
Was für die Stadt Bad Kissingen ein großer Coup war, entwickelte sich zu einer Provinz-Posse erster Güte. Mit der Veräußerung der 1977 in Betrieb genommenen Eissporthalle , inklusive einem 5500 Quadratmeter großen Grundstück, war eine defizitäre Immobilie abgestoßen.
Ins Stadtsäckel kamen – für dieses Filet-Grundstück überschaubare - 230.000 Euro. Mit dem Kauf am 21. Juli 2017 hatte sich der Investor, der russische Geschäftsmann Dmytro Kryvorutskyy, verpflichtet, bis zum 31. Dezember 2037 (!) den Eislauf-Betrieb am Sportpark aufrechtzuerhalten. Da kochten die Fans der Kissinger Wölfe schon längst vor Wut.
Weil es zur Zukunft der Eishalle lange keine konkreten Aussagen von Seiten der Stadt Bad Kissingen gab, entzog der Bayerische Eishockey-Verband den Kissinger Wölfen , ausgerechnet nach dem Aufstieg, das Startrecht für die Bayernliga-Saison 2017/2018.
„Wie uns der Eishockey-Verband ausdrücklich bestätigt hat, liegt der alleinige Grund in der mangelnden Zahl von Nachwuchsmannschaften, die die Kissinger Wölfe vorzuweisen haben“, hieß es aus dem Rathaus. Die Frage nach den Schuldigen sollte in den Jahren noch oft gestellt werden. Eine Chronologie des Grauens.
Saison 2017/2018: Eine sportliche Reaktion auf den Zwangsabstieg
Die Kissinger Wölfe starten nach dem Zwangsabstieg in die Landesliga-Saison. Alte und neue Sponsoren stehen ebenso parat wie ein dank der Kontakte von Spielertrainer Mikhail Nemirovsky gut bestückter Kader um Kapitän Simon Eirenschmalz, Niko Grönstrand, Anton Seewald, Alexei Zaitsev, Nikolai Kiselev und den herausragenden Goalie Donatas Zukovas. Dazu Derbys gegen Schweinfurt und Haßfurt – die Fans sind happy.
Dass aus der Ferne mit Marc Hindelang einer der Vizepräsidenten im Deutschen Eishockey-Bund und Obmann im Bayerischen Eishockey-Verband Kritik an der Personalpolitik der Unterfranken äußert, wird zur Kenntnis genommen. Feiern statt ärgern ist das Motto, denn mit dem 8:3-Sieg gegen den EV Moosburg vor fast 500 Fans sind die Kissinger Wölfe als Tabellen-Erster der Verzahnungsrunde zurück in der Bayernliga. Zu den größten Feier-Biestern gehört Kult-Verteidiger Marc Hemmerich. Obendrauf gibt es später noch den Titel des bayerischen Landesliga-Meisters.
Saison 2018/2019: Sensationssiege und eine gute Nachwuchsarbeit
Die Reinigungsarbeiten an und in der Bad Kissinger Eishalle könnten symbolischer nicht sein: Die Kissinger Wölfe haben ihre Spielstätte von Alexander Kondrashov , dem neuen Besitzer, angemietet und übernehmen den Eislauf-Betrieb als Pächter in Eigenregie: mit Ralph Kiesel als dem neuen Geschäftsführer der Eissport Bad Kissingen GmbH. Auch auf dem Eis läuft es prächtig, unter anderem werden die Schweinfurter Mighty Dogs in ausverkaufter Halle mit 6:2 besiegt.
Auch, weil mittlerweile Ausnahme-Goalie Benni Dirksen zwischen den Pfosten und Kristers Freibergs wie ein Fels in der Brandung in der Verteidigung steht. Mindestens genauso wichtig: 65 Kinder spielen zu diesem Zeitpunkt Eishockey bei den Wölfen . Sensationelle Siege gelingen im Saisonverlauf gegen den EV Füssen und den SC Riessersee. Die bärenstarke Saison beenden die Kurstädter als Sechster der Aufstiegsrunde.

Pfingsten 2019: Eiszeit hinter den Kulissen nach der einseitigen Kündigung
Einseitig haben die Kissinger Wölfe inzwischen den Pachtvertrag mit der Eissport GmbH aufgekündigt. Der Vorwurf an Kondrashov: eine zu hohe Pacht und ungenügende Investitionen in die Infrastruktur der Halle, trotz diesbezüglicher Versprechungen. Ein neuer, von den Wölfe-Funktionären ausgearbeiteter Vertragsentwurf ging an den ukrainischen Geschäftsmann, der seinen Unmut über dieses Prozedere über die Medien transportiert.
Zurück an alter Wirkungsstätte ist Andreas Goerke. Der Fuldaer soll den EC Bad Kissingen in Sachen Organisation und Vermarktung unterstützen. Auf drei Säulen soll der Verein stehen. Dazu gehören eine erfolgreiche Mannschaft. Eine nachhaltige Ausbildung der Jugend. Und eine moderne Infrastruktur. Dass eine (gebraucht gekaufte) Profi-Bande im Wolfsbau installiert werden kann, ist nur auf den ersten Blick eine gute Nachricht.

Juni 2019: Alexander Kondrashov verurteilt das Vorgehen der Kissinger Wölfe
Alexander Kondrashov ist sauer. Richtig sauer. Ungeachtet der einseitigen Vertragskündigung werden von den Kissinger Wölfe diverse baulichen Maßnahmen in der Halle vorgenommen. Gut gemeint, aber ohne Hausrecht. „Ich plane nicht, in naher Zukunft einen neuen Vertrag abzuschließen. Und wir werden umgehend den Bayerischen Eissportverband benachrichtigen, dass das Eisstadion von Bad Kissingen aktuell nicht die Heimarena der Kissinger Wölfe ist.
Überdies wolle Kondrashov Angebote von Kauf-Interessenten prüfen. „Egal in welcher Form, bleibe ich Partner oder Mitbesitzer der Eishalle . Mir ist die Zukunft des Eissports in Bad Kissingen nicht gleichgültig. Die Einwohner von Bad Kissingen sollen weiter die Möglichkeit haben, wunderschöne Sportarten wie Eishockey oder Eiskunstlauf vor Ort betreiben zu können.“
Bis zum 1. September 2019 soll eine für beide Parteien akzeptable Lösung gefunden werden. Erste Fakten schafft der Ukrainer dennoch: Ralph Kiesel musste als Geschäftsführer der Eissport GmbH gehen.
Oktober 2019: Die Fronten bleiben verhärtet
„Ein kritisch-negativer Punkt ist erreicht“, sagt Kondrashov, der die nicht genehmigten Umbaumaßnahmen scharf verurteilt. Einen Gutachter will der Ukrainer zurate ziehen, um etwaige Schäden zu ermitteln. Längst sind die Türschlösser ausgetauscht, die Kissinger Wölfe damit nicht nur symbolisch ausgeschlossen.
Matthias Reinel wird als vorläufiger Insolvenzverwalter bestellt aufgrund der finanziellen Lage der Eissport GmbH, unter anderem aufgrund offener Rechnungen der Stadtwerke. Um den gordischen Knoten zu lösen, lädt Kondrashov die Parteien zu einem runden Tisch ein.
Für zusätzlichen Zündstoff sorgt die Tatsache, dass Andreas Goerke die Fronten wechselt, neuer Geschäftsführer der GmbH wird und nach seiner Abberufung (zunächst) Kondrashovs Vertrauter bleibt.

November 2019: Die Wölfe ziehen ihre Mannschaft vom Spielbetrieb zurück
Eine gemeinsame Begehung der Eissporthalle mit anschließender Gesprächsrunde zwischen Hallenbesitzer und Vertretern der Stadt Bad Kissingen sowie dem EC Bad Kissingen hat die Ungewissheit über die Zukunft des Eissports nicht aus der Welt geschafft. Was die Situation verschärft: Laut BEV-Statuten kann nur ein Verein mit nachgewiesener Spielstätte am Spielbetrieb teilnehmen. Dennoch starten die Kissinger Wölfe in die Saison 2019/2020: mit Auswärtsspielen und „Heimspielen“ in Lauterbach.
Abseits des Eises sprechen vor allem die Anwälte der zerstrittenen Parteien. Statt der erhofften neuen Nutzungsvereinbarung platzt am 21. November die Bombe: Die Kissinger Wölfe ziehen ihre Mannschaft aus dem Spielbetrieb zurück. Alle Ergebnisse werden annulliert, der Eishockey-Club aus der Wertung genommen. Entsetzen und Ratlosigkeit machen sich breit.
Erfolgstrainer Mikhail Nemirovsky , Benni Dirksen, Anton Seewald und Pascal Kröber wechseln in der laufenden Saison eine Liga höher zum Oberligisten EHC Höchstadt. Auch der ERV Schweinfurt und ESC Haßfurt bekommen Verstärkung von der Fränkischen Saale.

Februar 2020: Das Bayerische Fernsehen kommt in die Kurstadt
Die haarsträubenden Vorgänge rund um die Bad Kissinger Eishalle machen überregionale Schlagzeilen. Für einen Beitrag in der Sendung „Quer“ kommt das Bayerische Fernsehen zu den Bad Kissinger Eishockey-Fans . Im Sportpark-Sportheim wird diskutiert – und vor der Kamera sogar gesungen.
Mit unter den Gästen: Diplom-Finanzwirt Michael Heinrich , der Verfahrens-Bevollmächtigte im Insolvenzverfahren der Kissinger Wölfe , der einige Tage später bei einer außerordentlichen Mitgliederversammlung Klartext spricht. Der Verein sieht sich konfrontiert mit Forderungen in Höhe von 140.000 Euro. Der Verein selbst habe laut Heinrich keine Zukunft und würde im Rahmen des Insolvenzverfahrens abgewickelt.
Mai 2020: Gefährliches Ammoniak und eine Strafanzeige
Ruhig geworden ist es am Sportpark-Gelände nur auf den ersten Blick. Gefahr ist im Verzug. Das Ammoniak der Kühlanlage in der seit über einem Jahr geschlossenen Eishalle ist ein Risiko für Bürger und Umwelt. Eine Fachfirma wird vom Landratsamt beauftragt, die 3000 Liter in Spezialfässer zu pumpen.
Bis Mitte April hätte die Besitzerseite diese Schutz-Maßnahmen selbst ergreifen müssen, ließ die Frist aber verstreichen. Ein besorgter Bad Kissinger hatte sogar Strafanzeige gestellt. Die Kosten in fünfstelliger Höhe werden Kondrashov in Rechnung gestellt.

Dezember 2020: Der Besitzer taktiert aus der Ferne
Die Corona-Pandemie bestimmt das Leben in der Kurstadt. Dass sich Alexander Kondrashov aus dem Ausland meldet mit der Aussage, die IEG GmbH, Nachfolger der Bad Kissinger Eissport GmbH mit Sitz in Fulda, wäre mit einer Verbesserung der epidemiologischen Lage bereit die Eisbahn in Betrieb zu nehmen, wird als reines Zeit-Spiel der Besitzer-Seite gesehen. Von laufenden – aber nie bewiesenen – Renovierungsarbeiten wird berichtet. Bei Umbau- und Instandhaltungsmaßnahmen hätte Kondrashov laut Vertrag einen Grund für eine Schließung der Halle.

Februar/März 2021: Abgetakelte Immobilie oder Eispalast?
Längst mehr Schandfleck als Spielstätte ist die Eishalle . Weil es Kondrashov so will, wird nun auch die von den Stadtwerken betriebene Photovoltaik-Anlage auf dem Dach abgebaut. Parallel versucht sich der Ukrainer über eine Online-Plattform am Verkauf der Immobilie samt Grundstück: zum erstaunlichen Preis von 800.000 Euro. Das Online-Angebot vermittelt den Eindruck, es handele sich um ein Objekt im Luxus-Segment samt betriebsbereitem Restaurant und einem freistehenden Wohnhaus. Die Kurstadt lacht.

„Früher war häufiger der Zirkus Krone in der Stadt. Mittlerweile gastiert der Zirkus Eishalle dauerhaft am Dr. Hans-Weiß-Sportpark. Wir prüfen unsere rechtlichen Interventionsmöglichkeiten. Wenn diese vorhanden sein sollten, werden wir an einer Nachfolge-Konstruktion arbeiten“, reagiert mit Dirk Vogel Bad Kissingens neuer Oberbürgermeister. Auf dessen politischer Agenda steht seit Amtsübernahme der Rückkauf der Immobilie samt Grundstück, der aufgrund einer juristischen Einigung der Parteien unmittelbar bevorstehen soll. Jahre zu spät, um den Bad Kissinger Eishockey-Sport wiederzubeleben.

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