Womit soll man anfangen, wenn einem noch so viel durch den Kopf geht? Am besten am Anfang. Rudolf Ditzen war eigentlich ein ziemlich übler Finger: 1893 in Greifswald geboren, verkrachte Schulkarriere mit verlängerter Pubertät, drogensüchtiger Alkoholiker mit Neigung zu Gewaltexzessen und Betrügereien, der die Gefängnisse von innen kennenlernte, Gelegenheitsarbeiter in vielen Branchen von Landwirtschaft bis Verlag - also vermutlich keiner, den Alexander Gauland gerne als Nachbarn hätte. Am 30. Juni 1931 ging's dann ganz steil nach unten. Er erhielt die Kündigung von seinem Verlag, ausgerechnet dem Rowohlt-Verlag, der bankrott gegangen war.
Nach vier Monaten erfolgloser Arbeitssuche hatte er einen lichten Moment: Innerhalb von weiteren vier Monaten schrieb er einen Roman, der seinen Abstieg thematisierte. Da kannte er sich aus: "Kleiner Mann, was nun?" machte ihn auf einen Schlag international bekannt, allerdings unter seinem Künstlernamen Hans Fallada . Mit diesem Buch sanierte er nicht nur seine nicht mehr vorhandenen Finanzen, sondern, Ironie des Schicksals, auch den Verlag, der ihn noch vor kurzem auf die Straße gesetzt hatte. Weitere Erfolgsbücher folgten. Seine Drogen- und Gewaltkarriere endete damit allerdings nicht. Nach ein paar Versuchen, sein Leben in den Griff zu kriegen, wurde er in die Nervenklinik der Berliner Charité eingewiesen. Er starb im Februar 1947 im Krankenhaus von Pankow an einer Herzlähmung.
Die Geschichte, die Fallada erzählt, ist ebenso einfach wie deprimierend. Johannes Pinneberg und Emma Mörschel, genannt "Lämmchen", begegnen sich am Ostseestrand , und es passiert: Liebe auf den ersten Blick! Als "etwas Kleines" unterwegs ist, heiraten die beiden kurzerhand, um in ihr kleines privates Glück zu starten. Mehr wollen sie nicht, und mehr ist auch nicht drin. Denn Hans ist ein kleiner Kontorist bei dem Getreide- und Kartoffelgroßhändler Emil Kleinholz in Ducherow (das gibt es wirklich in Vorpommern). Aber dank der Intrigen seiner Kollegen und seiner Weigerung, Kleinholzens Tochter zu heiraten, wird ihm gekündigt.
Aber Jachmann, der Striezi von seiner Mutter, beschafft ihm auf Umwegen eine Arbeit als Herrenbekleidungsverkäufer im Kaufhaus Mandel in Berlin. Also ziehen die Pinnnebergs in die Hauptstadt, wohnen erst bei der Mutter, dann in immer kleiner und schäbiger werden Wohnungen. Denn auch der Job im Kaufhaus ist nicht von Dauer. Hans wird auf die Straße gesetzt, weil er die vorgegebenen Verkaufsquoten nicht erfüllt. Ein bisschen halten sie sich noch von dem Geld, das Lämmchen mit Strümpfe-Stopfen und Nähen verdient, in einer Schrebergartenhütte über Wasser. Aber als ein Schupo Hans von einem Schaufenster wegprügelt, verliert er seine letzte Selbstachtung. Jetzt haben die beiden jungen Leute, die so gerne glücklich geworden wären, nur noch sich selbst - und den Murkel, das Kind. Aus einer sicher geglaubten Kleinbürgerlichkeit ein Absturz ins Nichts - keine ungewöhnliche Karriere in den Zeiten der abschmierenden Weltwirtschaft und des aufkommenden Nationalsozialismus.
Kann daraus ein unterhaltsamer Theaterabend werden? Erstaunlicherweise ja. Denn Christian Schidlowsky, der die Bühnenfassung nach dem Roman für das Intime Theater eingerichtet hat, hat ganz Erstaunliches geschafft. Er hat den Text stark komprimiert auf die private Welt und Umgebung der kleinen Familie Pinneberg und auf die Menschen, die ihnen begegnen. Die Weltläufte, die gerne als groß bezeichnete Politik schwingt zwar im Hintergrund immer mit, aber die konkreten Bezüge sind in das Ermessen des Zuschauers gestellt. So wird die Überfrachtung vermieden.
Andererseits hat er eine schnelle Folge von Bildern und Szenen, die wie eine Revue in Zeitraffer ablaufen, die den Zuschauer enorm beschäftigen - ohne ihn allerdings zu überfordern. Und die ihn durch Situationskomik oder unerwartete Konstellationen immer wieder zum Lachen bringen - und das ohne schlechtes Gewissen. So entsteht die Distanz, die ein Abgleiten des Publikums in die Depro-Abgründe verhindert.
Großartiger Spagat
Unterhaltsam ist die Inszenierung allerdings auch oder vor allem aus einem anderen Grund: Wer bei Christian Schidlowsky spielt, braucht drei Dinge: starke Konzentration, enorme Flexibilität und stabile Kondition. Nicht nur weil die sechs Schauspieler zwei Stunden lang ständig auf der kleinen Bühne sind, sondern auch, weil das Stück 26 verschiedene Rollen hat. Und nur zwei der sechs Leute bleiben von Anfang bis Ende in ihren Rollen : Anna Schindlbeck als Lämmchen und Benjamin Jorns als Hans Pinneberg. So gesehen haben sie es einfach, aber auch schwierig. Denn sie müssen einerseits ihren Niedergang gestalten, aber andererseits ihren Optimismus immer verzweifelter hochhalten. Und diesen Spagat schaffen sie großartig, mit anrührender Intensität. Man glaubt ihnen ihre Gutmenschennaivität und man leidet mit ihnen wenn sie immer öfter emotional auseinanderdriften: die pragmatischere Emma und der träumende Hans.
Ingo Pfeiffer, Marc Marchand, Jacqueline Binder und Alexander Bräutigam haben es dagegen schwerer, aber auch einfacher. Sie haben sich die 24 "übrigen" Rollen in vier Sixpacks aufgeteilt und müssen bei fortlaufender Handlung und hohem Tempo ständig wechseln: Rolle und Kostüm - und das möglichst unauffällig auf der Bühne. Und sie dürfen sich nicht irren in der Auslegung ihrer völlig unterschiedlichen, aber typischen und oft ein bisschen überzeichneten Rollen . Aber sie haben den Vorteil, dass sie mit ihren sechs Rollen zwar mehrfach, aber immer nur punktuell auftreten: Sie müssen keine Entwicklung zeigen.
So wird, bei allem Elend, der Zuschauer in die theatralisch-kulinarische Zange genommen. Und der Abend wirkt lange nach: nicht nur wegen seiner enormen theaterhandwerklichen Qualität, sondern weil er im Nachhinein doch, trotz aller Heiterkeit, dem Zuschauer ein ganzes Bündel Fragen mit auf den Nachhauseweg gibt.