Bad Kissingen
Mit Humor und viel Sachverstand
Bei der Aufzeichnung zur Juli-Sendung "lesenswert-Quartett" des SWR war unser Mitarbeiter Sigismund von Dobschütz dabei.

Deutschlands bekanntester Literaturkritiker Denis Scheck und seine Kollegen, die freie Journalistin Insa Wilke und Ijoma Mangeld (Die Zeit), besprachen mit ihrem Gast Nicola Steiner (Schweizer Rundfunk) vier Romane im Palais Biron (Baden-Baden). Als "Plädoyer für mehr Menschlichkeit" stellte Nicola Steiner den Roman "Der Gott jenes Sommers" von Ralf Rothmann vor. Er beschreibt die letzten Wochen des Zweiten Weltkriegs aus Sicht der zwölfjährigen Luisa, die sich mit ihrer Familie aus Kiel auf den nahen Gutshof ihres Schwagers, eines hohen Nazi-Bonzen, in Sicherheit gebracht hat.
Steiner verteidigte den Roman vehement, konnte sich allerdings gegen ihre drei Gesprächspartner nicht durchsetzen. "Ich habe das Buch nicht gemocht", widersprach Ijoma Mangold deutlich. Es sei voller Klischees. Das Buch sei "auf absurde Weise misslungen", meinte auch Insa Wilke. "Wenn wir dieses Werk empfehlen, ist der Kompass gänzlich verrutscht", schloss sich Denis Scheck ihrem Urteil an, obwohl Rothmann "mit historischen Einschüben versucht, Niveau reinzubringen".
Uneinig war sich die Runde auch beim Buch "Die Tagesordnung" von Èric Vuillard, den Insa Wilke mitgebracht hatte. Der 2017 mit dem Prix Goncourt ausgezeichnete Roman beginnt 1933 mit dem Treffen hochrangiger Industrieller bei Adolf Hitler, der erfolgreich um Unterstützung für die nationalsozialistische Politik wirbt. Wilke gefiel darin der Sarkasmus, mit dem Vuillard warnt, "dass die größten Katastrophen immer auf leisen Sohlen kommen". Auch Steiner zeigte sich trotz einiger Einwände angetan: "Das Buch ist super zu lesen." Mangold hielt dagegen, der Roman sei aus Sicht der Nachgeborenen geschrieben und lasse die Handelnden allzu lächerlich erscheinen. Scheck schloss sich der Kritik an und bemängelte die Unschärfe in der Beschreibung historischer Ereignisse und Personen. Begeistert waren alle vier von der Neuübersetzung des 1953 erstmals veröffentlichten Romans "Von dieser Welt" des Afroamerikaners James Baldwin, präsentiert von Ijoma Mangold. "Ganz, ganz große Literatur", lobte Wilke vor allem die "moderne Übersetzung in neuem Rhythmus" von Miriam Mandelkow. Auch Steiner lobte Baldwins Debütroman als "immer noch hochgradig aktuell". Schließlich stellte Scheck diese "sensationelle Wiederentdeckung" sogar "auf Augenhöhe mit Albert Camus".
Abschließend pries Denis Scheck den Krimi "Die Ermordung des Commendatore 2" des japanischen Schriftstellers Haruki Murakami. Zwar kritisierte er, dass man, um den zweiten Band verstehen zu können, zuvor den ersten gelesen haben muss, doch ändere dies nichts an dessen literarischer Qualität. "Dieses Werk ist überwältigend." Auch Wilke war "völlig von Murakami begeistert". Steiner war dagegen schon von Band 1 enttäuscht, was sich durch die "Überzeichnung seiner Figuren" jetzt noch verschlimmert habe, obwohl der Krimi "sich gut wegliest". Heftig wetterte diesmal Ijoma Mangold: "Ich habe gar nicht verstanden, worum es im Buch eigentlich geht."
Alle vier Experten überzeugten durch ihr breitgefächertes Wissen. Denis Scheck verstand es zudem als Gastgeber, mit augenzwinkerndem Humor und menschlichem Charme die Diskussion zu einem inspirierenden Erlebnis zu machen.
Sendetermine und Bücher:
Hörfunk: 10. Juli, 22.03 Uhr, SWR2; TV: 12. Juli, 23.15 Uhr und 15. Juli , 8.15 Uhr, im SWR sowie 22. Juli, 10 Uhr, 3sat.
Ralf Rothmann: "Der Gott jenes Sommers", Suhrkamp-Verlag, 255 Seiten, 22 Euro, ISBN 978-3518427934;
Èric Vuillard: "Die Tagesordnung", Verlag Matthes & Seitz, 130 Seiten, 18 Euro, ISBN 978-3957575760;
James Baldwin: "Von dieser Welt", dtv-Verlag, 320 Seiten, 22 Euro, ISBN 978-342328153;
Haruki Murakami: "Die Ermordung des Commendatore 2", Dumont-Verlag, 500 Seiten, 26 Euro, ISBN 978-3832198923.
Nicht einer Meinung
Steiner verteidigte den Roman vehement, konnte sich allerdings gegen ihre drei Gesprächspartner nicht durchsetzen. "Ich habe das Buch nicht gemocht", widersprach Ijoma Mangold deutlich. Es sei voller Klischees. Das Buch sei "auf absurde Weise misslungen", meinte auch Insa Wilke. "Wenn wir dieses Werk empfehlen, ist der Kompass gänzlich verrutscht", schloss sich Denis Scheck ihrem Urteil an, obwohl Rothmann "mit historischen Einschüben versucht, Niveau reinzubringen".Uneinig war sich die Runde auch beim Buch "Die Tagesordnung" von Èric Vuillard, den Insa Wilke mitgebracht hatte. Der 2017 mit dem Prix Goncourt ausgezeichnete Roman beginnt 1933 mit dem Treffen hochrangiger Industrieller bei Adolf Hitler, der erfolgreich um Unterstützung für die nationalsozialistische Politik wirbt. Wilke gefiel darin der Sarkasmus, mit dem Vuillard warnt, "dass die größten Katastrophen immer auf leisen Sohlen kommen". Auch Steiner zeigte sich trotz einiger Einwände angetan: "Das Buch ist super zu lesen." Mangold hielt dagegen, der Roman sei aus Sicht der Nachgeborenen geschrieben und lasse die Handelnden allzu lächerlich erscheinen. Scheck schloss sich der Kritik an und bemängelte die Unschärfe in der Beschreibung historischer Ereignisse und Personen. Begeistert waren alle vier von der Neuübersetzung des 1953 erstmals veröffentlichten Romans "Von dieser Welt" des Afroamerikaners James Baldwin, präsentiert von Ijoma Mangold. "Ganz, ganz große Literatur", lobte Wilke vor allem die "moderne Übersetzung in neuem Rhythmus" von Miriam Mandelkow. Auch Steiner lobte Baldwins Debütroman als "immer noch hochgradig aktuell". Schließlich stellte Scheck diese "sensationelle Wiederentdeckung" sogar "auf Augenhöhe mit Albert Camus".
Abschließend pries Denis Scheck den Krimi "Die Ermordung des Commendatore 2" des japanischen Schriftstellers Haruki Murakami. Zwar kritisierte er, dass man, um den zweiten Band verstehen zu können, zuvor den ersten gelesen haben muss, doch ändere dies nichts an dessen literarischer Qualität. "Dieses Werk ist überwältigend." Auch Wilke war "völlig von Murakami begeistert". Steiner war dagegen schon von Band 1 enttäuscht, was sich durch die "Überzeichnung seiner Figuren" jetzt noch verschlimmert habe, obwohl der Krimi "sich gut wegliest". Heftig wetterte diesmal Ijoma Mangold: "Ich habe gar nicht verstanden, worum es im Buch eigentlich geht."
Alle vier Experten überzeugten durch ihr breitgefächertes Wissen. Denis Scheck verstand es zudem als Gastgeber, mit augenzwinkerndem Humor und menschlichem Charme die Diskussion zu einem inspirierenden Erlebnis zu machen.
Sendetermine und Bücher:
Hörfunk: 10. Juli, 22.03 Uhr, SWR2; TV: 12. Juli, 23.15 Uhr und 15. Juli , 8.15 Uhr, im SWR sowie 22. Juli, 10 Uhr, 3sat.
Ralf Rothmann: "Der Gott jenes Sommers", Suhrkamp-Verlag, 255 Seiten, 22 Euro, ISBN 978-3518427934;
Èric Vuillard: "Die Tagesordnung", Verlag Matthes & Seitz, 130 Seiten, 18 Euro, ISBN 978-3957575760;
James Baldwin: "Von dieser Welt", dtv-Verlag, 320 Seiten, 22 Euro, ISBN 978-342328153;
Haruki Murakami: "Die Ermordung des Commendatore 2", Dumont-Verlag, 500 Seiten, 26 Euro, ISBN 978-3832198923.
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