontrolle und Abrüstung?

Unbedingt. Die Begrenzung von Waffensystemen ist dringend notwendig, wird aber immer schwieriger durch deren rasante technische Entwicklung – Hyperschall, KI-gesteuert, Drohnen. Hinzu kommen mehr Großmächte wie etwa China und Indien, die alle eingebunden werden müssen, um das weltweite Wettrüsten zu bremsen und die noch größere Weiterverbreitung von Atomwaffen zu verhindern.

Nun hat Washington angekündigt, neue Waffensysteme der USA in Deutschland zu stationieren. Putin selbst spricht jetzt vom erneuten „Kalten Krieg“.

Diese Maßnahmen sind eine Folge der oben geschilderten Entwicklung. 2019 hat die NATO bewusst nicht auf die neuen russischen Mittelstreckenwaffen mit reziproken Gegenmaßnahmen reagiert. Durch die erneute Aggression Russlands in der Ukraine und wegen Moskaus imperialen Plänen in Europa ist diese Entscheidung leider notwendig geworden, die hauptsächlich die westliche Abschreckung gegen diese neuen Bedrohungen wiederherstellt. Dies sollte unserer Bevölkerung noch deutlicher erklärt werden. Der Kreml hat dies wohl verstanden, was aus den wütenden Reaktionen zu sehen ist.

Was erlebten Sie während Ihrer Zeit als Heeresattaché in Moskau?

Als Diplomat an der Deutschen Botschaft u.a. die Sprengung zweier Wohnhäuser in Moskau, die wohl durch die Geheimdienste selbst ausgeführt wurden, den Beginn des zweiten Kriegs in Tschetschenien, die Übergabe der Amtsgeschäfte des Präsidenten Jelzin an Ministerpräsident Putin und sein Umbau des Staates zu der heutigen imperialen Diktatur, die ich bis zum August 2008 mit dem Krieg gegen Georgien auch nicht für möglich gehalten hatte.  

Sie waren auch Büroleiter der Nato Military Liaison Mission in Moskau.

Ja, mit deren Eröffnung 2002 begann eine neue, gute Zusammenarbeit, die Präsident Putin nach dem 11. September 2001 vorgeschlagen hatte. Selbst der völkerrechtswidrige Irakkrieg der USA 2003 und die Erweiterung der Nato um sieben neue Staaten wurden fast geräuschlos aufgenommen; Putin verneinte bei einer Pressekonferenz mit Bundeskanzler Gerhard Schröder eine Gefahr für Russland.

2005 gingen Sie für zwei Jahre nach Brüssel.

Als Leiter der Unterabteilung Russland-Ukraine im Internationalen Militärstab der Nato . Fragen und Streitpunkte wie Raketenabwehr oder Stützpunkte im Baltikum wurden mehrmals offen behandelt und russischen Zweifeln durch außerplanmäßige Besichtigungen vor Ort begegnet. Eine solche Transparenz der Allianz gegenüber wurde von Moskau leider nie eingeräumt. Als besondere Erfolge möchte ich erwähnen: die Rettung russischer Seeleute vor Kamtschatka in letzter Minute im August 2005, die Teilnahme russischer Kriegsschiffe an dem Antiterror-Einsatz des Bündnisses „Active Endeavour“ im Mittelmeer, sowie zahlreiche gemeinsame Übungen im Bereich Katastrophenschutz und taktische Raketenabwehr. Wir hatten neue, noch ehrgeizigere Vorhaben für 2008 geplant. Leider ist diese sehr positive Zusammenarbeit in der Öffentlichkeit nicht mehr präsent.

Auf der Münchner Sicherheitskonferenz 2007 hielt Putin eine Brandrede.

Ja, für alle, auch die russische Vertretung bei der Nato , kamen die Vorwürfe überraschend. In seiner Brandrede machte Putin den Westen verantwortlich für fast alle Probleme in Europa und nannte die Nato-Osterweiterung ein Bruch der Versprechungen sowie eine Bedrohung für Russland. Das war und ist unzutreffende Propaganda, die gern auch von unseren Politikern und Parteien wie vom Bündnis Sahra Wagenknecht mit der ,Nato-Expansion‘ übernommen wird. Die neuen Mitgliedsstaaten haben nach Wiedergewinn ihrer Souveränität völkerrechtlich verbriefte Rechte wahrgenommen.

Schade, dass die hochrangigen westlichen Teilnehmer in München die weitgehend unberechtigten Vorhaltungen nicht vor Ort entkräfteten. Wesentlicher Grund für Präsident Putin war wohl, dass er trotz guter Kooperation nicht die erhoffte Einflussnahme in Europa erhielt, um seinen Plan für die Wiederherstellung des russischen Imperiums verwirklichen zu können, in dem der Südkaukasus, die Ukraine, Belarus und das Baltikum als strategisches Vorfeld für Moskau vorgesehen sind.

Der Krieg in der Ukraine beginnt für Sie mit der Annexion der Krim 2014.

Ja. Eine Person hat diesen Vernichtungskrieg befohlen; in einem demokratischen Russland wäre dies nicht möglich gewesen! Das größte Land der Erde, zugleich die größte Atommacht der Welt, zugleich als Veto-Macht im Sicherheitsrat der Vereinten Nationen (UN) verantwortlich für den Weltfrieden, verletzt ihn in Europa. Moskau verstößt gegen alle Normen der Weltordnung sowie der Europäischen Sicherheitsorganisation. Hier sehe ich die großen Mächte in der Pflicht, einen Frieden herzustellen, der aber dauerhaft und gerecht sein muss sowie auf der Grundlage des Völkerrechts ruht. Die Ukraine muss verlässliche Sicherheitsgarantien erhalten, die höchste läge in der Nato . Sonst droht ein weiterer eingefrorener Konflikt. Ohne die Unterstützung des Westens wäre die Ukraine längst besiegt. Da nicht die größte mögliche Hilfe gegeben wird, wird der grauenvolle Krieg wohl weitergehen, bis vermutlich die Ukraine aufgeben muss.

Was hätte man tun können, um jetzt in einer anderen Situation zu sein?

Meine These: Internationale Krisen  wie Terror, Euro, Finanzwelt/Wirtschaft, Migration, Covid und der mitunter fragwürdige Kampf der USA gegen den internationalen Terror haben den Westen gefordert und geschwächt. Das Abgleiten Russlands in eine revanchistische Diktatur wurde zu lange ignoriert. Weniger Beschwichtigungspolitik seit 2008 hätte diese Aggression sehr wahrscheinlich verhindert. Mit mehr Ge- und Entschlossenheit der Weltgemeinschaft nach Angriffsbeginn wäre der Krieg wohl längst beendet.

Die Welt steht vor weiteren, sehr großen Herausforderungen wie Hunger, Migration, Klima (und eine neue Weltordnung?) und der Westen vor der Erkenntnis, dass Präsident Putin kein Partner mehr für Europa sein kann, wohl aber ein reformiertes Russland. Europa muss bis dahin seine Sicherheit vor und nicht mit dem Kreml organisieren.

Es werden bittere Fragen beantwortet werden müssen: Wie geht die Welt mit dem Aggressor nach einem Waffenstillstand um? Werden Sanktionen fortgesetzt? Sind VN-Charta und Helsinki-Schlussakte noch gültig? Nehmen wir die erzwungen Gebietsverluste der Ukraine hin und wer baut das Land wieder auf? Und können wir Russland helfen, einen anderen Kurs einzuschlagen? Ich habe Zweifel, ob wir darüber in Deutschland und Europa Konsens erreichen können.

Ihr Fazit?

Eine bittere Lehre aus der jüngsten Geschichte hat sich wiederholt. Ein zum Krieg entschlossener Alleinherrscher kann nicht mit Appellen, Friedensbeteuerungen und Beschwichtigungen aufgehalten werden.

Wir brauchen in unserem Land eine neue sicherheitspolitische Kultur, die die äußere Sicherheit als Voraussetzung unserer Staatlichkeit begreift. Wo sachliche Diskussionen über einsatzbereite Streitkräfte, Abschreckung und Kriegsvorsorge geführt werden können. Die Autokraten dieser Welt beobachten, wie wir uns zu diesem erneuten Krieg in Europa verhalten.

Wie hoch schätzen Sie die Gefahr ein, dass Russland den Krieg ausdehnt?

Die Gefahr besteht für alle, nicht nur für Deutschland. Es käme zum Bündnisfall, den es mit den Angriffen auf die USA am 11. September 2001 erstmals gab. Ein großer Angriff ist derzeit eher unwahrscheinlich. Wir sollten aber nicht vergessen, dass ein unkonventioneller Krieg Russlands gegen uns schon lange geführt wird in Form von Wahlbeeinflussung, Cyberangriffe, Desinformation und nuklearen Gewaltandrohungen, gegen die wir schlecht geschützt sind und die wir nicht angemessen beantworten.

Wie schätzen Sie den Kriegsverlauf ein, sollte Donald Trump noch einmal Präsident der USA werden?

Nicht mein Fachgebiet, aber meiner Meinung nach ist Trump eher unberechenbar. Aber eins versteht er: Die USA wieder groß zu machen wird nicht funktionieren, wenn er Europa klein macht. Möglicherweise erkennt er hinsichtlich der Ukraine auch, was für den Westen auf dem Spiel steht. Wir liegen zwischen USA und China – und werden als Basis für amerikanische Machtprojektion in den Indo-Pazifik gebraucht, in dem auch wir vorwiegend Handelsinteressen haben. Außerdem ist der US-Wahlkampf noch nicht entschieden und ich glaube nicht, dass er gewinnen wird. Unabhängig davon ist, dass das zerstrittene Europa es schafft, seine Interessen selbst verteidigen zu können mit einsatzbereiten Streitkräften in Nato und EU und einer aufeinander abgestimmten Sicherheitspolitik und Rüstungsindustrie mit allen positiven Synergieeffekten. Auf den nuklearen Schirm der USA bleiben wir aber immer angewiesen.

Info: Am Donnerstag, 8. August 2024, hält Herbert Danzer von 9 bis 12.15 Uhr einen Vortrag in der Bildungs- und Begegnungsstätte Heiligenhof in Bad Kissingen, Alte Euerdorfer Straße 1. Thema: Zerbrochene Nachbarschaft. Das deutsch-russische Verhältnis 

 

 

 

 

 
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