zurück
LKR Bad Kissingen
Mottener Kurven: Vollgas-Biker nerven Anwohner
Wer an den Serpentinen im nördlichen Landkreis wohnt, leidet unterm Lärm der Motorräder. Die Fahrer wollen oft nur ein Video vom Rennen auf Youtube stellen. Die Polizei scheint machtlos
Die Kurven an der Staatsstraße 2790 sind beliebt bei Motorradfahrern. Der Lärm ärgert die Anlieger. Foto: Kerstin Junker       -  Die Kurven an der Staatsstraße 2790 sind beliebt bei Motorradfahrern. Der Lärm ärgert die Anlieger. Foto: Kerstin Junker
| Die Kurven an der Staatsstraße 2790 sind beliebt bei Motorradfahrern. Der Lärm ärgert die Anlieger. Foto: Kerstin Junker
Steffen Standke
 |  aktualisiert: 04.10.2022 15:07 Uhr

Nein, als Motorradhasserin sieht sich Martina Will aus Motten nicht. Jahrelang fuhr sie als Sozia auf einer Maschine mit. Doch wenn es reicht, dann reicht's. Die Mutter zweier Kinder klagt massiv über das laute und rücksichtslose Treiben von Bikern in den Serpentinen der Staatsstraße 2790 (früher B27) zwischen Motten und Kothen. Zorn liegt in ihrer Stimme, aber auch Verzweiflung.

Martina Will wohnt mit ihrer Familie am Ortseingang von Motten. Dort, wo viele Motorradfahrer wenden, um ihre Eskapaden immer wieder von neuem zu starten: Vollgas mit Getöse die Kurven rauf bis zur sogenannten Wasserscheide - und dann steil in der Biegung liegend auf der anderen Seite wieder runter. Und dann von Kothen aus das selbe Spiel, nur in entgegengesetzter Richtung.

Dieses Schauspiel ereignet sich - wenn die Tage wärmer werden - jeden Montag bis Freitag, zwischen 17 und 22 Uhr und an Wochenenden den ganzen Tag über, sagt die Mottenerin. "Das fühlt sich ganz schrecklich an." Und zerrt an den Nerven. Will berichtet neben der eigenen Belastung auch von Schreiattacken der Kinder.

Auch die Rinder und Ziegen, die die Familie auf den umliegenden Hängen hält, seien verschreckt. Was dem Ganzen die Krone aufsetzt: die Anfeindungen, wenn die Mottenerin oder andere betroffene Einwohner die Motorradfahrer auf ihr Tun ansprechen, um etwas Mäßigung bitten. "Die sagen mir dann, ich soll sie in Ruhe lassen oder mich nicht so anstellen." Oft höre sie auch Sprüche unterhalb der Gürtellinie. Manch einer sei ihr nachgefahren, um ihr zu drohen.

Mit der Polizei haben die genervten Anwohner mehrfach gesprochen. Dort habe es geheißen, dass die Motorradfahrer eigentlich die vorgeschriebenen 70 Kilometer pro Stunde einhalten würden, ja wegen der vielen Kurven gar nicht auf mehr beschleunigen könnten.

Um einen Blitzer aufzustellen, gebe es zu wenig gerade Strecke. Die Polizei kennt das Treiben in den Mottener Serpentinen gut. Im jährlichen Verkehrsbericht der Polizeiinspektion (PI) heißt es aber: "Die seit einigen Jahren angeordnete Geschwindigkeitsbeschränkung auf 70 km/h wird teilweise eklatant überschritten."

Den hessischen Kollegen sei bei Ermittlungen ein besonderer Fang ins Netz gegangen: per Helmkamera gemachte Filmclips von Motorradfahrern aus dem Frühjahr 2021, die "rennähnliche Fahrten" dokumentieren. "Die Auswertung der Aufnahmen ergab gefahrene Geschwindigkeiten von circa 180 km/h (bei 70 km/h)."

Trotzdem sagt Klaus Wiesler, Sachbearbeiter Verkehr bei der PI: "Kontrollen zeigen, dass es den Fahrern nicht um utopische Geschwindigkeiten geht, sondern um das Ausprobieren ihrer Künste in Schräglage." Heißt: Wer beim Sich-in-die-Kurve-Legen mit dem Knie der Fahrbahn möglichst nahe kommt und das auch noch belegen kann, ist der Held.

Und das immer und immer wieder. Der dabei entstehende Lärm nervt natürlich die Anwohner. Will berichtet auch von gefährlichen Situationen, wenn man sich im Verkehr begegnet.

Besonders viele und schwere Unfälle scheinen dabei nicht zu passieren. Sie haben seit dem Ausbau der Strecke 2015 eher abgenommen. Laut Wiesler wurden 2020 neun registriert; vergangenes Jahr waren es nur noch sechs. Eine Person wurde verletzt; vor zwei Jahren waren es zwei. Martina Will sagt aber, dass viele Biker, die unbeabsichtigt in die Leitplanken geraten, die Unfälle weder melden noch ärztliche Hilfe rufen. Sie hauen - wenn es noch geht - einfach ab.

Sowohl Will als auch Wiesler haben beobachtet, dass die meisten Motorradfahrer aus den Landkreisen Bad Kissingen, Main-Kinzig und Fulda kommen, aber auch dem Rhein-Main-Gebiet, vereinzelt aus ganz Deutschland.

"Die Kurven sprechen sich in der Szene schnell rum", sagt Klaus Wiesler. Videos auf so bekannten Internet-Plattformen wie Youtube belegen das. "Die Strecken finden sich aber auch in einschlägigen 'Kurvenplanern'", berichtet der Polizist.

Mit der von den geplagten Anwohnern so ersehnten Polizeipräsenz sei es nicht einfach. Zum einen fehle für eine Dauerüberwachung das Personal. Zum anderen seien die Mottener Kurven zu gut für überraschende Tempokontrollen einsehbar.

Die Beamten fänden es schwierig, eine Stelle zu finden, an der gerichtsverwertbare Messwerte entstehen. Wenn die Polizei anrolle, seien die Biker wie vom Erdboden verschluckt, hat Martina Will beobachtet. Sie vermutet, dass jemand abgestellt werde, der Schmiere steht.

Im Landkreis Kissingen existieren weitere kurvige Strecken: der Hammelburger Lagerberg, der Schindberg bei Münnerstadt, die Nüdlinger Serpentinen und die Pyramide zwischen Arnshausen und Oerlenbach, die Kurven zwischen Platz und Geroda. Doch weder Olaf Gräf, Verkehrsmitarbeiter der PI Bad Kissingen, noch Oliver Eberth, stellvertretender Leiter der PI Hammelburg, berichten von großen Auffälligkeiten oder einem Aufschrei der Anwohner.

Vielleicht, weil die Strecken weiter abseits von Wohngebieten liegen, vielleicht, weil sie sich weniger zum "Cruisen" eignen. Vielleicht haben die Anwohner auch aufgegeben.

 
Themen & Autoren / Autorinnen
Kurven
Lärm
Motorradfahrer
Polizei
YouTube
Lädt

Damit Sie Schlagwörter zu "Meine Themen" hinzufügen können, müssen Sie sich anmelden.

Anmelden Jetzt registrieren

Das folgende Schlagwort zu „Meine Themen“ hinzufügen:

Sie haben bereits von 50 Themen gewählt

bearbeiten

Sie folgen diesem Thema bereits.

entfernen
Kommentare
Aktuellste
Älteste
Top
  • Veraltete Benutzerkennung
    Hier muss endlich mal was passieren, zum Schutz der Anwohner und Naturfreunde. Lärm macht krank! Die Motorräder sind viel zu laut und die halsbrecherischen Fahrten lebensgefährlich für alle Verkehrteilnehmer!
    • Bitte melden Sie sich an Gefällt mir () Gefällt mir nicht mehr ()
    • Antworten
  • f. p.
    Auch wenn ich die Vorwürfe von Frau Will verstehen kann, hat sie dennoch kein Recht auf eine Abschaffung des Getöse. Ein Freund von mir wohnt in einer kleinen Stadt in der Nähe von Frankfurt. Dort gibt es seit ca. zehn Jahren eine ICE Strecke, die von morgens 5 Uhr bis nach 23 Uhr vorbeirasen. Außerdem starten dort von früh bis spät in die Nacht die Flugzeuge über den Ort. Auch wenn in Motten zu bestimmten Zeiten die Motorradfahrer sich austoben, bedeutet das nicht, dass dies am schnellen Fahren liegt. Motorräder machen nun einmal Krach beim beschleunigen. und damit muss man leben, denn ein recht auf Ruhe kann man dafür nicht erwarten. Ziehen sie mal in eine Großstadt, sie würden sich trotz der Motorräder freuen, wenn sie wieder nach Motten zurück könnten. Ich finde es Jammern auf hohen Niveau.
    • Bitte melden Sie sich an Gefällt mir () Gefällt mir nicht mehr ()
    • Antworten
  • R. A.
    2 Eimer Sand und ein Gefahrenschild. Schon kehrt Ruhe ein…
    Ich fahr selber seit 40 Jahren und kann hier für keinerlei Verständnis aufbringen. Ich dachte, mittlerweile kanns für nutzloses Posen eine Strafe geben?
    Die Polizei will nicht. Da gibt es doch keine zwei Meinungen…
    • Bitte melden Sie sich an Gefällt mir () Gefällt mir nicht mehr ()
    • Antworten