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Mitgenfeld
Mitgenfeld: "Ein Pferd straft nicht"
Menschen mit Behinderung lernen bei Christine Beck mehr als nur reiten. Im Umgang mit dem Pferd kommen sie in Kontakt mit sich und der Umwelt. Die Therapiepferde sind besonders feinfühlig.
Laura Martin (auf der Stute Anni) folgt den Anweisungen von Reittherapeutin Christine Beck gerne. Lauras Vater Franz unterstützt. Foto: Julia Raab       -  Laura Martin (auf der Stute Anni) folgt den Anweisungen von Reittherapeutin Christine Beck gerne. Lauras Vater Franz unterstützt. Foto: Julia Raab
| Laura Martin (auf der Stute Anni) folgt den Anweisungen von Reittherapeutin Christine Beck gerne. Lauras Vater Franz unterstützt. Foto: Julia Raab
Julia Raab
 |  aktualisiert: 17.08.2022 05:20 Uhr

Die Freude bleibt Laura Martin die ganze Reitstunde ins Gesicht geschrieben. Die 23-Jährige macht alle Übungen stolz mit, die ihr Reitlehrerin Christine Beck aufträgt, während sie das Pferd führt. Laura hält einen Ball in der Hand und streckt ihn nach oben, zur Seite, dann wechselt sie zum anderen Arm.

Der Rücken der jungen Frau ist kerzengerade. Sie sitzt ohne Sattel auf der erfahrenen Anni, eine Haflinger-Stute, die ganz aufmerksam und vorsichtig über den Hof trottet. Das Becken wippt langsam und gleichmäßig hin und her. Laura leidet seit ihrer Kindheit unter schweren Spastiken und ist geistig eingeschränkt.

Wärme lockert

"Die wippende Bewegung beim Reiten ist wie passives Gehen", erklärt Reittherapeutin Beck. Das sei besonders gut für körperlich beeinträchtigte Menschen. Denn die Bewegung wirke sich unter anderem positiv auf die Tiefensensibilität und das vegetative Nervensystem aus. Außerdem lockere die Wärme der Pferde die Muskulatur beim Menschen.

Familie Beck hat einen eigenen Reitbetrieb in Mitgenfeld , den Schlehen-Hof. Seit ihrem Studium der Sozialarbeit beschäftigt sich Christine Beck mit Pferden. "Ich hatte das Glück eine Reitlehrerin zu haben, bei der nicht nur der sportliche Teil wichtig war, sondern auch das Tier im Vordergrund stand", sagt Beck.

Arbeit in Natur

Ihr Traum war es schon immer, die Arbeit mit Menschen und die mit den Pferden zusammenzubringen. Mit den ersten eigenen Pferden 1998 absolvierte die Diplom-Sozialpädagogin Fortbildungen im Therapeutischen Reiten. Ihre weiteren Schwerpunkte sind heute Kinderspiel- und Reitgruppen. Außerdem fährt sie regelmäßig mit einem Pferd zur Katharinen-Schule der Lebenshilfe Schweinfurt in Fuchsstadt.

Hier oben, am Rand der Pilsterköpfe, arbeitet Beck in Ruhe mit Pferd und Mensch in der Natur. "Es gibt immer mehr Kinder, für die beispielsweise ein Wald Neuland ist", sagt sie. Kinder mit Aufmerksamkeitsstörungen oder Aggressionsproblemen lernen hier im günstigen Fall, sich einzulassen, Selbstvertrauen aufzubauen und gemeinsam etwas zu schaffen. " Pferde können sich nicht verstellen, rächen sich nicht und strafen nicht", fügt die Reittherapeutin noch hinzu. Das sei für viele Kinder eine neue Erfahrung.

Pferde spüren anders

Hier passieren immer wieder beeindruckende Erlebnisse: "Da gab es mal ein junges, sehr aggressives Mädchen , vor dem viele Angst hatten", erzählt Beck. Es habe wenig Selbstbewusstsein gehabt und besonders Angst vor den Pferden. Ein Fohlen, das noch nicht am Halfter ging, sah in dem Mädchen vermutlich etwas und legte sich direkt vor das Mädchen hin. "Das war sehr bewegend, wie das Kind schließlich erstmal lange und ausführlich das Fohlen streichelte und nach und nach die Angst verlor."

Für die Pferde bedeute die Arbeit mit beeinträchtigten Menschen eine Höchstleistung. Fehlhaltungen müssen ausgeglichen, fehlende Koordination und geringer Muskeltonus berücksichtigt werden. "Nicht alle Pferde sind dafür geeignet", erklärt Beck.

Spezieller Charakter

Ihre Erfahrung ist: Ein solches Tier muss ruhig sein, sich nicht schnell erschrecken lassen und die Menschen emotional ertragen können. Auf dem Schlehen-Hof gibt es Haflinger, Norweger und ein Mix aus beiden. "Diese Tiere sind besonders ruhig und menschenbezogen", sagt Beck.

Der Gleichgewichtssinn wird auf dem Rücken der Pferde besonders gefordert, erklärt die Reittherapeutin. "Das körperliche Gleichgewicht ist auch wichtig für das psychische Gleichgewicht", fügt sie hinzu.

Keine Kostenübernahme

Zwar könnten durch die Reittherapie auch psychische Leiden gemildert werden, allerdings beschränkt sich Beck in ihrer Therapie hauptsächlich auf körperlich-geistige Einschränkungen. Denn für die Reittherapie mit psychisch Kranken fehle ihr die Ausbildung.

Übernahmen die Krankenkassen in der Vergangenheit noch Kosten für die Therapie auf den Pferden, so unterstützen sie diese leider nicht mehr. Und das, obwohl die Pferde einen besonders positiven Einfluss auf die Menschen haben.

Gut für Seele

Laura Martin aus Römershag reitet schon seit ihrem fünften Lebensjahr bei Familie Beck. "Für sie ist das Gleichgewicht besonders wichtig - und das Vertrauen", sagt ihre Mutter Gerlinde Martin . Dass Laura sich so weit alleine bewegen kann, sei auch ein Ergebnis der vielen Therapien. Neben der Reittherapie bekomme die junge Frau Logopädie , Ergotherapie , Physiotherapie und Feldenkrais. "Aber hier auf dem Pferd, da strahlt sie am meisten", sagt Gerlinde Martin .

1 Grad Celsius wärmer sind Pferde im Vergleich zum Menschen. Bereits dieser Unterschied wirkt sich positiv auf die Muskulatur des Reiters aus.

Über die Reittherapie

Rahmen Heilpädagogisches Reiten wird in der Pädagogik oder der Psychologie eingesetzt. Es kann als Einzel- oder Gruppenstunde stattfinden. In der Medizin wird die Hippotherapie durch Krankengymnasten oder auch Ärzten angewandt.

Ziele Im Umgang mit dem Pferd wird der Mensch ganzheitlich, also körperlich, geistig, sozial und emotional, angesprochen. Reiten befriedigt das Bedürfnis nach positiver Zuwendung, die Bewegung und die Wärme sprechen wohltuend auf direktem Weg den Gefühlsbereich an.

Kontakt Christine und Alexander Beck, Zum Pilsterhof 7, Oberleichtersbach, Tel.: 09741/6301, Internet unter www.schlehen-hof.de.

 
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