Zum zweiten Familientreffen nach über 20 Jahren trafen sich jetzt Nachkommen des jüdischen Modewarenhändlers Samuel Ehrlich (1813-1891) und seiner Kinder in Bad Kissingen .
Die fast 50 Familienmitglieder, Angehörige aus drei Generationen, waren aus Israel, Australien, den USA und Kanada sowie aus Großbritannien in die Stadt ihrer Vorfahren angereist.
Zum Programm gehörten ein Gottesdienst, der Besuch der Ausstellung „Jüdisches Leben in Bad Kissingen “, ein Treffen mit Landrat Thomas Bold (CSU) und Oberbürgermeister Dirk Vogel ( SPD ) sowie ein einstündiger Besuch der Gräber ihrer Kissinger Vorfahren auf dem Jüdischen Friedhof.
„Haltet treu fest zusammen...“
„Bleibt gut miteinander, haltet treu fest zusammen, auch wenn ihr in allen Erdteilen verstreut seid“, hatte schon 1937 die wegen ihrer Behinderung allein und unverheiratet in der Kurstadt im Elternhaus zurückgebliebene Ida Ehrlich (1857-1938) auf einer Postkarte an ihre in die Welt verstreuten Verwandten geschrieben.
„Sie war der Kern unserer Familie. Dank ihr war [das Haus in Bad Kissingen ] das Zentrum für sämtliche Teile der Ehrlich-Familien“ in Deutschland und der Welt, hatte man schon früher über sie im Familienkreis erzählt. Gleiches hörte man auch am vergangenen Wochenende wieder vor dem Familiengrab. „Man besuchte nicht Bad Kissingen , man besuchte Ida“, erzählten die heutigen Senioren ihren Kindern und Enkeln.
Anfangs geweigert
Idas Wunsch um Zusammenhalt waren die Ehrlich-Nachkommen bereits im Jahr 2000 mit einem ersten Treffen in Bad Kissingen nachgekommen. Damals lebten noch Angehörige jener Generation, die einst als Kinder oder Jugendliche vor der Verfolgung durch die Nazis ins Ausland fliehen mussten.
So gab es noch im Jahr 2000 einen Angehörigen jener Generation, der sich anfangs strikt geweigert hatte, deutschen Boden zu betreten, dann aber doch angereist war. „Er kam damals nicht nach Bad Kissingen , er kam zum Familientreffen“, wurde nun erzählt.
Suche nach Grabstätten der Vorfahren
Bei diesem jetzigen zweiten Familientreffen, das eigentlich 20 Jahre genau nach dem ersten hätte stattfinden sollen, wegen der weltweiten Corona-Pandemie aber um drei Jahre verschoben werden musste, spürte man bei den Ehrlich-Nachkommen keinerlei Befangenheit mehr.
Auch der Bezug zum Judentum schien nachgelassen zu haben: Kaum ein Mann in der Gruppe trug, wie es die jüdische Tradition eigentlich vorschreibt, auf dem Friedhof eine Kopfbedeckung.
Alle bewegten sich ungezwungen in familiärem Geplauder zwischen den Gräbern, suchte die Grabstätten eigener Vorfahren auf oder überlegten gemeinsam – wie im Fall von Amalie Zunz (1847-1924), geborene Ehrlich - an welcher Stelle im Familienstammbaum sie einzuordnen sei.
In ihrem Fall war es einfach: Sie war wie ihre Schwester Klara eine Tochter aus der ersten Ehe des Modehaus-Gründers Samuel mit Jette Strauss, während Henriette, Modehaus-Erbe Felix, Ida und Ludwig die Kinder aus seiner zweiten Ehe mit Sara Spiegel waren.
Warum ein Grab abseits liegt
Vor dem Grabstein von Modehaus-Erbe Felix (1854-1918) und dessen Ehefrau Clara (1858-1935) berichtete Marlies Walter, Kuratorin der Ausstellung „Jüdisches Leben in Bad Kissingen “, den jüngeren Besuchern, warum dessen Grab so abseits, fast außerhalb des Friedhofs liegt.
Der sehr liberal eingestellte königlich bayerische Hoflieferant Felix Ehrlich , als erster jüdischer Einwohner Mitglied des Bad Kissinger Magistrats (Stadtrat), hatte verfügt, seinen Leichnam entgegen jüdischer Tradition verbrennen zu lassen. Da die Bad Kissinger Gemeinde recht orthodox war, wurde der Familie aber verboten, die Urne auf dem hiesigen Friedhof beizusetzen.
Doch Felix' Familie gehörte ein Obstgarten jenseits der Friedhofsmauer. Kurzerhand begrub man die Urne auf eigenem Grund direkt an der Mauer. Erst Jahre später wurde Felix' Grabstätte in den Friedhof aufgenommen, weshalb heute die Mauer dort einen Bogen um das Grab macht.
Joske Ereli
Für viele Kissinger mag die jüdische Familie Ehrlich kein Begriff sein, wohl aber der Name Joske Ereli (1921-2014). Dieser war ein Enkel von Modehaus-Erbe Felix Ehrlich , war als 17-Jähriger nach Palästina emigriert und hatte später als Offizier der israelischen Armee seinen deutschen Namen Hans-Josef Ehrlich in Joske Ereli geändert.
Seinem über Jahre anhaltenden Drängen ist die 1997 begründete Partnerschaft zwischen den Landkreisen Bad Kissingen und Tamar zu verdanken. Hierfür wurde er im Jahr 2001 mit der silbernen Bürgermedaille der Stadt Bad Kissingen und dem silbernen Ehrenzeichen des Landkreises Bad Kissingen ausgezeichnet.
Joske Ereli war zudem seit 2009 einer der wenigen ausländischen Träger des deutschen Bundesverdienstkreuzes am Bande. Beim Familientreffen am vergangenen Wochenende war auch ein Sohn Joskes wieder in Bad Kissingen , der Heimatstadt seiner Vorfahren.
Lesen Sie auch: