Auch wenn die Leser der Familiensaga des renommierten Schauspielers Joachim Meyerhoff und Publikum und Presse angesichts der Bühnenfassung von Christof Küster im Altonaer Theater in Hamburg immer wieder das komische Potenzial seiner Erzählungen feierten, blieb das Theaterring-Publikum im Kurtheater ziemlich erschüttert zurück beim Schlussvorhang zu "Wann wird es endlich wieder so, wie es nie war?" Denn bestürzend klar wurde es am Ende der Aufführung unter Küsters Regie, dass Meyerhoffs Übertitel für seine vier Erinnerungsromane "Alle Toten fliegen hoch" durchaus und mit vollem Ernst einen modernen Totentanz meint. Im Band "Amerika" setzte er seinem "mittleren Bruder", der bei einem Autounfall ums Leben kam, im zweiten, "Wann wird es endlich wieder so..." seinem früh verstorbenen Vater ein Denkmal.
Familie als Forschungsprojekt
Der hatte das Leben der Familie Meyerhoffs zu einem seiner Forschungsprojekte gemacht, hatte ihn, seine Mutter und seine zwei Brüder mitten im Gelände der Kinder- und Jugendpsychiatrie in Schleswig zusammen mit den Behinderten aufwachsen lassen. Josse, der Jüngste, erzählt den Roman, in der Bühnenfassung tritt er als kleiner Junge und als Erwachsener, der die Handlung kommentiert und den todkranken Vater besucht, auf. Der Vater, hoch angesehener Professor, multibegabter Denker, aber arroganter Versager in allen praktischen Belangen, fasziniert Josse und macht ihm auch Angst, zumal seine theorielastigen Versuche, dem schüchternen Kleinen zu helfen, nicht wirklich hilfreich sind und sein Umgang mit allen Familienangehörigen häufig eher der Beobachtung als der liebevollen Kommunikation dient. Er selbst macht mit aufgeblasenem Selbstbewusstsein, was ihm gerade einfällt, kauft ein Segelboot, einen Selbstversorgerhof auf dem Land und wird so in der Unbedingtheit seiner Egozentrik zu einer komischen Figur, was nur die Mutter erkennt und zu kommentieren wagt.
Viele der urkomischen Situationen, wie etwa, wenn die nervöse Mutter bang nach oben horcht, wo ihre Söhne die Freundinnen auf dem Zimmer haben, und dann alle Toilettenspülungen betätigt, erinnern Leser und Zuschauer an ihre eigene Jugend, auch die Vater-Mutter-Konstellation zeigt, was so mancher selbst erlebt hat. Dieser unverblümte Blick auf ein deutsches Familienleben machte von Anfang an den Reiz und auch Verkaufserfolg der von Meyerhoff bewusst "Roman" genannten Erinnerungen aus.
Hinzu kam die Exotik des Schauplatzes, das für Normalbürger Undenkbare eines Lebens mitten in einer Psychiatrie mit Kontakt zu den Patienten, die auch mal ins Haus kommen, Verrücktes tun, aber auch interessant und liebenswert sind. Der in seinen Ansprüchen monströse Vater, übermächtig und besonders rücksichtslos in der außerehelichen Befriedigung seiner Begierden hätte auch in eine klassische Tragödie gepasst.
Schicksalsschläge
Doch hätte ihn da seine nach Italien geflohene Frau nicht trotz allem bis zum Tode gepflegt. Und seine beiden nicht hochbegabten, deshalb vom Vater eher vernachlässigten Söhne , die sich von ihm in einer sehr intensiven Schlussszene verabschieden, machen deutlich, dass es nicht um Schuld und Sühne, sondern um das richtige Leben handelt in diesem Stück. Und dieses richtige Leben wird in dieser Familientragikomödie mit durchaus publikumswirksamem trotzigem Humor erzählt, doch die Schicksalsschläge für Josse treffen die Zuschauer in der Aufführung der Altonaer mit ebenso unvermittelter Wucht.
Mit der Andeutung eines nach allen Seiten offenen Bungalows, der nur mithilfe von Vorhängen intime Räume zuließ, und einer obenauf gesetzten Plattform, die mal Obergeschoss, mal Segelbootdeck und mal Terrasse sein konnte, schuf Ausstatterin Maria Martinez Peña eine ideale Spielinstallation für die vielschichtige Handlung.
Regisseur Christof Küster sorgte für eine flüssig miteinander verschränkte Handlung mit nur gelegentlichen Längen. Seit der Premierenaufführung im September 2017 hat man einige Rolle neu besetzt, zumal das Stück im April auch am Stammhaus in Altona wiederaufgenommen wird. Moritz Brendel spielte den Erzähler , den erwachsenen Josse, der fast immer auf der Bühne anwesend ist, mit viel Einfühlungsvermögen, doch noch einigen Problemen mit dem Text. Irene Benedict hatte offenbar Vergnügen an der Darstellung der so unterschiedlich skurrilen Behinderten wie Dietmar und Ferdinand.
Wechselnde Rollen
Doch wechselten auch die meisten übrigen Schauspieler immer wieder in die Patientenrollen, karikierten deren Spleens oder machten in Pantomimen die ständig bedrückende Kulisse der Klinik spürbar.
Uta Krüger spielte die suizidale Margret, die im pubertierenden Josse die ersten sexuellen Regungen erweckt, als faszinierende Gestalt. Philip Spreen gab als klugscheißerischer "mittlerer Bruder" überzeugend den zynischen Familienkritiker und Quälgeist für den ihm nicht gewachsenen Josse. Birger Frehse war als Patient mit Hundetick eindrucksvoller als in der Rolle des sowieso nicht so interessanten "älteren Bruders". Neben Frau Krüger gehörte auch Gundi-Anna Schick als Mutter zur Originalbesetzung und vermochte deren notgedrungene Kombination aus Leidensfähigkeit, Überlebenswillen für sich selbst und Liebe zu ihren Söhnen ruhig, aber sehr eindrucksvoll zu gestalten.
Josef Tratnik als überlebensgroßer Professor-Vater gab den Familientyrann mit präsenter und sehr präziser Gestik, konnte dessen Niedergang vom lebenslustigen selbstgefälligen Supermonster zum hinfälligen Greis sehr plausibel sinnfällig machen. Den offenbar alterslosen Johan Richter, zwar noch in der Riege der zu fördernden Jungstars, aber gleichzeitig schon sehr bühnenerfahren, kann man für die Rolle als Josse als Glücksfall betrachten. Sowohl stimmlich als auch in seiner Körpersprache schaffte er es, die Entwicklung vom ängstlichen kleinen Jungen zum selbstbewussten Fast-Zwanziger glaubhaft und immer anrührend zu gestalten.
Technisch ausgefeilt
Christof Küsters Bühnenfassung der Bestseller von Joachim Meyerhoff machte das Leben der Familie Meyerhoff in vielen eindrucksvoll ausgestalteten Szenen und in einer technisch ausgefeilten Aufführung plastisch erfahrbar, ihre Brüche, Macken, aber auch ihren Zusammenhalt trotz aller Kritik aneinander verständlich. Das Publikum des Theaterrings spendete am Ende lebhaften und langanhaltenden Beifall.