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Motten
Motten: Argjent L. kommt nicht
Vier Flüchtlingen gab die Firma Paltian eine Chance. Ausnahmslos jede scheiterte - mal an bürokratischen Hürden, mal am Menschen. Nun ist der Frust groß.
Chefs ohne Azubi: Ein Flüchtling aus dem Kosovo trat seine Ausbildung nicht an. Die Enttäuschung darüber ist bei Michael Paltian (rechts) und seinem Vater Werner groß. Foto: Ulrike Müller       -  Chefs ohne Azubi: Ein Flüchtling aus dem Kosovo trat seine Ausbildung nicht an. Die Enttäuschung darüber ist bei Michael Paltian (rechts) und seinem Vater Werner groß. Foto: Ulrike Müller
| Chefs ohne Azubi: Ein Flüchtling aus dem Kosovo trat seine Ausbildung nicht an. Die Enttäuschung darüber ist bei Michael Paltian (rechts) und seinem Vater Werner groß. Foto: Ulrike Müller
Ulrike Müller
 |  aktualisiert: 19.08.2022 06:50 Uhr
Das neue Ausbildungsjahr begann für die Firma Paltian Treppenbau in Motten mit einer herben Enttäuschung. Ein junger Mann aus dem Kosovo, der bereits ein Jahr an der Berufsschule Bad Kissingen erfolgreich absolviert hatte, kam einfach nicht. Nicht am 1. September, seinem ersten Arbeitstag, und auch nicht am 15. September, wie Argient L. am Telefon noch versprochen hatte. "Eine riesen Enttäuschung", nennt Geschäftsführer Michael Paltian das. "Wir haben Menschen mit verschiedenen Nationalitäten und von verschiedenen Kontinenten eine Chance gegeben und ausschließlich schlechte Erfahrungen gemacht."

Immer wieder hat diese Zeitung geglückte Beispiele der Integration herausgehoben. Erfolgsgeschichten, die sich auch mit Zahlen belegen lassen (siehe unten). Doch es gibt auch die andere Seite. Erfahrungen mit der Bürokratie und dem Faktor Mensch, die einheimischen Helfern den Mut nehmen, sich zu engagieren. So, wie es bei der Firma Paltian in Motten passiert ist.

Da war der Nordafrikaner, der als Hilfsarbeiter angestellt war. "Er war so glücklich, dass er hier eine Arbeit hat", erinnert sich Michael Paltian. Mit dem Fahrrad fuhr er jeden Morgen über zwei Berge von Volkers bis nach Motten. Da er über Italien nach Deutschland eingereist war, sollte er dorthin zurück. Nach etwa zwei Monaten erschien der Mann nicht mehr zur Arbeit. Paltian vermutet, dass er bei einer Kirchgemeinde Unterschlupf gefunden hat. Ein anderer, ein Syrier, kam über die Mittelschule zu einem Praktikum. Jeden Dienstag, ein halbes Jahr lang, das war der Plan. Der junge Mann hätte es noch nicht einmal weit gehabt, er lebte in der Unterkunft in Motten. "Einen Tag war er da", sagt Michael Paltian. Dann sei er einfach nicht mehr gekommen.


Asylantrag wurde abgelehnt

Und schließlich gab es noch Juri, einen Familienvater aus der Ukraine. Ein knappes Jahr habe er in der Firma gearbeitet, als Schreinergehilfe. "Er hatte einen unbefristeten Arbeitsvertrag", erzählt Werner Paltian. Seine Frau habe bei einem Friseur in Bad Brückenau eine Ausbildung gemacht. Doch die Familie habe zurück in die Heimat gemusst. "Alle schreien, wir haben Fachkräftemangel. Und dann haben wir Leute, die sich einbringen wollen. Und die werden zurückgeschickt. Das ist eigentlich nicht zu verstehen", sagt der Senior-Chef.

Es gibt schon eine Vorgeschichte, vielleicht ist der Frust deshalb so groß. Argjent L. sollte schon einmal bei den Paltians eine Ausbildung anfangen. Im Rahmen seine Berufsgrundschuljahres 2015/16 hatte er ein zweiwöchiges Praktikum in Motten absolviert. "Er kann sehr gut Deutsch, ist fachlich gut und hat eine sehr gute Arbeitseinstellung", berichtet Michael Paltian. Die Firma bot ihm einen Lehrvertrag an. "Eigentlich war alles klar. Keiner kam auf die Idee, dass der dann hier nicht arbeiten darf." Doch genauso kam es. Der Asylantrag des jungen Mannes wurde abgelehnt, eine Klage vor dem Verwaltungsgericht scheiterte. Sowohl die Berufsschule Bad Kissingen als auch die stellvertretende Landrätin Monika Horcher (Grüne) hatten sich eingesetzt - vergeblich.

Argient L. trat seine Ausbildung damals nicht an. Irgendwann im Sommer 2016 ist er "wahrscheinlich untergetaucht", vermutet Michael Paltian. In diesem Jahr meldete er sich erneut, legte einen Aufenthaltstitel und eine bis Februar befristete Arbeitserlaubnis vor, erzählt er weiter. Die Firma habe einen zweiten Anlauf genommen und erneut einen Lehrvertrag ausgestellt.


Handwerkskammer vermittelt Willkommenslotsen

"Der Fall in Motten ist der erste Fall, von dem wir hören", sagt Karin Maywald, Leiterin der Staatlichen Berufsschule Bad Kissingen. Sie könne nur sagen, "die Betriebe sollen sich nicht entmutigen lassen". Ähnliche Geschichten seien ihr nicht bekannt, dennoch erlebe sie hautnah mit, "wie sehr es diese jungen Menschen belastet, auf die Entscheidung der Ausländerbehörde warten zu müssen". Die meisten Flüchtlinge an ihrer Schule hätten einen negativen Bescheid auf ihren Asylantrag erhalten und dagegen geklagt, doch die Gerichte seien überlastet, so dass die jungen Menschen in der "Warteschleife" hängen.

Hängengelassen fühlen sich aber auch Michael und Werner Paltian. "Die Mandatsträger wissen manchmal nicht, wie wir kämpfen mit der Bürokratie", sagt Senior-Chef Werner Paltian. Es müsse Ausnahmegenehmigungen geben, ergänzt Sohn Michael.

Um Handwerksbetriebe beim Thema Flüchtlinge zu unterstützen, gibt es seit Frühjahr 2016 so genannte Willkommenslotsen. Vier davon arbeiten in Unterfranken, auch in der Region Bad Brückenau, sagt Nadine Heß, Referentin Öffentlichkeitsarbeit der Handwerkskammer für Unterfranken. Sie beraten kleine und mittlere Unternehmen in allen praktischen Fragen der betrieblichen Integration von Flüchtlingen und können auch rechtliche Fragen beantworten.

Weil sich auch die Ausbildung selbst verändert, wenn junge Menschen aus einem völlig anderen Kulturkreis angelernt werden, bietet das Bayerische Kultusministerium in Zusammenarbeit mit der Vereinigung der Bayerischen Wirtschaft einen Workshop für Ausbilder und Lehrer an. Die Berufsschule Bad Kissingen bietet am 2. Februar 2018 einen solchen Kurs an.


58 Flüchtlinge erreichten im Juli den Abschluss der Berufsintegrationsklasse (BIK) an der Berufsschule Bad Kissingen. Davon traten 22 eine Ausbildung an, sieben bekamen direkt einen Arbeitsvertrag, vier besuchen weiterführende Schulen und einer wurde an die Universität Würzburg vermittelt. Sieben Schüler vermittelte die Agentur für Arbeit in eine Maßnahme oder einen weiteren Sprachkurs. Sieben Schüler sind noch unentschlossen, in Elternzeit oder umgezogen. Fünf Absolventen hätten einen Ausbildungsplatz erhalten, dürfen aber in Deutschland nicht arbeiten. Fünf Flüchtlinge schafften den Abschluss nicht und wiederholen die Klasse.

184 Flüchtlinge besuchen aktuell eine der zehn Berufsintegrationsklassen (BIK) im Landkreis Bad Kissingen. Acht Klassen gibt es an der Berufsschule Bad Kissingen, zwei am Berufsbildungszentrum für soziale Berufe in Münnerstadt. Üblicherweise durchlaufen die Flüchtlinge zwei Jahre lang BIK-Klassen, bevor sie eine reguläre Ausbildung antreten. Im kommenden Sommer werden voraussichtlich 116 Schüler dem Ausbildung- und Arbeitsmarkt zur Verfügung stehen. Fest im Unterrichtsplan vorgesehen sind Praktika, bei denen sich die Betriebe selbst ein Bild von den Menschen machen können.

132 Lehrverträge mit jungen Flüchtlingen registrierte die Handwerkskammer in ganz Unterfranken zum Stichtag 31. August 2017. Erfasst wurden Auszubildende aus den acht häufigsten Asylantragsländern. Im Einzelnen sind das Afghanistan, Eritrea, Irak, Iran, Nigeria, Pakistan, Somalia und Syrien. Im Vergleich zum gesamten Vorjahr stelle das fast eine Verdopplung dar, teilt Nadine Heß, Referentin Öffentlichkeitsarbeit der Handwerkskammer für Unterfranken, mit. Zugleich lobt sie die hohe Bereitschaft unterfränkischer Handwerksbetriebe, jungen Flüchtlingen eine Perspektive zu bieten.
 
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Kommentare
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  • Funkenstern
    in diesem Artikel sieht man deutlich, wie die denkende Vorgehensweise einiger Wirtschaftsflüchtlinge vor sich geht.
    Bei uns wird zu viel ohne Gegenleistung eingeblasen. Da kommt dann auch ein Anspruchsdenken auf.
    Keine Leistung ohne Gegenleistung, muss das langfristige Ziel zur Eingliederung sein.
    Das betrifft leider nicht nur die Asylantenfrage. wenn heutzutage ein Rentner in D aufstocken muss und der Asylant mit seiner Grossfamilie mehr Zuwendungen bekommt, so kannst du dir erklären, warum die Wahlreise so ausgegangen ist.
    Das handwerk engagiert sich, sie brauchen diese Kräfte und wollen diese auch integrieren. Wenn sie aber von vornerein gesagt bekommen, dass es auch anders geht, versteht man diese Ausgangslage. Hier muss was getan werden.
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