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Bad Kissingen
Neues Wohnzimmer
Für die Deutsche Kammerphilharmonie Bremen war der Ausflug zum Kissinger Sommer eine spannende Sache. Die Begeisterung vor Ort hat sie überrascht.
Paavo Järvi und seine Bremer Kammerphilharmoniker haben sich in Bad Kissingen sehr wohl gefühlt. Foto: Gerhild Ahnert       -  Paavo Järvi und seine Bremer Kammerphilharmoniker haben sich in Bad Kissingen sehr wohl gefühlt. Foto: Gerhild Ahnert
| Paavo Järvi und seine Bremer Kammerphilharmoniker haben sich in Bad Kissingen sehr wohl gefühlt. Foto: Gerhild Ahnert
Thomas Ahnert
 |  aktualisiert: 19.08.2022 11:45 Uhr
Wenn man Besucher des Kissinger Sommers auf die Konzerte der Deutschen Kammerphilharmonie Bremen anspricht, schaut man durchwegs in heitere Gesichter. Aber welche Erfahrungen haben die Bremer als erstes Orchestra in Residence des Kissinger Sommers gemacht? Und wie geht es weiter? Fragen, auf die Albert Schmitt, Geschäftsführer der Bremer, Antwort gegeben hat.

Herr Schmidt, sie sind gleich nach dem Staatsempfang in Ihr Auto gestiegen und Richtung Norden gefahren. Wann waren Sie denn zu Hause?
Albert Schmitt: Ich bin in der Nacht noch nach Köln gefahren, weil sich dort am nächsten Tag die Task Force zur Anmeldung der deutschen Theater- und Orchesterlandschaft bei der Unesco als immaterielles Kulturerbe zusammengetreten ist. Das Orchester ist am nächsten Tag nach Bremen gefahren.

Wie war's denn so in Bad Kissingen?
Großartig. Wir sind alle mit großer Spannung in das Abenteuer gestartet, weil es ja sehr viel mehr umfasst als das Spielen von Konzerten. Und die große bange Frage war ja eine doppelte - einmal: Wie wird das Orchester rein künstlerisch angenommen von dem Kissinger Publikum? Und: Was kann man mit den Aktivitäten, die bei uns unter "Zukunftslabor" laufen, in einer Stadt wie Bad Kissingen bewirken. Wir sind im Grunde genommen sehr, sehr glücklich mit dem Ergebnis, weil wir das Gefühl hatten: Die erste Frage ist durchwegs überwältigend positiv beantwortet worden, die künstlerischen Darbietungen, sei es Brahms oder Schumann oder Vieuxtemps, sind mit großem Beifall bedacht worden. Was das "Zukunftslabor" angeht, fällt die Beurteilung fast noch positiver aus, weil natürlich nicht zu erwarten war, dass man in einem ersten Anlauf so viel Mitmachbereitschaft würde aktivieren können. Das ist ja vor allem in dem Sommernachtstraum sehr, sehr greifbar geworden, wo die verschiedenen Schulen und Chöre und Ehrenamtliche alle mitgewirkt haben und am Ende da 140 Leute auf der Bühne standen, die eine, wie ich fand, beeindruckende Performance abgeliefert haben.

Wie haben Sie das Bad Kissinger Publikum erlebt?
Wir waren sehr beeindruckt, wie offen und begeisterungsfähig die Kissinger sind, und wir versprechen uns davon ganz viel für die Zukunft, weil üblicherweise da, wo wir über einen längeren Zeitraum sind, sich auch noch mal die Beziehung zum Publikum enorm verstärkt. In Bad Kissingen wird das ja besonders der Fall sein, weil ja jetzt, beim ersten Mal, schon in der Stadt sehr viel passiert ist. Denken Sie an die Schnitzeljagd durch die Altstadt, oder Stefan Schrader mit seinem Cello-Loop oder die Bläsersolisten im Schmuckhof. Das sind so Dinge, die ein Publikum auf Dauer auch öffnen Und mir haben viele Musiker erzählt, dass sie in der Stadt, außerhalb der Konzerte, angesprochen worden sind in Bezug auf die Konzerte von Menschen, die die auch Lust hatten, in Kontakt zu treten. Und das ist etwas, was uns sehr begeistert und auch große Erwartungen weckt.

Sie hatten also auch Gelegenheit, sich in Bad Kissingen umzusehen?
Ja, auf jeden Fall schon berufsbedingt durch die Anlage dieser Aktivitäten. So eine Schnitzeljagd erfordert ja, dass man sich bewegt. Und man hat ja dann auch die wunderbare Architektur dieser Stadt begonnen zu genießen. Da ist bei uns der Eindruck entstanden: Da gibt"s noch ganz viel zu entdecken und das ist alles von beeindruckender Qualität.

So wie Sie das Publikum schildern: Hat das Einfluss auf die Spielweise oder Experimentierfreude?
Auf jeden Fall. Das ist ein Faktor in der Gleichung, der oftmals vernachlässigt wird, der schätzt, was es mit Musikern auf der Bühne macht und was vom Publikum kommt. Man spürt als Ausübender tatsächlich, ob ein Publikum konzentriert ist, ob es offen ist, ob die Leute mitgehen, ob sie aktiv sind. Das ist ganz klar wahrnehmbar, und das kommt auch im Orchester an und wird vom Orchester auch sofort wieder positiv zurückgespielt. Und dieser Effekt verstärkt sich ja durch die persönlichen Begegnungen in der Stadt noch mal.

Wie haben Sie alle den Saal beurteilt, auch im Vergleich zu ihrer Heimstatt in der Bremer "Glocke"?
Der Saal hat uns nicht mehr positiv überraschen können, weil wir den ja schon kannten durch die Aufnahme von drei Beethoven-Klavierkonzerten, die wir mit Ikuyo Nakamishi 2011 dort gemacht haben.

Da war aber nicht das erste Mal. Das Orchester war schon im Juni 1989 mit Thomas Hengelbrock und Schumanns "Manfred" im Großen Saal.
Mit Hengelbrock? Da müsste ich selber forschen. Das ist mir im Moment nicht präsent. Aber es sagt ja schon etwas über den Saal, dass der uns so in Erinnerung geblieben ist, dass er sich wirklich eingeprägt hat als etwas ganz Besonderes. Das liegt natürlich an dieser Holzvertäfelung, die dem Saal eine unglaubliche Wärme gibt und die ja so einzigartig ist. Also wenn man ihn mit der "Glocke" vergleicht: Die hat ja auch eine sehr, sehr gute Akustik. Sie ist ja im Inneren eine Mischung aus Holz und Beton, und diese Holzvertäfelung ist dann auch noch mal schellackbehandelt, was dem Klang noch mal eine andere Direktheit gibt. Die Wärme des Kissinger Saales, verbunden mit der Durchhörbarkeit, macht ihn wirklich zu einem ganz herausragenden Saal.

Vermutlich auch für die Musiker selbst, die sich sicher ganz gut hören können.
Ja, die hören sich hervorragend und die genießen das Spielen in dem Saal sehr. Ich glaube, das hat so Wohnzimmerpotenzial, wie Boris Becker früher immer gesagt hat, Wimbledon sei sein Wohnzimmer. Unser Wohnzimmer wird für uns in Zukunft wahrscheinlich der Max-Littmann-Saal sein.

Wie war denn die Betreuung während Ihres Aufenthalts?
Die Betreuung war rundum sehr gastfreundlich. Wir haben nicht nur keinen Anlass zur Klage, sondern wir haben uns einfach sehr wohl gefühlt.

Sie kommen ja wieder. Wissen Sie schon womit? Die Orchesterkonzerte liegen ja schon fest. Aber es wird es sicher auch wieder Education geben.
Ja, ganz bestimmt. Ich glaube, es ist jetzt ganz wichtig, dass wir erst mal in Ruhe analysieren, auch in der Tiefe, mit der Intendanz zusammen - dazu sind wir auch verabredet nach dem Urlaub des Intendanten, um dann für die Entwicklung die weiteren nächstbesten Schritte zu setzen. Gerade für diese Education-Projekte ist das wichtig, dass man wirklich einen Eindruck von Verlässlichkeit entstehen lässt bei den Partnern, die sich jetzt schon engagiert haben, und diesen Kreis auch ganz behutsam erweitert. Dabei geht es um Erweiterung, aber gleichzeitig auch um Vertiefung. Und darum ist die genaue Analyse so wichti. Und dann werden wir uns alle damit überraschen, was im nächsten Jahr passiert. Idealerweise setzt man natürlich noch einen drauf.

Gibt es ein Werk, das Sie im Großen Saal unbedingt irgendwann einmal spielen möchten?
Also, wir haben große Lust bekommen, durch den "Sommernachtstraum", auf mehr Mendelssohn. Ich könnte mir zum Beispiel gut vorstellen, dass die "Reformationssinfonie" ein Werk ist, das in dem Saal eine unglaubliche Wirkung haben kann.

Wie sind Sie mit Tilman Schlömp zusammengekommen, und wie sind Sie auf die Idee gekommen, auf fünf Jahre abzuschließen?
Tilman Schlömp kennen wir sehr lange, weil wir ja zehn Jahre "Orchestra in residence" des Beethovenfestes in Bonn waren. Und da war er der Dramaturg, der künstlerisch Verantwortliche. Da hat er erlebt, welche Wirkung das Orchester entfaltet, wenn es längere Zeit vor Ort ist. Es war von Anfang an klar zu sagen: Eine solche Residency ist etwas ganz Besonderes, gerade in einer Stadt wie Bad Kissingen und bei einem Festival wie der Kissinger Sommer, das ja schon auf höchstem Niveau stattfindet. Dem noch etwas hinzuzufügen geht ja nicht über "höher schneller weiter", sondern das geht eigentlich nur darüber, dass man die Flughöhe hält und das Erlebnis intensiviert. Das ist das, was als Idee dahintersteckt. Und das beantwortet auch den zweiten Teil der Frage, denn das kann man nur auf Dauer erreichen. Das geht nicht mit einem einmaligen Schuss, sondern da muss man sich einlassen und einen gemeinsamen Entwicklungsweg zurücklegen. Das braucht sehr viel Vertrauen aufeinander und füreinander. Und darum glaube ich, war das von und für Tilman Schlömp eine sehr richtige Entscheidung, mit uns diesen Anlauf zu nehmen.

Können Sie sich Bad Kissingen auch zehn Jahre vorstellen wie in Bonn?
Ja, auf jeden Fall. Länger geht immer. Für das eben Angesprochene ist Dauer kein Nachteil. Wenn das alles gelingt, ist es ganz natürlich, dass sich dieser Weg auch verstetigt.

Was war oder ist jetzt das Anschlusskonzert für das Orchester?
Das kommt erst noch am 26. Juli. Das ist Amsterdam, Concertgebouw, und am 3. August dann Proms in London. Halt, vor den Proms sind noch Rheingau Musikfestival und Reddefin, also Mecklenburg Vorpommern.

Wieso werden Kammerorchester in Deutschland eigentlich unterschätzt?
Ich kämpfe hier seit Jahren eine Kampf, der immer mehr Verbündete gewinnt, der im Grunde sagt: Die Zeit der Unterteilung in Kammerorchester und philharmonisches Orchester ist eigentlich vorbei. Es gibt seit dem Erscheinen von dem Chamber Orchestra of Europe, der Deutschen Kammerphilharmonie, dem Mahler Chamber Orchestra eigentlich eine dritte Gattung, die sich zwischen den beiden erstgenannten abspielt. Und es dauert einfach erfahrungsgemäß sehr lange, bis im Unbewussten einer Massenseele sich neue Kategorien gebildet haben. Und dadurch wird das immer so wegkategorisiert in diesen Kammerorchesterbereich. Das ist aber aus meiner Sicht ein Irrtum. Das ist eigentlich ein mittelgroßer Orchestertypus, der mit Ende des letzten Jahrhunderts neu aufgeschienen ist und für den sehr vieles spricht als Orchesterform der Zukunft, weil es einfach sehr flexibel ist. Der Klang ist sehr transparent, man hat alle Vorzüge des kammermusikalischen Musizierens, und gleichzeitig erreicht man ein philharmonisches Klangvolumen. Da spricht sehr vieles dafür, dass das in Zukunft noch stärker kultiviert werden wird. Der Begriff "Kammerphilharmonie" fasst in seiner Ambivalenz eigentlich genau das zusammen. Die Bezeichnung Kammerorchester verkürzt es. Da ist nicht so hilfreich.
 
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