
Auch wenn ich nie an diese Schule gegangen bin, ist mir der Anblick vertraut. Es ist ein Montagabend, an dem ich in der Turnhalle der Mittelschule stehe. Schulturnhallen sehen sich immer ähnlich, nur die Menschen darin trennen sich von der Erinnerung an meine Schulzeit ab. An einem Ende der Halle powern sich gerade eine Horde Jungs noch aus. Immer zu zweit üben sie Tritte gegen den Oberschenkel des jeweils anderen. Es ist wuselig. Zwischendrin Philipp Graf, er ist der Trainer der PG Academy und Lehrer.
Trainer der Academy: Philipp Graf
Manche der Jungs hat er im Unterricht am Vormittag, abends trainiert er sie dann im MMA. Mixed Martial Arts, also gemischte Kampfkünste, kombiniert Boxen und Kickboxen mit Ringen. Seit 2016 unterrichtet er nicht nur in der Schule, sondern gibt auch Kampfsportunterricht. Angefangen hat er mit Personal Training und Combat Sambo, einer russischen Kampfsporttechnik. Daraus entwickelte er sein MMA-Trainingskonzept.

Mit meiner ersten Vorstellung von wildem Schlagen, Treten und zwischendurch über den Boden wälzen, hat das wenig zu tun, wie ich in den vergangenen Wochen gelernt habe. Dahinter steckt viel Technik. Schließlich gilt es, die Methoden aller verschiedenen Einzeldisziplinen zu beherrschen.
Während die Jungs immer wieder, ähnlich wie in einer Schulsportstunde, nach Herrn Graf rufen, wärmen sich am anderen Ende die Erwachsenen auf. Geduldig zeigt Philipp Graf den Kindern noch einmal die Übung. Einige hören zu, andere versuchen während der Erklärung mitzumachen. Zwischendrin fallen zwei Jungs um, als sie versuchen beides zu verbinden und gleichzeitig herumalbern. Ich stelle mich mit etwas Abstand zu den anderen Erwachsenen und fange an mich zu dehnen.
Aus der Komfortzone heraus
Wir duzen unseren Trainer, es wird ruhiger sein, sobald die Kinder ihr Training beendet haben. Heute sind wir relativ wenige in der Stunde. Leon, Kai und Gabriel haben sich langsam an mich gewöhnt. Auch wenn ich seit ein paar Wochen dabei bin, scheine ich immer noch eine Anomalie darzustellen. Ich habe mich auch langsam an sie gewöhnt. An die Vorsicht, die sie mir gegenüber an den Tag legen. Zwar bin ich deutlich kleiner, aber ich werde nicht zerbrechen, schließlich bin ich da, um Kampfsport zu machen und zu lernen.
Philipp Graf beendet seine Stunde mit den Jungs und kommt zu uns rüber. Das heutige Aufwärmen ist gleichzeitig eine Boxübung und ein Spiel. Gabriel und ich stehen uns mit erhobenen Fäusten gegenüber. Wir versuchen, den anderen abzuklatschen und gleichzeitig nicht abgeklatscht zu werden. Gabriel Wojciechowski ist mit seinen 18 Jahren heute der Jüngste in der Gruppe. Ich versuche ihn abzulenken und frage danach, warum er dabei ist: „Ich mache Kraftsport seit ich 15 bin. Jetzt will ich weiterkommen. Hoffentlich kann ich irgendwann meinen ersten Kampf machen.“ Er erwischt mich trotzdem, denn letztlich bin ich vom Zuhören abgelenkt.

Als Vorbereitung auf einen schnellen Übergang zwischen Ringen am Boden und Kämpfen im Stehen lernen wir neue Technik: in Form von Purzelbäumen. Erst vorwärts, dann rückwärts, mit einem Kick zum Aufstehen. Bei Philipp wirkt es mühelos, gekonnt. Vor ein paar Wochen wäre es mir noch peinlich gewesen, als Erwachsene Purzelbäume zu schlagen. Jetzt habe ich mich langsam daran gewöhnt, dass die meisten Übungen erstmal außerhalb meiner Komfortzone liegen.
Motivation und Geduld statt dunkle Ecken
Unter meinen roten Socken mit Schneemännern knautschen sich die ausgelegten Matten zusammen. Es sind die blauen Polster, auf dessen Mattenwagen, ich als Kind mit meinen Mitschülerinnen durch die Turnhalle gerollt bin. Dass hier das Ambiente aus Filmen übers Boxen so gänzlich fehlt, beruhigt mich. Auch Philipp trägt dazu bei, dass meine ursprüngliche Vorstellung von einer dunklen Halle mit viel Gebrüll verschwunden ist. Er schreit nicht. Motiviert stattdessen immer wieder und zeigt die Übungen so oft, wie wir es brauchen, um mitzukommen.
„Natürlich ist es immer eine Herausforderung, sich als neue Schule zu etablieren. Auch die Vorurteile, mit denen der Sport zum Teil immer noch behaftet ist, machen es nicht leichter. In vielen Köpfen gilt Kampfsport als verpönt, dabei ist es eine Sportart für alle. Egal welches Geschlecht, welches Alter oder welches Fitnesslevel, jeder kann von diesem Sport profitieren. Gerade auch für die Entwicklung von Kindern kann er so viel Positives bringen. Nicht nur motorisch, sondern auch kognitiv“, berichtet Philipp Graf.
Fundierte Technik ist wichtig
„Mir ist es wichtig, die Techniken fundiert und sorgfältig zu vermitteln. Mir persönlich geht es darum, dass jedes Mitglied einen Erfolg erleben kann und sich das Training positiv auf das eigene Leben auswirkt. In erster Linie will ich Spaß an der Bewegung und die Leidenschaft und Freude am Kampfsport vermitteln“, sagt Graf.
Wir wiederholen den „doubleleg Takedown“ von letzter Woche. Ziel: beide Beine des anderen festhalten, hochheben und dann auf der dicken Matte fallen lassen. Ich schaffe es inzwischen manchmal meinen Trainingspartner anzuheben und auf die Matte zuwerfen.

Wie wir verhindern, hochgehoben zu werden, lernen wir danach. Auch dieses Manöver hat einen Namen, hängen bleibt der Vergleich mit einer Banane. Nur wenn wir den ganzen Körper, wie eine Banane, durchdrücken, können wir den anderen zu Boden drücken.

Als wir abschließend die Boxsäcke benutzen, sind alle ganz schön fertig. Kai und ich sollen beide auf den Boxsack einschlagen – so schnell wir können. Es ist bei uns beiden recht langsam. „Das ist der Grund, weshalb ich mich angemeldet habe. Meine Kondition ist so schlecht. Ich hatte bisher nur Kraftsport gemacht und hier trainieren wir alles“, meint Kai Straub. Er fährt extra aus Fulda zum Training nach Bad Kissingen .

Leon Max dagegen hat noch mehr Luft. „Ich war schon länger am Kampfsport interessiert. Kai und ich haben die Eröffnung der Academy als Anlass genommen, uns anzumelden. Es ist schön zu sehen, wie sie langsam größer wird.“
Philipp Graf, der Trainer, stimmt zu: „Mein großes Ziel sind eigene Trainingsräume mit einem Kraft- und Athletikbereich, damit alle Teilnehmenden die Möglichkeit haben, sich individuell mehrmals die Woche zu treffen, zu trainieren und sich zu verbessern. Nicht nur im Bereich des Kampfsporttrainings, sondern eben auch im Kraft- und Athletikbereich. Es soll ein Treffpunkt für Sportbegeisterte werden, als Alternative zum klassischen Fitnessstudio. Außerdem möchte ich noch individuellere Kurse anbieten, um mehr Möglichkeiten zu schaffen.“
