"Für mich ist es wirklich immer wieder eine große Freude, dass sich so viele Menschen für meine Fluchtgeschichte interessieren", mit diesen Worten und dem für ihn typischen "moin, moin", begrüßte Dr. Umeswaran Arunagirinathan fast hundert Mitglieder und Gäste des Ortsrings Bad Kissingen des Deutschen Frauenrings, die in den Wintergarten des Burkardus Wohnpark gekommen waren. Sie alle wollten die Geschichte des tamilischen Jungen hören, der acht Monate als unbegleiteter minderjähriger Flüchtling unterwegs war, bis er sein Ziel Deutschland erreichte, und der heute als Herzchirurg in der Bad Neustädter Klinik arbeitet.
Nicht viele Flüchtlinge , egal zu welcher Zeit und aus welchem Land sie flüchten mussten, hätten diese Gelegenheit bekommen, betonte Dr. Umes, wie er wegen seines unaussprechlichen Namens inzwischen allgemein genannt wird. Es sei für Geflüchtete besonders wichtig, über die Ursachen ihrer Flucht zu sprechen, von ihrer Heimat erzählen zu können und über ihre Erlebnisse auf dieser Flucht zu berichten - in unzähligen Gesprächen hatte er gelernt, dass viele Menschen weitaus schlimmeres Leid erfahren hatten als er. Auch er habe lange Zeit nicht mit seinen Freunden darüber sprechen können, erinnerte er sich.
Karin Reinshagen, die stellvertretende Vorsitzende des Frauenrings, freute sich sehr, dass Dr. Umes der Einladung ihres Vereins gefolgt war, auch wenn er schon wenige Stunden später wieder zum Nachtdienst auf der Intensivstation in der Bad Neustädter Herzklinik antreten müsse. Sie zeigte sich beeindruckt, dass Umes nicht müde wurde, seine Geschichte an den verschiedensten Orten und vor ganz unterschiedlichen Zuhörergruppen wieder und wieder zu erzählen. "In einer Zeit, in der das Flüchtlings-Thema die Schlagzeilen beherrscht und so viel Kritik in der deutschen Gesellschaft auslöst", betonte sie, zeige solch eine authentische Geschichte , wie gut Integration gelingen kann - jedoch nur mit intensiven Anstrengungen von beiden Seiten.
Bürgerkrieg zerstörte den Alltag
1991 hatte Umes' Mutter ihren ältesten Sohn ganz allein auf die Flucht geschickt, damit der Zwölfjährige dem Bürgerkrieg in Sri Lanka entkommen konnte. "Ich habe viele Erinnerungen an unser Familienleben in Sri Lanka, eine schöne Zeit mit den Eltern , Geschwistern und Großeltern." Doch die Auswirkungen des Bürgerkrieges zwischen den singhalesischen Regierungstruppen und den Tamilen hätten ein friedliches Leben für die Menschen unmöglich gemacht. "Meine Eltern hatten sogar Angst, uns zur Schule zu schicken", erinnert er sich, Entführungen auf dem Schulweg und sogar Morde waren an der Tagesordnung. Als die Mutter den zwölfjährigen Umeswaran schließlich fragte, ob er nach Deutschland wolle, sei seine größte Sorge gewesen, ob er denn dort eine Schule besuchen könne.
"Meine Flucht konnte nur mit Hilfe eines Schleppers gelingen - und kostete sehr viel Geld". Ungefähr 15 000 Mark haben seine Eltern für die Flucht ihres Sohnes aufbringen müssen. "Dies war eine unglaubliche Summe für meine Familie, sie mussten sich das Geld mühsam von Freunden und Verwandten ausleihen", erzählte er. Der Onkel in Hamburg, bei dem er später lebte, hatte einen hohen Kredit aufgenommen, den Umes mit den unterschiedlichsten Jobs und während des Studiums durch etliche zusätzliche Nachtschichten im Krankenhaus zurückzahlte - da sei für intensives Lernen oft kaum Zeit geblieben.
"Mein Vater hat mich schon früh zur Sparsamkeit erzogen und das hat mich fürs Leben geprägt", erzählte Umes. Fast immer habe er sich Kleidung im Second-Hand-Laden gekauft, auch das Jackett, das er bei der Frauenrings-Veranstaltung trug, habe er für 20 Euro auf einem Pariser Flohmarkt erstanden. "Ich bin sparsam aufgewachsen und so lebe ich heute noch", sagte er.
Der Gedanke an eine Flucht ins Ausland war bei seinen Eltern inzwischen konkreter geworden, zumal seine ältere Schwester an einer Nierenkrankheit gestorben war - da es für sie keine angemessene ärztliche Hilfe gegeben habe. Seine Mutter hatte größte Schwierigkeiten auf sich genommen, um die Flucht des Sohnes organisieren zu können - nach einer achtmonatigen Odyssee durch die halbe Welt landete Umes endlich am Frankfurter Flughafen.
Versprechen gehalten
Die Wohnung des Onkels in einem Hamburger Hochhaus sei dem zwölfjährigen Umes wie der pure Luxus erschienen. Seiner Mutter habe er beim Abschied in Sri Lanka drei Dinge versprochen: keinen Alkohol zu trinken, nicht zu spielen und Arzt zu werden. Daran habe er sich bis heute gehalten, musste aber immer wieder viele Probleme bewältigen. "Ohne die Unterstützung vieler Menschen in Hamburg, Lehrer, Freunde und Eltern meiner Klassenkameraden hätte ich mein Ziel nie erreicht", betonte Dr. Umes. Als kurz vor dem Abitur die Abschiebung drohte, hätten die Eltern der Klassenkameraden Geld für die Anwaltskosten zusammengelegt. Besonders sein Klassenlehrer Lorenz Köhler habe ihm immer zur Seite gestanden.
"Wenn ich sage, dass ich Deutscher bin, schauen die Menschen mich komisch an", erzählte Umes - meistens werde er nur nach seinem Aussehen bewertet und höre dann oft den verwunderten Satz: "Du sprichst ja deutsch." So sei es ihm kürzlich in der Umkleide eines Neustädter Fitness-Centers passiert. "Die Menschen meinen das ja nicht böse", sagte Umes, und sogar als Arzt habe er mit Vorurteilen kämpfen müssen, weil er dunkelhäutig ist. "Doch auch diesen skeptischen Patienten gebe ich die Chance, mich wirklich kennen zu lernen und vielleicht dabei ihren Horizont zu erweitern", fügt er scherzhaft hinzu. Einen guten Freund hatte er in "Berndi" gefunden, seinem WG-Mitbewohner in Hamburg, der aus Rosenheim in Bayern stammte. Nach den ersten sprachlichen Verständigungsproblemen zwischen dem Hamburger Umes und dem bayerischen Berndi hatte sich eine echte Freundschaft entwickelt, die sogar dazu führte, dass er später Patenonkel von Berndis Sohn Oskar wurde. Eine unschöne Geschichte habe er allerdings nach einem Besuch des Rosenheimer Herbstfestes erlebt, als der gesamte Freundeskreis den Abend mit einem Discobesuch abschließen wollte - aber Umes wurde wegen seines Aussehens nicht eingelassen. "Meine Freunde haben sich damals sehr deswegen geschämt - aber viele Menschen müssen halt noch lernen, dass Deutsche nicht immer blond, blauäugig und hellhäutig sind", sagte Umes mit einem Lächeln.
Umeswaran Arunagirinathan musste viele Probleme und Vorurteile überwinden, um seine Ziele zu erreichen. Immer wieder betont er, dass die Sprache der wichtigste Schlüssel zu einer gelungenen Integration sei, denn wie sollte man sich wirklich verstehen, wenn man nicht die gleiche Sprache spricht.
Karin Reinshagen