Seit fast 30 Jahren betreibt Maßschneiderin Nicole Brandler ihr Atelier in Untererthal. Erneut hat die bayerische Staatsregierung ihre Verdienste nun mit einem Staatspreis gewürdigt. Ministerpräsident Markus Söder überreichte den Orden in München persönlich.
Die Laudatio hob Brandlers Verdienste um das Schneiderhandwerk hervor. Leidenschaftlich setze sie sich für ihren Berufstand und die Nachwuchsgewinnung ein. Bei einem Besuch dieser Redaktion in ihrem Atelier sprach Brandler über ihren Umgang mit Modetrends und ihre Sorgen um die Branche.
Trotz manchem Kummer ist ihre Leidenschaft für den Beruf ungebrochen. Es mache einfach Spaß, den Kundinnen und Kunden etwas auf den Leib zu schneidern. "Das ist Luxus", ist ihr dabei zum Tragen von Maßanfertigungen durchaus bewusst. Der Zeitaufwand von der ersten Beratung bis hin zur Anprobe will bezahlt sein. "20 Stunden sind da schnell weg", so die Direktrice, die mit Bleistift und Papier ihre Entwürfe zeichnet.
Qualitativ hochwertige Kleidung ist sehr nachhaltig, findet Nicole Brandler
Angesichts des Aufwandes starten die Preise für Kleider etwa bei 750 Euro und für einen Hosenanzug bei 1300 Euro. Der reine Blick auf diese Kosten greife allerdings zu kurz, findet Brandler. Billig produzierte und minderwertige Kleidung werde oft nach viel zu kurzer Tragezeit abgelegt. Dagegen könne man sich mit qualitativ hochwertigen Stücken gut und gerne 20 Jahre sehen lassen. "Das ist viel nachhaltiger", sagt Brandler, zumal man auf diese Weise seinen Stil finde.
Aktuell werden die Pariser und New Yorker Laufstege bei sportiven Schnitten von knalligen Farben dominiert. Davon lässt sich auch Brandler inspirieren. Aber: "Für mich gibt es keine Farbtrends", schränkt sie ein. Ebenfalls mit Blick auf Nachhaltigkeit plädiert sie eher für dezentere Töne, zu denen man mit bunten Accessoires Akzente setzen könne.
Die Maßschneiderin aus Untererthal plädiert für mehr Offenheit in Sachen Kleidung
In diese Richtung geht auch beim gerade angesagten "Naked Look". Dabei sorgen hautfarbene und beige Stoffe mit geschickten Auslassungen für reizvolle Perspektiven. Auf diese Weise könnten Modebewusste nach Einschätzung Brandlers sogar auf der Straße mehr Haut zeigen. "Die Gesetzmäßigkeit macht man sich selbst", plädiert sie für Offenheit.
Insgesamt zwölf Auszubildenden hat die Maßschneiderin ihre Mode-Philosophie bisher weitergegeben. Einige davon schlossen als Landes- und Bundessieger im Wettbewerb "Die gute Form im Handwerk" ab. Seit 2019 hat sie die Ausbildung jedoch eingestellt. "Das kann ich mir nicht mehr leisten", sagt sie mit Bedauern in der Stimme. Auslöser sei die Einführung der Mindest-Ausbildungsvergütung gewesen. Seitdem würde eine Auszubildende oder ein Auszubildender in drei Jahren 35.000 Euro kosten.
Um das Handwerk dennoch zu erhalten, vermisst sie Unterstützung der Politik. "Die Ausbildungszahlen sind im Keller", moniert sie. Gab es 2020 deutschlandweit 558 Maßschneiderinnen und Maßschneider in Ausbildung, so waren es 2022 nur noch 412. Dramatisch auch das Bild in Bayern: Hier sank die Zahl der Ausbildenden im gleichen Zeitraum von 153 auf 113.
Immerhin: Theater und staatliche Institutionen würden vermehrt ausbilden. Ein Lichtblick sei, dass die Bundespolizei in Oerlenbach zwei Plätze mit Blick auf das Anpassen der Uniformen geschaffen hat. Aber: Im dualen System mit den Fachschulen gebe es kaum mehr Ausbildungsstellen.
In reinen Fachschulen sehe sie keine Lösung: "Die sind weit weg vom Kunden", bedauert Brandler. "Eine Option in Nordbayern wäre es, unter Einbeziehung der Ausbildungsbetriebe etwas mit den Berufsschulen aufzuziehen", regt Brandler an. Dazu habe sie bereits Gespräche geführt.
Nicole Brandler vertritt Deutschland beim Weltkongress der Maßschneider in Italien
Wegen der Lage in der Branche hat sich Brandler ein zweites Standbein geschaffen. Sie ist seit 2022 jeweils für vier Monate als Gewandmeisterin bei den Burgfestspielen in Jagsthausen engagiert. Dort kleidet sie 35 Schauspielerinnen und Schauspieler zu verschiedenen Stücken ein. Angefragt hätten in diesem Jahr auch die Bayreuther Festspiele, aber das hätte sie aus Termingründen nicht wahrnehmen können.
Als nächste Herausforderung steht der Weltkongress der Maßschneiderinnen und Maßschneider in Biella bei Mailand vor der Tür. Dort geht sie als Vertreterin Deutschlands an den Start. Dazu bekam sie, wie alle anderen Teilnehmerinnen und Teilnehmer, ein Bündel Stoff in Fischgrätenmuster zugesandt, mit dem sie ein Vergleichsmodell entwerfen muss.
Doch Brandlers erste Bleistiftskizze verrät schon, was sie mit Nadel und Faden daraus machen wird: einen Hosenanzug mit einem transparenten Cape. Auch diesem Einzelstück dürfte die Aufmerksamkeit von 350 Kongressteilnehmern sicher sein.