Ist es okay, wenn eine Straße nach Paul von Hindenburg benannt ist, der am 30. Januar 1933 den damaligen NSDAP-Führer Adolf Hitler zum Reichskanzler ernannte? Zwei Tage später löste Hindenburg den Reichstag auf. Vier Tage später erließ Hindenburg eine "Verordnung des Reichspräsidenten zum Schutze des Deutschen Volkes". Diese setzte die Versammlungs- und Pressefreiheit aus. Einen Monat später, am 28. Februar, wurden mit der "Reichstagsbrandverordnung" wesentliche Grundrechte außer Kraft gesetzt. Am 24. März unterzeichnete Hindenburg das "Ermächtigungsgesetz". Aus einer Demokratie wurde eine Diktatur .
Was Hindenburgs Vergangenheit für Nüdlingen bedeutet, darüber wird der Gemeinderat in einer der nächsten Sitzungen sprechen.
Das sagen die Anwohner
Gabi Beck wohnt in der Hindenburgstraße. Auf eine mögliche Umbenennung angesprochen, sagt sie: "Man soll das nicht so hochkochen. Ich wohne gerne in der Hindenburgstraße." Außerdem findet sie: "Man hat ganz viele andere Probleme: Belarus, Corona, die never-ending Impfstory." Und betont: "Wir sind ganz weit Nazi-fern." Ihr Opa hätte ihr viel über den Krieg erzählt. Im eigenen Geschichtsunterricht hingegen sei der Zweite Weltkrieg ausgefallen, der Lehrer war krank.
Sie erzählt von den Schwierigkeiten eines Bekannten, der ein Geschäft in einer Straße gehabt habe, die umbenannt worden sei. "Die Adresse ist nicht mehr auf Google Maps zu finden - Lieferungen kommen nicht an." Sie befürchtet, dass Ähnliches auch passieren würde, wenn man die Hindenburgstraße umbenennt. "Man kann das nicht einfach ausradieren. Im Moment fragt immerhin alle paar Jahre jemand, was hat denn der Hindenburg gemacht? Wenn man es Veilchenstraße nennen würde, fragt niemand." Wenn nachgefragt werde, wer Hindenburg sei, habe man mehr für die Zukunft getan, findet sie.
Cornelia Kiesel sagt: "Mir ist es egal, wir wohnen hier schon ewig." Sie will wissen, wie die Straße denn sonst heißen würde. Das ist aber noch nicht klar. Auf den Namen Hindenburg sei sie noch nie angesprochen worden, wenn sie ihre Adresse nenne. "Es wäre umständlich, alles umzumelden", sagt sie. Auf die Frage, ob man angesichts der nationalsozialistischen Vergangenheit eine Straße nach Paul von Hindenburg benennen sollte, sagt sie: "Mir ist es egal. Ich denk da nicht drüber nach."
Eine andere Frau, die auch in der Hindenburgstraße wohnt, sagt: "Mich stört es nicht, wie die Straße heißt." Sie habe sich nicht über Paul von Hindenburg informiert, sie habe sich an den Straßennamen gewöhnt. So richtig schlimm fände sie es aber nicht, wenn die Straße umbenannt werde. "Wenn sie umbenannt wird, dann ist es eine andere Adresse. Mir ist es egal, wie sie heißt."
Impuls durch Bürgerversammlung
Ein Rückblick: Johannes Heim hatte bei der Bürgerversammlung Ende September gefragt, welche besonderen Zusammenhänge es zwischen der Gemeinde Nüdlingen und Paul von Hindenburg gebe, dass ihm eine Straße gewidmet sei.
"Ich habe es in den Medien mitbekommen, dass Straßen oder Ortsplätze umbenannt worden sind", erzählt er am Telefon. Er habe versucht, herauszufinden, ob Hindenburg in Nüdlingen war oder ob er dort besonders gewirkt habe. Über Recherchewege, die dem normalen Bürger zugänglich seien, habe er aber nichts gefunden, sondern den Eindruck gewonnen, dass es sich bei der Namensgebung der Straße um "stupiden nationalsozialistischen Patriotismus " gehandelt habe.
Umstrittenes Thema
Mittlerweile hat er ein breites Spektrum an Rückmeldungen erhalten. Es sei viel positives Feedback von Leuten aus dem Ort gekommen, die äußerten, das sei ein wichtiges Thema. Aber auch Kritik habe er gehört. Ob es in Nüdlingen denn keine anderen Probleme gebe.
Gemeinderat Volker Schäfer ( SPD ) hatte auf Heims Nachfrage hin in einer Nüdlinger Dorfchronik nachgesehen und seine Notizen dazu in der nachfolgenden Gemeinderatssitzung vorgetragen. Im Kapitel "1933 bis 1945" schrieb der Dorfchronist Emil Pillich 1972: "Natürlich sollten auch im ersten Überschwang der Begeisterung der Parteigenossen sämtliche Ortsstraßen nach sogenannten nationalen Führern umbenannt werden, doch waren noch die konservativen Gemeinderäte in der Mehrheit, so dass man sich am 26. Mai 1935 einigte, nur die Ortsdurchfahrt in Adolf-Hitler- und die neuerbaute Straße von der Hauptstraße zur Neubaustraße in Hindenburgstraße umzubenennen." Volker Schäfer findet: "Wir sollten wirklich überlegen, ob es Sinn macht, eine Straße nach Hindenburg zu benennen."
Gründe für eine Umbenennung
Er führte an, was gegen eine Würdigung spreche: Am 28. Februar 1933 erließ Hindenburg per Unterschrift die Verordnung zum Schutz von Volk und Staat (Reichstagsbrandverordnung), welche das Verbot aller Oppositionsparteien und mit ihnen in Verbindung gebrachte Verbände bedeutete. Die Pressefreiheit wurde massiv eingeschränkt. Tausende Gegner der Reichsregierung wurden verhaftet. "Das waren liberal denkende Personen." Fünf Tage später fand die Reichstagswahl 1933 unter den Bedingungen der Reichstagsbrandverordnung statt. "Den Ausgang kennen wir alle."
Neben dem Ermächtigungsgesetz vom 24. März 1933 war diese Verordnung die Grundlage der NS-Diktatur. "In vielen Abhandlungen wird Paul von Hindenburg auch als Steigbügelhalter Adolf Hitlers bezeichnet, den er am 30. Januar 1933 zum Reichskanzler ernannte. Unter anderem hat von Hindenburg das NS-Regime so erst ermöglicht."
Wenig Aufwand
Ein weiteres Argument: Eine Umbenennung betreffe nur sieben Anwesen und keine Firma. "Der Aufwand ist sehr gering, das Zeichen sehr groß", sagt Schäfer. "Darmstadt und Trier benennen aktuell ihre Hindenburgstraßen um. Viele Kommunen haben dies bereits getan. In einigen wird dies immer noch diskutiert."
Gemeinderat Christian Höfler (Bürgerblock) sagte: Er könne Johannes Heim und Volker Schäfer "nur voll und ganz zustimmen". In einer der nächsten Sitzungen des Gemeinderats werde der Punkt auf die Tagesordnung gesetzt, kündigte Bürgermeister Harald Hofmann ( CSU ) an. Dann wird der Gemeinderat darüber sprechen, ob der Name der Straße so bleibt oder ob sie umbenannt wird. Das Thema betrifft auch andere Gemeinden. Auch in Münnerstadt gibt es einen Hindenburg-Park.
Ich freue mich, wenn Sie umbenannt wird. Mein Dank an die Menschen, die sich dafür eingesetzt haben.
Und ich wette, dass die meisten nicht gewusst haben, was der "gute Hindenburg" ermöglicht hat.