"Wir haben Lieferengpässe querbeet", sagt Nadja Verholen von der Sinnberg Apotheke in Bad Kissingen, "manchmal sind bestimmte Firmen betroffen, manchmal nur eine bestimmte Stärke. Bei uns sind über 180 Medikamente , die normalerweise vorrätig sind, derzeit nicht verfügbar." Das bedeutet viel Telefoniererei mit Großhändlern, um Alternativen zu finden, viele Rücksprachen mit den Ärzten und viel Zeit für Erklärungen im Kundengespräch .
Auch die Rabattverträge, die gesetzliche Krankenkassen mit Herstellerfirmen geschlossen haben, könnten momentan zu 70 Prozent nicht erfüllt werden: "Denn da darf das Medikament nur von einer bestimmten Firma sein", berichtet Verholen. Hinzu kommt, dass die Kunden sich bevorraten, sobald ein bestimmtes Medikament wieder lieferbar ist, "deswegen müssen wir teilweise die Abgabe der Packungen begrenzen ."
Problem Globalisierung
Thomas Metz, Pressesprecher des Bayerischen Apothekerverbands kennt viele Gründe für den Engpass in der Arzneimittelversorgung: "Durch den hohen Kostendruck hat sich die Produktion von Arzneimitteln ins Ausland verlagert. Durch die komplexen, globalen Lieferketten fallen immer wieder Chargen aus, zum Beispiel wenn Schiffe den Hafen nicht verlassen können. Der Krieg in der Ukraine ist ein weiterer Mosaikstein."
Inzwischen werde das Thema aber den Kunden und Patienten immer bewusster. "Unser Wunsch ist wieder mehr Produktion in EU-Ländern unter hiesigen Bedingungen, seien es Arbeits-, Umweltschutz oder Kontrollmöglichkeiten", so Metz.
Zudem ziehen sich durch die Rabattverträge der gesetzlichen Krankenkassen die Hersteller zurück, die nicht den Zuschlag bekommen haben und verkaufen ins Ausland, erklärt Metz. "Wenn es dann zu einem Engpass bei dem Vertragshersteller kommt, gibt es keinen Puffer."
Momentan sei ein Mitarbeiter einen Tag pro Woche damit beschäftigt, den Lieferengpass auszugleichen. Ein Kollege habe sogar aus Kanada ein Mittel für einen Krebspatienten liefern lassen. "Das Wichtigste ist, dass die Patienten nicht unterversorgt sind. Die langen Wartezeiten sind trotzdem sehr belastend für die Menschen."
Alternative Arzneien gesucht
Auch in der Praxis von Hausarzt Dr. Christian Pfeiffer von der Kassenärztlichen Vereinigung Bayern ist die aktuelle Lage spürbar: "Viele Patienten kommen von der Apotheke zurück, weil das Medikament nicht mehr vorhanden ist. Dann beginnt die Kniffel-Arbeit: was könnte eine Alternative sein oder wie muss die Wochendosis anders verteilt werden, weil die Stärke nicht vorhanden ist", so der Mediziner, "das ist keine schöne Situation, aber es ist auch kein Grund, in Panik zu verfallen."
Ausgleich der Inflation nötig
Des Pressesprecher des Bundesverbandes der Arzneimittel-Hersteller, Christof Weingärtner, verweist auf die steigenden Kosten für Energie, Verpackung und Wirkstoffe als Grund für die fehlenden Arzneimittel . Diese könnten aufgrund der gesetzlichen Vorgaben nicht kompensiert werden, eine wirtschaftliche Produktion sei für die Arzneimittel-Hersteller nicht möglich. Den Herstellern müsse ein Ausgleich der Inflation möglich sein und die Arzneimittel letztendlich mehr kosten.
Thomas Metz rät Patienten, die dringend ihr Medikament brauchen, sich frühzeitig ein neues Rezept ausstellen zu lassen, damit die heimische Apotheke Vorlaufzeit bei der Besorgung hat: "nicht erst wenn die Packung zu Neige geht."