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Bad Brückenau
Bad Brückenau: Die Erben der Kupfers
Nachkommen der jüdischen Familie aus Israel, Südafrika, Mexiko und den USA besuchten Bad Brückenau auf den Spuren ihrer Ahnen.
Ein beliebtes Fotomotiv unter den Nachkommen war das ehemalige Kupfer-Haus gegenüber der Schwan-Apotheke.       -  Ein beliebtes Fotomotiv unter den Nachkommen war das ehemalige Kupfer-Haus gegenüber der Schwan-Apotheke.
Foto: Steffen Standke | Ein beliebtes Fotomotiv unter den Nachkommen war das ehemalige Kupfer-Haus gegenüber der Schwan-Apotheke.
Steffen Standke
 |  aktualisiert: 14.06.2024 11:00 Uhr

Der Verkehr. Der Lärm. Die Enge am Schwaneneck. Die weit gereisten Gäste nahmen das wahr. Es war ihnen egal. Ihr Interesse galt einem unscheinbaren Haus vis-a-vis der Schwan-Apotheke. Es sind Nachfahren der jüdischen Familie Kupfer – auf den Spuren ihrer von den Nazis vertriebenen Ahnen. An diesem Ort überkamen sie ungekannte Gefühle. Stuart Kupfer – oder Shmuel Ben Meier, wie sein jüdischer Name lautet – lebt in Florida. Sein Vater war Manfred Kupfer , ein Spross der Familie, der noch in Brückenau aufgewachsen war. Wenn auch nur kurz. Vier Jahre nach seiner Geburt am 20. Mai 1931 (in Fulda) verließen seine Eltern Sigmund und Anna das Städtchen, nahmen ihren Sohn mit finalem Ziel Kapstadt in Südafrika mit.

Nun steht Stuart im Eingang des Hauses, wo Großeltern und Vater wohnten – und fühlt sich wie in deren Fußstapfen. „Dies ist die Luft, die mein Vater atmete, die Bäume, die er sah, nur groß geworden“, fühlt sich der Wahl-Amerikaner „unglaublich emotional“ berührt. Dabei ist es nicht sein erster Besuch an dieser Stelle. Vor vielen Jahren besuchte er mit seinem Vater schon mal Bad Brückenau . Damals klopften sie an einer Wohnung in dem Haus – und fanden dort das alte Klavier der Familie vor.

Kupfer-Brüder flohen vor den Nazis

Sigmund und Hermann Kupfer hießen die beiden Brüder, die die kurze Familien- und Geschäftstradition in der Vorstadt 36 begründeten. Erst in den 1920er-Jahren aus dem osthessischen Schmalnau nach Brückenau gezogen, betrieben sie dort ein Bekleidungsgeschäft.

Als die Zeiten unter den Nationalsozialisten immer unerträglicher wurden, entschlossen sich die Kaufleute mit ihren Frauen, die ebenfalls Geschwister waren, zur Flucht. Sigmund zog mit Anna und Sohn Manfred 1935 fort; Hermann Kupfer floh mit Frau Berta und den Töchtern Ingeborg und Eleonore Sophie im Dezember 1936, ebenfalls nach Kapstadt.

Damit entgingen die Kupfers einem Schicksal, das viele Brückenauer Juden teilen mussten – der Vernichtung durch Arbeit, Hunger oder Vergasung in den Konzentrationslagern.

Stuart Kupfer erzählt in englischer Sprache

Wenn Stuart Kupfer erzählt, dann tut er das in englischer Sprache (deutsch versteht er zumindest). Seine Cousins Tony Sachs und Meyer Wisnovitz hingegen sprechen die Sprache ihrer Vorfahren erstaunlich flüssig. Sie tun das, weil ihre Eltern und Großeltern untereinander und mit ihnen so kommunizierten.

Beide Männer sind Enkel von Hermann Kupfer ; beide wurden in Südafrika geboren und siedelten, als es dort in den 1970er- und 1980er-Jahren mit der politisch bedingten Rassentrennung (Apartheid) immer schlimmer wurde, in den jüdischen Nationalstaat Israel über.

Wie Stuart Kupfer besucht auch Tony Sachs Bad Brückenau zum zweiten Mal. 1989 bereiste er die Stadt mit seiner Mutter Ingeborg – für eine halbe Stunde. Denn diese kam emotional nicht zurecht – was an einem Erlebnis aus der tiefen Vergangenheit lag. Als Ingeborg fünf oder sechs Jahre alt war, brachen Hitlerjungen ihr einen Arm. Ein Erlebnis, das sie zeitlebens nicht verwinden konnte.

Schmerzliche Erinnerungen

Überhaupt erzählten die Eltern und Großeltern wenig über die Zeit in Nazi-Deutschland, berichten sowohl Sachs als auch Wisnovitz. Die Erinnerung sei schmerzlich gewesen; man wollte vergessen. Opa Hermann habe im Ersten Weltkrieg für Deutschland gekämpft. Er habe sich immer als Deutscher gefühlt, dies auch den Kindern vermittelt, so Sachs.

Von der Generation zwischen Sigmund und Hermann Kupfer und deren Enkeln ist Meyer Wisnovitzs Mutter Doreen die letzte noch Lebende. Die jüngere Schwester von Ingeborg und Eleonore Sophie kam zwar erst 1938 in Kapstadt zur Welt, erlebte Brückenau nicht mehr.

Die 85-Jährige, die nicht mitgereist ist, berichtet per Videoanruf, dass auch ihre Eltern wenig von der Vergangenheit sprachen. „Es war nicht schicklich zu erzählen, was war.“ Erst später seien Geschichten gekommen, so die, dass die Kupfers von nichtjüdischen Freunden und Kunden gewarnt wurden, besser zu fliehen. „Nicht jeder war ein Nazi.“

Tour zu Synagoge und Gedenkort

Ihre Eltern hätten deutsch mit ihr gesprochen, wenn auch eine spezielle Mundart. Die Mutter habe nur schlecht englisch gekonnt. Hebräisch habe sie nur in der Schule beziehungsweise später in der Uni gelernt. Ihr Sohn ergänzt, dass deutsche Juden in Südafrika schlechter angesehen waren als die osteuropäischen.

Nicht der einzige Besuchspunkt

Für die Sprösslinge der Kupfer-Dynastie blieb das Geschäftshaus der Ahnen nicht der einzige Besuchspunkt in Bad Brückenau . Dirk Hönerlage sowie dessen ehemalige Schüler Christian Stretz und Felix Opitz, alle vom Arbeitskreis Stolpersteine, führten sie zur alten Synagoge , zum früheren Haus der im Holocaust getöteten Familie Tannenwald und zum Denkort Deportationen am Alten Rathaus. Dort erklärten sie Hintergründe.

Tags drauf fuhrt der Kupfer-Clan zur Stolperstein-Verlegung nach Schmalnau. Dort finden sich viele weitere Spuren und Gräber der Ahnen.

 

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Stuart Kupfer, Tony Sachs, Regina Kupfer und Meyer Wisnovitz sind Enkel der jüdischen Geschwister Kupfer, die bis zu ihrer Flucht vor den Nazis in Bad Brückenau ein Kleidergeschäft betrieben.       -  Stuart Kupfer, Tony Sachs, Regina Kupfer und Meyer Wisnovitz sind Enkel der jüdischen Geschwister Kupfer, die bis zu ihrer Flucht vor den Nazis in Bad Brückenau ein Kleidergeschäft betrieben.
Foto: Steffen Standke | Stuart Kupfer, Tony Sachs, Regina Kupfer und Meyer Wisnovitz sind Enkel der jüdischen Geschwister Kupfer, die bis zu ihrer Flucht vor den Nazis in Bad Brückenau ein Kleidergeschäft betrieben.
 
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