
Franz Egerer hat eine besondere Verbindung zur Unteren Saline. "Dass ich hier noch einmal reinkomme", sagt der 87-Jährige, als er jetzt im hohen Alter noch einmal durch das frühere Inspektorenhaus läuft. Bis 1958 lebte er hier, bevor er nach Trimberg heiratete. Dass er das letzte Mal an der Unteren Saline vorbeischaute, ist Jahrzehnte her.
Franz Egerer kam 1933 in Marienbad zur Welt. Er ist das älteste von vier Geschwistern. Die Eltern unterhielten einen Hof mit Landwirtschaft , den Zweiten Weltkrieg überstand die Familie unbeschadet. 1946, also vor genau 75 Jahren, wurde die Familie aus Tschechien vertrieben - die Egerers verloren wie rund 15 Millionen andere Deutschstämmige in den vormals deutschen Ostgebieten ihre Heimat. "Wir kamen bei Marienbad in ein Sammellager und wurden dann in Viehwaggons abtransportiert. Es war Februar und kalt in den Waggons. Wir haben nicht gewusst, wo es hingeht, nur dass wir nach Bayern kommen", erzählt Franz Egerer.
Leben auf wenigen Quadratmetern
Der Vater war nach dem Krieg interniert und leistete Zwangsarbeit in einem Bergwerk. Die Mutter hatte keine andere Wahl, als mit den vier Kindern und nur dem Nötigsten an Gepäck die Fahrt ins Ungewisse anzutreten. Über Nürnberg und das zerbombte Würzburg kamen sie Tage später am Bahnhof in Bad Kissingen an. Fürs erste wurden sie notdürftig im damaligen Hotel Regina in der Schönbornstraße untergebracht. "Dort haben wir auf Pritschen in einem großen Saal geschlafen", berichtet Franz Egerer. Die Stadt war voller Vertriebener und Heimatloser. Im Oktober 1946 lebten rund 18 500 Vertriebene in den Landkreisen Bad Kissingen , Hammelburg und Bad Brückenau.
Wie Franz Egerer sich erinnert, machte sich die Mutter kurz nach der Ankunft auf Wohnungssuche. Nach einigen Fehlversuchen hatte sie Glück. Der Bürgermeister von Hausen quartierte Mutter und Kinder in einem notdürftig mit Betten, Stühlen, einem Tisch, einem Schrank und einem kleinen Ofen eingerichteten Zimmer in der Unteren Saline ein. Waschen, kochen, schlafen: Das ganze Leben der Familie spielte sich auf wenigen Quadratmetern ab. Am 4. März 1946 zogen sie ein. Ab Mai lebten sie zu sechst in dem Zimmer im Inspektorenhaus, als der Vater zu der Familie zurückkehrte. "Wir waren die ersten Heimatvertriebenen, die in der Unteren Saline eingezogen sind", erzählt Egerer.
16 Familien kamen in der Saline unter
Platz gab es in der großen Anlage genug und so kamen immer mehr Vertriebene in der Unteren Saline unter. "1948 waren es 16 Familien mit 50 Personen", zählt er auf. "An der Unteren Saline wurde damals nicht nur Salz gewonnen, sondern es war Wohnraum für die Heimatvertriebenen. Jede Wohnung war belegt. Damals war dort alles voller Leben." Egerer war 13 Jahre alt, als er einzog. Er denkt gerne an die Zeit zurück: Die Kinder spielten im Innenhof Fußball, die Größeren besorgten sich die Schlüssel von Angestellten und stöberten durch das Obergeschoss des Gradierbaus mit den Versorgungsleitungen oder stromerten durch das leerstehende Salinenbad.
Egerer spielte in Hausen Fußball, ging in Hausen zur Schule, in Bad Kissingen bekam er eine Lehrstelle zum Werkzeugschlosser. Er sagt: "Ich habe viele gute Erinnerungen. Wir haben uns gut integriert. Die Untere Saline ist für uns zur neuen Heimat geworden."
Heute steht die Untere Saline leer, die Heimatvertriebenen sind fort. Seit den 1990er Jahren wurde die Nutzung nach und nach aufgegeben, der letzte Mieter zog 2012 aus. In den vergangenen Jahren hat der Freistaat aber dennoch das Dach erneuert, um das denkmalgeschützte Gebäude vor weiterem Verfall zu schützen. Egerer meldete sich auf den Bericht zu den Dacharbeiten bei der Redaktion . Er will, dass die Menschen bei der Unteren Saline nicht nur an die Salzgewinnung denken, sondern sich auch an die Vertriebenen erinnern.
Mit einer Vertreterin der Immobilienverwaltung des Freistaates besucht Egerer das Zimmer, in dem er mit seiner Familie die Anfangszeit verbracht hat und die kleine Wohnung im dritten Obergeschoss, in der sie später lebten. Auch wenn die Zeit nicht spurlos an dem Inspektorenhaus vorübergegangen ist, manches ist noch wie 1958, als er ausgezogen ist. Der 87-Jährige deutet auf die gelbgemusterte Tapete an der Wand. "Die habe ich tapeziert", erzählt er. Der Lichtschalter an der Wohnungstür ist auch noch derselbe. Diesen habe er austauschen wollen, aber der Vater meinte, der Schalter sei noch gut. "Dass ich hier noch einmal reinkomme", sagt Egerer. Für ihn eine Reise in die Tage, als er die alte Heimat verlor und eine neue fand.
Wohnen in der Saline
Nutzung An der Unteren Saline wird seit dem 9. Jahrhundert Salz gewonnen. Die heutige dreiflügelige Anlage entstand größtenteils ab 1788. Das letzte Mal Salz wurde 1968 gesotten. Die wirtschaftliche Nutzung von Wäscherei, Schreinerei und Werkstatt durch die Bäderverwaltung OHG endete 1999. Das Inspektorenhaus wird laut Immobilienverwaltung Bayern seit 2008 nicht mehr bewohnt, aus dem Meisterwohnungstrakt ist die letzte Mieterin 2012 ausgezogen.