Die Motorradwelt dreht ständig an der Leistungsschraube. 200 PS sind heute locker drin. Doch jetzt mal ganz langsam: Es geht nämlich auch vollkommen anders. Vor Schloss Saaleck tuckerten und stampften beschauliche Einzylindermotoren, als Sandra Ebert aus Westheim zur Abfahrt ihrer Royal-Schlösser-Tour blies.
15 Fahrer der indischen Traditionsmarke Royal Enfield gaben sich im Gefolge der Motorradliebhaberin ein Stelldichein. Für die meisten der Teilnehmer war die Begegnung ein Blind Date. Sie hatten sich noch nie vorher gesehen. Außer dem Faible für die großvolumigen Einzylinder mit chromumrandeten Scheinwerfern und geschwungenen Schutzblechen wussten die Teilnehmer aus dem ganzen Bundesgebiet wenig voneinander.
Der Weitgereisteste nahm sogar einen Ritt über 600 Kilometer in kauf. „Das ist Entschleunigung pur“, schwärmt Andi (50) aus dem österreichischen Lienz nach fast zwölf Stunden im Federsattel. Ohne seine Reifenpanne wäre er wohl ein bisschen schneller angekommen, hätte dann aber weniger von der Landschaft gesehen.
Bei der Tour durch den Spessart stand auch die Muse im Mittelpunkt. Neben vier Stunden reiner Fahrzeit waren jede Menge Stopps eingeplant, um das Gesehene Revue passieren zu lassen.
Fast schon mit britischer Disziplin zogen die Maschinen gleich einer Perlenschnur an Hügeln, Tälern und Auen entlang. Damit verleugnet die Technik ihre Herkunft nicht. Die Motorradmarke werkelte auf der Insel, bevor sie nach Indien wechselte. „Seit 1901 produziert sie durchgängig Motorräder, und ist damit die älteste Motorradmarke der Welt“, zeigt sich einer der Fahrer traditionsbewusst. Im Teilnehmerfeld überwiegt unter den Helmen die Haarfarbe grau, schwarze Lederklamotten schützen vor Umwelteinflüssen.
Unter den Fans sind Handwerker, Rechtsanwälte, Zahnärzte, auch Hartz-IV-Empfänger. Geduld mit der Technik eint sie alle. 500 Kubikzentimeter Hubraum und 22 bis 27 PS Leistung ersticken jeden Anflug von Eile im Keim. Das Wohlfühltempo liegt bei maximal 100 Stundenkilometern.
Stars in der Gruppe sind die beiden Taurus-Fahrer. Diese Dieselableger stampfen wie Schiffsdiesel. 11 PS sind für 90 Stundenkilometer gut, bei einem Verbrauch von unter zwei Litern.
Über 1300 Gleichgesinnte
Diplom-Sozialpädagogin Sandra Ebert war nach bestandener Führerscheinprüfung 2015 im Internet auf die Marke gestoßen. „So eine musste ich haben“, erinnert sie sich schmunzelnd. Kontakt hält die 46-Jährige mit über 1300 Gleichgesinnten im deutschsprachigen Raum über ein Internetforum. Darüber lud sie jetzt auch zu der Tour ein. Royal-Enfield-Bundestreffen ist im Juli im Altmühltal. In der hiesigen Region gibt es den Main-Tauber-Stammtisch. Dort sind auch Fahrer anderer Traditionsmarken willkommen.
„Der Motor unter mir muss leben“, begründet Ebert ihr Faible für den rauen Einzylinder. Beruflich bietet sie nach einer Pause wieder tiergestützte Therapie zur Frühforderung. Ob da nicht eine Therapie auf der gemütlich stampfenden Royal Enfield für tempogestresste Zeitgenossen eine beruhigende Alternative wäre?