Herbst 1983: Der NATO-Doppelbeschluss läuft ab, Politiker und Militär treffen bereits Vorbereitungen für eine nukleare Nachrüstung. 108 Pershing II-Raketen und 96 Cruise Missiles sollen in der Bundesrepublik neu stationiert werden. Hunderttausende Menschen demonstrieren in Bonn gegen Atomwaffen und für atomare Abrüstung. Aber auch im Kleinen regt sich Widerstand. In der Wohnung von Christine Müller in Münnerstadt gibt es ein "konspiratives" Treffen einiger Frauen, die nicht einfach zusehen wollen. Sie machen sich Gedanken und geben ein Flugblatt unter dem Logo "Frauen stiften zum Frieden an" heraus. "Wissen, das nicht zur Tat wird, ist gefährlich" steht darauf geschrieben. Alle Frauen sind eingeladen zu einem Gespräch am 27. November im Deutschherrnkeller. Im Naturkostladen Gensler am Anger wird kräftig diskutiert. Mit einer Mahnwache am 22. November, dem Tag, als der Bundestag über die Stationierung der Mittelstreckenraketen abstimmte, startet die erste Aktion der "Frauen stiften zum Frieden an". Unzählige sollten folgen.
Die Frauen haben etwas organisiert, was sonst nicht geschehen wäre, lobt Stadtarchivar Klaus Dieter Guhling, der jetzt die Dokumentation übereicht bekommen hat. "Dafür waren wir teils auch geschätzt", sagt Christine Müller dazu. "Teils aber auch verpönt." Nur zu gut kann sie sich an Anfeindungen erinnern und an einen Mann, der vor ihr ausgespuckt hat. Das kann Anita Dietz-Spies nur bestätigen. "Geht heim und kocht für eure Männer" hat sie zu hören bekommen. Aber letztendlich waren das die Ausnahmen. Die Unterstützung war sehr groß. "Wir waren überrascht, wie viele Frauen zur Mahnwache gekommen sind", sagt Christine Müller.
"Wir hatten alle kleine Kinder und Angst vor den Dritten Weltkrieg", erinnert sich Anita Dietz-Spies. Der hätte auch noch ganz in der Nähe begonnen. Detailliert informierten die Frauen über konkrete Maßnahmen, die bereits für den Kriegsfall getroffen worden waren. "Wir haben die ganze Arbeit für den Frieden gemacht, das war uns ganz wichtig", unterstreicht Christine Müller. "Es war schon eine spannende Zeit, aber sie war auch beängstigend." Die Vereinigung "Frauen stiften zum Frieden an" hatte durchaus auch männliche Unterstützer. "Herr Betzer war uns immer wohlgesonnen", sagt Anita Dietz-Spies. Der damalige Bürgermeister Ferdinand Betzer erlaubte den Frauen beispielsweise, dass sie Aktionen im Rathaus durchführen durften, was eigentlich nicht gestattet war. Diese Unterstützung ist auch ein Beleg dafür, dass der Kampf der Frauen für den Frieden überparteilich war.
Aus verschiedenen Gründen, beispielsweise wegen der Versicherung, entschlossen sich die Frauen noch im Jahr 1983, einen Verein zu gründen. Beiträge wurden nicht erhoben. "Wir hatten eine Spendenkasse, jeder Frau konnte je nach Vermögen etwas reingeben", sagt Anita Dietz-Spies. "Es war ein offener Verein." Den gesetzlichen Vorgaben einer Vereinsführung , wie Protokollführung oder Kassenbericht, sind die Frauen allerdings akribisch genau nachgekommen.
Der Weltfrieden war ein wichtiges Ziel, aber die Frauen wollten vor allem auch Frieden im Kleinen schaffen - in Münnerstadt . "Es geht in der Familie los." Deshalb wehrten sie sich auch, als die erste Spielhalle in Münnerstadt öffnen wollte. Sie setzten sich für Flüchtlinge aus Sri Lanka ein, die abgeschoben werden sollten. Damals entstand das Bündnis für Toleranz, das unter anderem ein Fest organisierte, bei dem sich die Bewohner der Gemeinschaftsunterkunft vorstellen konnten. "Es war ein tolles Fest, ein schönes Erlebnis", erinnert sich Christine Müller. "Es war sehr multi-kulti, es war eine Bereicherung", fügt Anita Dietz-Spies hinzu. Der Kampf um die Erhaltung von zwei Sonnenkollektoren auf einem Dach in der Innenstadt, die Umweltwoche "Unsere Welt soll schöner werden" und Obdachlosigkeit, waren weitere Themen vor Ort, mit denen sich die Frauen beschäftigten.
Ein ganz eigenes Kapitel nimmt die Tschernobyl-Hilfe ein, die über Jahre hinweg Kindern aus der betroffenen Region einen Urlaub in gesunder Umgebung und gleichzeitig - wenn nötig - ärztliche Hilfe ermöglichte. Federführend war der Kreisjugendring, die "Frauen kämpfen für den Frieden" schlossen sich an.
Flyer, Broschüre, Programme, Protokolle, Zeitungsartikel und Fotos zeugen von den vielen Aktivitäten des Vereins, der im Jahr 2002 aufgelöst wurde. "Es sind fünf Konvolute voller Materialien", sagt Klaus Dieter Guhling. "Es ist eine herausragende Sammlung, die jetzt archivgerecht vorliegt und zur Einsicht im Stadtarchiv bereitliegt." Er dankte den beiden Frauen, für den neuen Schatz im Stadtarchiv. Auch wenn damit das Kapitel "Frauen stiften zum Frieden an" endgültig geschlossen wird, so sind die Themen längst nicht Vergangenheit. Die beiden Frauen erinnern an die Aktionen für die Flüchtlinge im Jahr 1992. "Das ist heute aktuelle denn je", meint Anita Dietz-Spies. Und Christine Müller ergänzt: "Die Geschichte wiederholt sich."