Ein Franke wird der neue Trainer der Frauen-Fußballnationalmannschaft. Nach den Olympischen Spielen in Paris folgt Christian Wück auf Horst Hrubesch . Der flinke Stürmer aus dem unterfränkischen Gänheim beerbt dann das Kopfball-Ungeheuer, das mit dem Hamburger SV den Europapokal der Landesmeister (1983) und mit der Nationalmannschaft den EM-Titel gewann (1980). Dafür ist der 50-Jährige aus dem Landkreis Main-Spessart seit dem vergangenen Jahr Weltmeister : als Trainer der U17-Junioren.
320 Kilometer sind es von Bielefeld nach Gänheim, ihrem Heimatort im unterfränkischen Landkreis Main-Spessart. Wie oft fahren Sie noch diese Strecke?
Eher selten. Das liegt aber auch daran, dass ich dienstlich viel unterwegs bin und zuhause leider eher selten. Daher habe ich in meinem Elternhaus wieder eine Wohnung, weil die näher am DFB-Campus in Frankfurt liegt als Bielefeld. Die meisten Nächte, in einer Saison mit EM und WM sind es ca. 200 bis 240 im Jahr, verbringe ich aber in irgendwelchen Hotels, auch im Ausland. Das ist in meinem Job normal und war in meiner Profizeit nicht viel anders. Es gibt ja teilweise die öffentliche Meinung, wir U-Trainer hätten nicht so viel zu tun und würden nur während der stattfindenden Lehrgänge arbeiten. Dem ist definitiv nicht so.
Wenn Sie in der alten Heimat sind und ganz viel Zeit haben: Gibt es einen lokalen Fußballverein, bei dem Sie vorbeischauen?
Nein, dafür habe ich keine Zeit. Und ich bin auch froh, wenn ich mal durchschnaufen kann. Wenn, dann schaue ich mal meinem Neffen Kilian beim Kicken zu, das ist aber auch maximal zweimal im Jahr der Fall. Vor einem halben Jahr war ich bei einem Spiel des FC 05 Schweinfurt , das war aber eher zufällig. Da hatte es halt mal gepasst, auch zeitlich. Da mich im Moment mehr die Nachwuchsarbeit beschäftigt, schaue ich lieber mal bei Landesverbänden oder in Stützpunkten vorbei.
Treten Sie selbst noch aktiv an den Ball?
Nein, das geht mit meinem Knie nicht mehr nach diversen schweren Verletzungen am Kreuzband oder Meniskus in meiner Profi-Karriere. Nach einem Spiel bräuchte es wohl zwei Wochen, damit sich das Knie wieder erholt. Ich will da auch nichts riskieren, ich war oft genug unterm Messer.
Bielefelds Arminia war Ihre letzte Profi-Station, in den Jahren 2000 bis 2002. Warum wurde das Ostwestfälische zur Wahlheimat? Und was ist an Ihrer Person fränkisch geblieben?
Ich bin dort hängen geblieben, weil es einfach gepasst hat. Fränkisch an mir ist definitiv das rollende R, das kriegt man so schnell nicht los. Das fällt zum Beispiel in Interviews sofort auf. Und dass man als Franke gerne bürgerlich gut essen geht, ist doch auch normal.
Gekickt hatten Sie für die Junioren des FC 05 Schweinfurt, ehe der Wechsel zum 1. FC Nürnberg folgte, wo Ihnen Anfang der 90er Jahre der Sprung zu den Profis gelang. Was war das für eine Zeit am Valznerweiher, mit immerhin 13 Toren in vier Jahren sowie einem Tor des Monats im Mai 1993?
Das war im Rückblick meine erfolgreichste Zeit. Als junger Spieler wurde ich ins kalte Wasser geworfen und trotzdem behutsam aufgebaut. Mit Willi Entenmann hatte ich einen Trainer , der mir das nötige Vertrauen gab. Für jeden jungen Spieler ist es wichtig, einen Trainer zu haben, der fachlich, aber auch menschlich sehr gut ist. Bei dem man auch mal schlecht spielen kann, ohne fallen gelassen zu werden.
Der Knackpunkt war mein Wechsel zum Karlsruher SC , denn von den fünf Jahren dort war ich etwa drei Jahre verletzt. Als schneller Spieler habe ich danach nicht mehr an die Leistung aus meiner Zeit beim Club anknüpfen können. Daher lief die Karriere als Spieler insgesamt nicht so, wie ich mir das nach meiner Nürnberger Zeit erhofft hatte.
Gibt es noch Kontakt mit Nürnberger Weggefährten von damals?
Das war eine super Truppe mit Andy Köpke, Sergio Zarate, Dieter Eckstein oder Rainer Zietsch, der aktuell noch mein Assistenztrainer ist. Wir waren die letzte Mannschaft, die bei den Bayern gewinnen konnte. Durch den Kontakt zum NLZ in Nürnberg trifft man dort immer mal wieder ehemalige Kollegen. Das gilt natürlich auch für andere Nachwuchsleistungszentren, wo man Gegenspielern von früher begegnet. Zu Sergio Zarate habe ich Kontakt über Facebook . Augenscheinlich geht es ihm sehr gut, er hat jedenfalls ordentlich zugelegt.
Stimmt es eigentlich, dass Sie vor Ihrem Wechsel zum Karlsruher SC Angebote von den Bayern und Borussia Dortmund ausschlugen?
Ja, das stimmt. Der ausschlaggebende Grund mich gegen diese Vereine und für den KSC zu entscheiden, lag aber an der Perspektive, als junger Spieler in Karlsruhe mehr Spielzeit zu erhalten. Der KSC hatte damals ebenfalls eine starke Mannschaft um Trainer Winnie Schäfer , der als Förderer junger Spieler galt.
Nach diversen, eher unspektakulären Trainerstationen, wechselten Sie 2012 zum DFB, für den Sie bis heute U-Jahrgänge trainieren. Wie wird man eigentlich Trainer beim größten Sportverband der Welt?
Angefangen habe ich in der Nähe von Bielefeld und kam dann als Co-Trainer zu Rot-Weiß Ahlen und wurde Cheftrainer als Nachfolger von Heiko Bonan . Mit Spielern wie Marco Reus oder Kevin Großkreutz gelang uns der Aufstieg in die 2. Bundesliga. Ich habe die UEFA Pro Lizenz abgeschlossen und bin dann zu Holstein Kiel gewechselt, wo ich die Schattenseiten des Fußballgeschäfts kennengelernt habe und entlassen wurde.
Dann kam Ende 2011 ein Anruf von Steffen Freund , der Trainer der U16-Nationalmannschaft war und Ersatz für einen Assistenztrainer suchte, der kurzfristig ausfiel. Ich hatte Zeit und war damit Teil des Trainerstabs für einen Lehrgang auf Zypern, zunächst auf Honorarbasis. Das war der Jahrgang, bei dem auch Timo Werner und Julian Brandt dabei waren. Ein gutes halbes Jahr später übernahm ich die U16 dann hauptverantwortlich als Cheftrainer, da sich Steffen Freund für ein Engagement bei Tottenham Hotspurs entschied.

U-17-Europameister im Juni 2023, dann gefeierter U-17-Weltmeister im Dezember 2023 in Indonesien. Wie feiert man einen solchen Titel mit minderjährigen Spielern? Mit Spezi-Maß?
Ich habe die Jungs alleine feiern lassen, weil es einerseits wichtig ist ohne Cheftrainer mal aus sich herausgehen zu können, andererseits bin ich nicht der große Feiertyp. Es waren natürlich Erwachsene aus dem Umfeld des Teams dabei, aber den Trainer braucht es dabei nicht. Mir ist nur wichtig, dass am nächsten Tag beim Frühstück wieder alle pünktlich erscheinen. Es hatte sich bei mir eine tiefe Zufriedenheit eingestellt, Europameister und Weltmeister zu sein und dies alles live erlebt zu haben.
Sie waren vor Ostern zwei Wochen am DFB-Campus in Frankfurt. Was genau haben Sie da gemacht?
Das waren zwei Lehrgänge mit dem neuen U15-Jahrgang, mit dem wir schon in der Sichtung sind. Da ging es vor allem ums Kennenlernen, um die ersten Erkenntnisse zu gewinnen in Verbindung mit dem neuen Jahrgang 2009.
Es liegt in der Natur eines Nachwuchs-Trainers, seine Spieler loslassen zu müssen. Fällt das nach diesem Erfolg schwerer als sonst?
Loszulassen fällt immer schwer. Aber man bleibt ja in Verbindung, vor allem über die Social-Media-Kanäle. Vor eineinhalb Jahren habe ich mich auch deshalb bei Instagram angemeldet, weil meine Spieler das nutzen. Dass ich mich technisch ganz gut auskenne, ist da natürlich von Vorteil. Der jüngste Erfolg mit der U17 wird immer ein verbindendes Element bleiben, der Kontakt wird auch nie abreißen. Und man ist ja auch stolz, wenn die Jungs dann den Sprung zu den Profis schaffen, so wie Finn Jeltsch vom 1. FC Nürnberg .
Jetzt schlagen Sie also ein gänzlich neues Kapitel auf als neuer Trainer der Frauen-Nationalmannschaft. Wer hatte denn die Idee dazu?
Die Idee hatte wohl Nia Künzer , die neue DFB-Sportdirektorin und Andras Rettig, der Sportdirektor. Sie haben mich gefragt ob ich mir vorstellen könnte dieses Amt zu übernehmen. Danach gab es weitere, konkretere Gespräche.

Damit bleiben Sie dem DFB einerseits treu, schlagen aber dennoch ein komplett neues Kapitel auf. Was wird die größte Herausforderung sein?
Das wird ein neues Aufgabengebiet mit einer anderen Arbeitsweise, darin liegt die neue Herausforderung. Für mich ist es eine große Ehre, erstmals eine A-Nationalmannschaft übernehmen zu dürfen, nachdem die Ziele im U-Bereich erreicht waren.
Und auf was freuen Sie sich ganz besonders?
Vor allem darauf, die Spielerinnen besser kennenzulernen. Das wird aber erst nach den Olympischen Spielen sein. Ich will Horst Hrubesch und seiner Arbeit nicht in die Quere kommen. Mich würde das stören, wenn mein Nachfolger schon bei solchen Events auftreten würde. Ich bin aktuell im Scouting und schaue mir auch Spiele bei den Frauen an.
Wie nah dran oder wie weit weg waren Sie in den vergangenen Jahren am Frauenfußball?
Als Trainer von U-Teams steht man auch regelmäßig mit den Trainern und Trainerinnen der Juniorinnen im Austausch. Und bei der Frauen-Weltmeisterschaft 2019 in Frankreich war ich als Scout im Einsatz. Künftig wird vieles neu für mich sein, aber da ist nichts dabei, was mir vorher komplett fremd gewesen wäre.
Sie übernehmen die Frauen-Nationalmannschaft nach den Olympischen Spielen von Horst Hrubesch. Sind Sie eigentlich in Paris dabei?
Geplant ist, Fußballspiele in Paris anzuschauen, aber als ganz normaler Zuschauer. Es werden meine ersten Olympische Spiele sein, bei denen allerdings das Dienstliche an oberster Stelle stehen wird.
In Ihrer Familie sind die Frauen in der Übermacht. Dann müssen Sie ja ein Frauen-Versteher sein…
DFB-Präsident Bernd Neuendorf sagte unlängst, dass ich die Sprache der Spielerinnen und Spieler sprechen würde. Beim WM-Titel mit der U17 war das der Schlüssel zum Erfolg. Ich glaube, dass sich der Frauenfußball in dieser Hinsicht nicht sehr vom Männer- und Jugendfußball unterscheidet. Wir müssen es auch bei den Frauen schaffen, eine Einheit zu werden und Vertrauen aufzubauen. Wenn alle, Spielerinnen wie Trainer , in die gleiche Richtung gehen und sich vertrauen, wird das funktionieren.
