
Montag, 4. November 2024. Wie jeden Morgen geht Stefanie Maessen zum Stall am Ortsrand von Hausen. Sie muss die drei Pensionspferde und Jimmy, das Pferd ihrer Mutter Jutta, versorgen. Doch an diesem Tag ist alles anders: Der Elektrozaun ist zerstört, die Pferde stehen in der Zufahrt, sie sind "vollkommen verstört und nervös", erinnert sich Stefanie Maessen. Und Jimmy blutet aus einer Fleischwunde am rechten hinteren Unterschenkel, vor Schmerzen kann er das Bein nicht belasten.

"Zunächst dachte ich, dass die Pferden eventuell durch einen Fuchs oder einen freilaufenden Hund erschreckt wurden. Und dass Jimmy sich vielleicht an den Elektrobändern verletzt haben könnte", fasst Stefanie Maessen ihre ersten Gedanken zusammen.
Tiefe Hufspuren wie bei Vollbremsungen
Doch bald kommen ihr Zweifel. "Überall auf der Weide waren viele Hufspuren, tiefe Hufspuren, die von Vollbremsungen und Manövern herrühren müssen. Und daneben Spuren, die nicht von Hufen stammen." Die Elektrobänder, die die Weide einzäunen, hätten fast fein säuberlich im Gras gelegen. "Die Tiere haben sie mit der Brust eingerissen", so die Pferdehalterin.
Sie sucht die Koppel ab, findet nichts, woran sich Jimmy hätte verletzten können. "Und ich fand auch nirgendwo Blut, Fleisch oder Hautfetzen von ihm."
Wunde wurde desinfiziert - leider
Stefanie Maessen leistete erste Hilfe, desinfizierte die Wunde, bevor sie einen Tierarzt rief - was sich im Nachhinein als Stolperstein erweisen sollte.
Denn ein anderer Tierarzt , Dr. Helmut Fischer aus Bad Kissingen, sah sich die Wunde ebenfalls an: "Ich gehe von einem Wolf aus." Fischer ist Vorsitzender des Jägervereins Bad Kissingen. Die Weide, in der sich der Vorfall ereignete, liegt in seinem Pachtrevier.
Tierarzt: "Vorgang in Hausen passt genau ins Bild"
Er sagt, erst vor eineinhalb Wochen habe es eine Wolfssichtung in Garitz gegeben. "Der Vorgang in Hausen passt genau ins Bild. Ich habe noch nie einen Hund erlebt, der vier Pferde angegriffen hätte."
Wichtige DNA-Spuren beseitigt
Das Problem: Durch die Desinfektion und Wundversorgung wurden eventuelle, wichtige DNA-Spuren beseitigt, die der Wolf über seinen Speichel hinterlassen hätte. Und erst durch derartige Beweise gilt ein Wolfsangriff als gesichert.

Wer ist nun zuständig? Stefanie Maessen hat den Vorfall ans Bayerische Landesamt für Umwelt gemeldet. Auch ist sie bei der Polizei in Bad Kissingen gewesen. Dort wird der Fall unter "Tierereignis durch Hund oder ein anderes Tier" verwaltet. Christian Pörtner , Dienststellenleiter der Polizeiinspektion Bad Kissingen : "Wenn ein Wolf ein Tier reißt, ist das keine Straftat und auch keine Ordnungswidrigkeit."
Fälle ans Landesamt für Umwelt melden
Heißt: Die Polizei ist außen vor, es sei denn, "ein Wolf würde durch die Straßen rennen und Menschen beißen", überspitzt der Polizeichef. Was die Polizei machen könne: eigentlich nur dokumentieren. Pörtner: "Wichtig ist, dass solche Fälle an das ,Wildtiermanagement große Beutegreifer‘ beim Landesamt für Umwelt gemeldet werden."
Auf der Homepage lfu.bayern.de ist ein Dokument zu finden, in dem jeder Wolfssichtungen oder eventuelle Wolfsübergriffe verzeichnen kann. In Maessens Fall ist das schwierig, weil – wie gesagt – Beweise wie Wolfsfellreste oder DNA fehlen.
"Wir wissen nicht, ob wir ihn durchbringen"
Stefanie Maessen ist zutiefst verunsichert. "Die komplette Herde ist nervös, das Erlebnis steckt den Tieren in den Knochen." Vor allem um Jimmy macht sie sich Sorgen. Der Quarterhouse-Mix ist mit 30 Jahren ein Methusalem, die Aufregung und die Verletzung könnten zu viel für ihn gewesen sein. Er bekommt derzeit Medikamente, Schmerzmittel und Entzündungshemmer. "Wir wissen nicht, ob wir ihn durchbringen", sagt sie.
Jimmy ist in eine Schonhaltung verfallen, um das verletzte Bein nicht zu belasten. Das hat nun zur Folge, dass er mit einem Vorderbein "durchtritt", heißt: dass sein Unterschenkel unnatürlich tief durchsackt. "Ob wir das wieder hinbringen, wissen wir nicht", sagt die Pferdeliebhaberin .

Stefanie Maessen schläft in Sattelkammer
Auch wenn sie es wohl nicht beweisen kann: Stefanie Maessen ist wie Tierarzt Fischer davon überzeugt, dass es ein Wolfsangriff war. Zwei Nächte hat Stefanie Maessen nun schon in einer kleinen Sattelkammer gleich neben der Weide geschlafen. Zusätzlich hat sie sich mit einem alten Handy und einer Babyfon-App eine Art Alarmanlage gebastelt, dank Wildtierkameras gibt es nun keinen uneinsehbaren Bereich mehr auf der Koppel.
Sie hat einfach zu große Angst, dass es ein Wolf gewesen ist – und dass er wiederkommen könnte. Dann will sie ihn mit ihrer Anwesenheit, mit Krach, mit Licht verscheuchen. In seinem Zustand wäre Jimmy eine leichte Beute. Und das will sie verhindern.
Es ist mehr als bedauerlich was hier passiert ist, aber wir müssen lernen mit den Tieren, mit der Wildnis zu leben, auch wenn es zuweilen schmerzhaft sein kann. Letztendlich haben wir den Tieren ihren Lebensraum genommen und die Erde zu großen Teilen zerstört.
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Wie viel Lebensraum und Nahrung stellen Sie selbst den Wölfen zur Verfügung?