Kein Schachern
Mit 35 Jahren trat er der SPD bei. Eigentlich habe er nicht unbedingt "etwas werden" wollen und auch "nie die Ochsentour gemacht", bilanziert der Polit-Erfahrene heute zufrieden. "Rückblickend hat sich wenig bewegt", sagt der 64-Jährige und ein bisschen schlägt das vergebliche Mühen durch. Von 1984 bis 1993 sei die SPD im Kreistag immerhin von zehn auf 13 Mandate gekommen und aus der vergangenen Kommunalwahl als zweitstärkste Fraktion hervorgegangen. 1990 habe er als SPD-Kandidat in Münnerstadt nur wegen 38 fehlender Stimmen die Bürgermeister-Wahl gegen Ferdinand Betzer verloren. Erstaunt habe ihn da, dass die politische Zugehörigkeit in einer Stadt keine allzu große Rolle spielte. Dass er 1996 nicht Landrat wurde, sei ihm klar gewesen. "Aber ich hätte mir mehr als knappe 18 Prozent Stimmen gewünscht." Wichtig sei ihm da gewesen, "dass eine demokratische Partei auch eine Alternative bieten muss".
Er habe nie Lust gehabt, "in Hinterzimmern um Posten zu schachern". Man habe ihn immer gefragt, ob er sich engagieren will: 1978 zum Beispiel als Ortsvereinsvorsitzender der Mürschter SPD, ein Jahr später als Kreisvorsitzender und 1984 als Kreistagsmitglied. "Aber ich hab Ämter wieder abgegeben, wenn Mandate anstanden. Ich wollte nie auf allen Klavieren spielen."
"Die innere menschliche Achtung war immer da"
Gerd Müller SPD-Fraktionsvorsitzender
Obwohl er sich für Münnerstadt engagierte, habe ihm als "urbanem Menschen" der größere Bereich des Landkreises eher gelegen, vielleicht auch weil in einer Stadt eher auf kleineren Themen herum geritten wird, aber auch weil Auseinandersetzungen oft ins Persönliche gehen. "Das zehrt an den Nerven. Da ist man nicht so dickhäutig, obwohl man sich Einiges antrainiert hat."
Drei Landräte hat Müller im Kreistag erlebt. "Die innere menschliche Achtung war immer da", sagt der 64-Jährige. Auch wenn jeder Landkreis-Chef seine eigene Arbeitsweise gehabt habe. Während Marko Dyga eher sparsam informierte, sei es seinen beiden Nachfolgern wichtig gewesen, die Fraktionen vor wichtigen Entscheidungen einzubinden.
Lernprozess
"Dann kann man auch Einfluss nehmen." Beispiel Kesselasche: Der Einlagerung in die Deponie Wirmsthal wollte die SPD nur unter der Bedingung zustimmen, dass zuvor das Bundesumweltamt sein Plazet gibt.
So manche Projekte, die im Kreistag besprochen wurden, hätten sich im Lauf der Zeit anders gestaltet als geplant, sagt Müller. "Das ist ein Lernprozess in Sachen Pragmatismus." Manchmal müsse man auch seine Meinung ändern. Beispiel Fremdmüll: Da sei die SPD zunächst dagegen gewesen. Später sei klar geworden, dass die Deponie Wirmsthal ohne Einnahmen aus dem Fremdmüll nicht hätte überleben können.
Besonders spannend war für ihn natürlich Anfang der 90er die Auseinandersetzung um die Deponie gewesen. Im Nachhinein sei für ihn klar, dass man Einiges hätte vermeiden können durch bessere Kontrolle. Der Kreistag sei damals dem "Macher", dem einstigen Umweltreferenten, ebenso gefolgt wie die Verwaltung.
Interessiert habe ihn, den Lehrer, auch immer der Schulbereich, egal ob es um die Einführung der Sechsstufigen Realschule ging oder um die Einrichtung des Ganztags-Gymnasiums Münnerstadt. Eher "schwierigere" Materie sei für ihn die Überführung von Kreis-Einrichtungen in andere Betriebsformen gewesen. Wenn es beispielsweise um die Privatisierung des Kreis-Omnibus-Betriebs oder des Abfallwirtschaftsbetriebs ging, habe ihm das Know-how des Betriebswirtschaftlers gefehlt.
Die politische Streitkultur im Kreistag sei "gepflegt" worden. "Gestritten wurde immer recht ordentlich, was aber auch von den persönlichen Charakteren abhängt", sagt Müller und schmunzelt, wenn er an seinen einstigen CSU-Widerpart Josef Römmelt denkt, mit dem er sich privat gut versteht: "Wenn er mit den Füßen scharrte, fiel so Manches härter aus." Und auch er habe dann Einen drauf gesetzt.
Optimismus
Gerd Müller hat nach seiner Krebserkrankung ein Jahr mit Operationen und Therapien verbracht und den Krebs "nach jetzigem Eindruck auch überwunden". Aber man lebe unter dem Aspekt, dass sich von heute auf morgen alles ändern kann. "Da relativiert sich Vieles, gerade in der kommunalen Auseinandersetzung." Obwohl er optimistisch in die Zukunft schaue, sei ihm klar, dass er sich entlasten muss. Daher sei er aus dem Münnerstädter Stadtrat ausgetreten, im Kreistag wolle er noch bis 2008 bleiben. "Aber ich will nicht mehr an vorderster Front stehen."