
Kommentar gegen Fahrverbote von Johannes Schlereth
Jedes Jahr beginnt mit dem Start der Motorradsaison aufs neue die ewig gleiche Debatte: Die Bikes seien zu laut. Anwohner fühlen sich in ihrer Sonntagsruhe gestört. Heuer dann der Vorstoß aus der Politik: Fahrverbote an neuralgischen Punkten sollen das Problem lösen. Das ist Aktionismus und nichts anderes als Symbolpolitik eines Staates, der in diesem Fall keine Muse hat, eine konstruktive Lösung zu finden. Deutlich zeigt sich das am Beschlussvorschlag des Bundesrates . Ziel des Papiers: "Die berechtigten Interessen der Anwohner und die der Motorrad Fahrenden gilt es, in einen fairen Ausgleich zu bringen".
Motorradfahrverbot: Einseitig gedacht
Aber wo ist er, der "faire Ausgleich"? Im Beschluss hat der Bundesrat einfach die Forderungen der Initiatoren - verschiedene Kommunen - übernommen. Die Interessen der Motorradfahrer tauchen an keiner Stelle des Kataloges auf. Andere Lärmquellen wie Möchtegern-Auto-Tuner mit Ofenrohren als Auspuff, die nachts durch die Innenstädte brettern, finden ebenfalls keine Berücksichtigung. Es zeichnet sich das Bild einer Hexenjagd auf eine Verkehrsgruppe.
Forderungen sind irrsinnig
Auffällig ist, dass ein Großteil der Forderungen schlichtweg hanebüchen ist. Beispiele gefällig? Es soll möglich sein, zu laute Motorräder sofort noch vor Ort stillzulegen. Das ist bereits jetzt schon möglich. Weiter im Takt: Die Strafen für Manipulationen am Abgassystem sollen deutlich verschärft werden. Erwischt die Polizei bereits jetzt einen Lärmsünder ist das Ergebnis klar: Veränderungen dieser Art führen zum Erlöschen der Betriebserlaubnis. Eine mögliche Konsequenz neben einer Strafzahlung: Stilllegung der Maschine. Für den Biker folgen in diesem Fall langwierige Termine beim TÜV und der Zulassungsstelle .
Ein drittes Beispiel ist die angestrebte Schallobergrenze von 80 Dezibel. Lustige Nebeninformation in diesem Zusammenhang: Die Obergrenze für neu zugelassene Motorräder ab dem 1. Januar 2016 liegt derzeit bereits bei 77 Dezibel. Bereits ein höheres Verkehrsaufkommen oder vorbeifahrende LKW liegen bei 80 Dezibel. Verbietet die Politik als Folge dann den Privatverkehr oder LKW-Lieferungen? Fachliche Kompetenz haben sich die Initiatoren beim aufstellen ihres Pamphlets wohl nicht eingeholt.
Verbot hätte Auswirkungen auf den Tourismus
Rücksichtslos sind sie auch gegenüber den Betreibern von Ausflugslokalen entlang der Strecken. Die Wirte gelten für die Initiatoren wohl als eine Art Kollateralschaden. Bleiben die Motorradfahrer aus, bleiben die Kassen leer.
Und trotzdem gilt: Lärm ist ein Problem, das krank macht. Aber wie viele Motorräder in Deutschland tatsächlich zu laut sind, ist unklar. Die "vereinigten Arbeitskreise gegen Motorradlärm" (VAGM) gehen davon aus, dass 30 Prozent der Motorradfahrer durch massiven Lärm auffallen. Dabei bezieht sich der Verband auf eine Studie der ACEM - einem Zusammenschluss von Motorradherstellern - aus den frühen 2000er Jahren.
VAGM pickt sich die Rosinen bei den Informationen heraus
Was die VAGM unerwähnt lassen: In der Studie wird klargestellt, dass bereits normaler Autoverkehr lauter als Sportmotorräder ist. Und: Seit dem Anfertigen der Studie vor knapp 20 Jahren hat die Politik reagiert. Die Lärmvorschriften sind erheblich verschärft worden.
Das ist längst bei den meisten Motorradfahrern angekommen - was ich als Teil der Szene bestätigen kann. Vom Slogan "Leise ist Scheiße" ist nicht mehr allzu viel übrig. Die wenigsten haben Lust auf Stress mit der Polizei , weil das eigene Krad zu laut ist. Erst recht nicht auf einer Ausfahrt mit Freunden. Die Biker wollen fahren - und das im Rahmen des Erlaubten. Wenn bereits nach wenigen Kilometern im Sattel die Ohren - oder die Polizeisirenen - dröhnen hat das mit Fahrspaß nur noch wenig zu tun. Es sei denn man ist masochistisch veranlagt.
Vernunft und eine ruhige Gashand sind gefragt
Statt Kollektivstrafen braucht es Lösungen, um der schwarzen Schafe Herr zu werden. Das gelingt durch verstärkte Kontrollen und Aufklärungsarbeit. Und: Lärmbelastung muss stärker thematisiert werden, etwa in den Fahrschulen. Letztlich sitzt der beste Schalldämpfer immer noch zwischen den Ohren, denn der Motorradfahrer hat seinen Fahrstil sprichwörtlich selbst in der Hand.
J.schlereth@infranken.de
Redakteur Steffen Standke ist anderer Meinung. Er meint, Fahrverbote seien überfällig:
Der Bundesrat hat "zeitlich beschränkte Verkehrsverbote an Sonn- und Feiertagen aus Gründen des Lärmschutzes " für Motorradfahrer angeregt - und massive Proteste geerntet. Dabei wäre dieser Schritt im Interesse leidgeplagter Anwohner längst überfällig.
Freiheit ist eines der höchsten Güter in unserer Demokratie. Das beinhaltet, seine Meinung frei zu äußern, sich auf Demos zu versammeln (wie es die Biker zahlreich tun), sich überhaupt frei bewegen zu können. Alle diese Freiheiten nutzen wir und fordern sie ein; wir haben uns aber auch sehr an sie gewöhnt (was ihre Einschränkung bedeutet, haben wir in der Virus-Krise erfahren).
Was wiegt mehr?
Freiheit ist also wichtig. Problematisch wird es aber, wenn die Freiheiten, die sich eine bestimmte Gruppe Menschen herausnehmen, diejenigen anderer massiv beschneiden. Was ist höher zu bewerten: das Bedürfnis von Anwohnern zumindest am Abend und am Wochenende (oft nach getaner Arbeit) etwas Ruhe genießen zu können? Oder das Recht, überall, wo asphaltiert ist, langfahren zu dürfen? Man muss sich im Klaren sein: Beim einen geht es um ein grundhaftes menschliches Bedürfnis, bei anderen darum, einem Hobby zu frönen. Manche sprechen auch von Luxus.
Insofern wirken auch die Argumente der Biker auf den zahlreichen Demos wenig überzeugend. Es kann doch nicht ernst gemeint sein, im Zusammenhang mit Wochenend-Ausfahrten von "Beschneidung von Freiheitsrechten" zu schwadronieren und diese damit auf eine Stufe mit elementaren Rechten wie der Meinungsfreiheit zu heben.
Eingreifen an neuralgischen Punkten
Häufig wird auf den Demos auch übertrieben. Da wird von "Kollektivstrafen" gesprochen und das Gefühl vermittelt, Motorräder sollen generell nicht mehr an Wochenenden und Feiertagen fahren dürfen. Dabei geht es eher darum, den Lärmpegel bei neu zugelassenen Maschinen herunterzufahren beziehungsweise Lärmrichtwerte im Sinne der Anwohner anzupassen. Kommunen und auch die Polizei sollen mehr Rechte bekommen, dem Motorrad-Wahnsinn begegnen zu können. Aber nicht flächendeckend, sondern an Orten, wo der Schuh besonders drückt.
All jenen, die meinen, es wäre ja gar nicht so schlimm, sei gesagt: Setzen Sie sich an sonnigen Sonn- und Feiertagen mal an eine Dorfstraße in der Rhön und lauschen sie dem Geschehen. Ab spätestens elf Uhr fallen die Biker meist in Gruppen dröhnend, röhrend und blubbernd in das Gebirge ein. Vor 21 Uhr ebbt der Strom im sommer meist nicht ab. Ähnliches habe ich übrigens auch an Bundes- Staats- und Kreisstraßen rund um Bad Kissingen erlebt.
Hersteller haben versäumt zu handeln
Und nein: Es sind eben nicht die berühmten Einzelfälle, die getunten ihre Maschinen rücksichtslos aufdrehen, dass man sie kilometerweit durch den Wald herannahen oder wegfahren hört.Die Hersteller von Motorrädern haben es in den vergangenen Jahren versäumt, ihre Modelle leiser zu machen (weil sie es auch nicht mussten). Nun potenziert sich der Lärm mit zunehmender Zahl derjenigen, die sich ein Motorrad leisten können.Zudem gehört es leider nicht zum Selbstverständnis vieler Fahrer, langsam und leise von A nach B zu kommen. Das wohlige Brummen, der Rausch der Geschwindigkeit - darauf kommt's ihnen an.
Die Illusion von der Freiheit auf zwei Rädern
Dabei jagen die Biker einer Illusion hinterher, die es auf deutschen Straßen immer weniger gibt: auf menschenleeren Pisten seine Leidenschaft ausleben zu können. Stattdessen sind die Straßen immer häufiger verstopft; alle drei bis vier Kilometer muss man wegen Siedlungen herunterbremsen. Das Gefühl ungebremster Freiheit a la "Easy Rider" auf der "Route 66"? Kann man hierzulande längst vergessen.
"Sozialverträglich leise" sollen die Motorräder sein, die die Industrie künftig produziert. Das fordern nicht irgendwelche Biker-Hasser, sondern der Bundesverband der Motorradfahrer selbst. Das und ein rücksichtsvolleres Fahren könnten den ewigen Konflikt zwischen Anwohnern und Bikern auflösen. Ohne Zwang und gesetzliche Regelungen wird das nicht gehen. Dass sich schnell etwas ändert, glaube ich nicht.S.Standke@infranken.de