Marlon Henning war nervös. Und das will etwas heißen. Bei aller Bescheidenheit weiß der 14-Jährige, was er kann. Nicht umsonst wählten ihn seine Mannschaftskollegen zum Kapitän. „Marlon ist bei uns absoluter Leistungsträger und wird seinen Weg machen. Er hat eine große Spielintelligenz, ist aber auch sehr selbstkritisch, nimmt Ratschläge an und setzt diese um. Das macht das Arbeiten mit ihm sehr einfach“, sagt Sebastian Mayer , der beim EHC Bayreuth den gesamten Nachwuchs-Apparat mit 150 aktiven Spielern in acht Mannschaften hauptverantwortlich betreut und Trainer der U15 bei den „Tigers“ ist.
Diesmal wartete aber kein Punktspiel in der Bayernliga, sondern eine ganz andere Hausnummer: das zweite Sichtungs-Turnier für die U16-Nationalmannschaft in Füssen mit insgesamt 60 Spielern und acht Goalies, die in zwei Gruppen trainierten. Schon bei der ersten Sichtung im November war Marlon Henning mit dabei. Nach der Begrüßung und einem Mittagessen stand ein Athletiktest auf dem Programm, ehe eine erste Eis-Einheit folgte.
Tags darauf endete die Sichtung mit einem internen Match, in dem die Talente eine Bewertung von Bundestrainer Robin Beckers und seinen Assistenten bekamen. Im Mai folgt ein weiterer Test – sowie im besten Fall eine Einladung für den jungen Unterfranken zu einem Länder-Turnier. „Wir haben in Füssen wieder interessante Sachen trainiert und ich habe wieder coole Leute kennengelernt“, sagt Henning, der die Jahre davor auch schon in der Auswahl des Bayerischen Eishockey-Verbandes stand und an Stützpunktrainings in Nürnberg teilnahm.
Mit Eishockey begonnen hatte Marlon Henning als Sechsjähriger. „Mein Onkel Andre war der Trommler im Fanclub der Kissinger Wölfe und hat mich eines Tages zu einem Spiel mitgenommen. „Das war megacool und ich war von diesem Sport sofort begeistert.“ Nicht viel später begann die Karriere auf dem Eis unter den Trainern Valerie Dancov und Michael Rosin. Parallel spielte Marlon Henning Fußball bei der SG Wartmannsroth, war sogar im DFB-Stützpunkt in Hammelburg , ehe die Doppelbelastung zu viel und der Fokus auf den Kufensport gerichtet wurde.
Über die Spielgemeinschaft im Juniorenbereich stand der Neuntklässler am Frobenius-Gymnasium in Hammelburg früh auch auf Haßfurter Eis, um mit dem Rückzug der Kissinger Wölfe endgültig zum Nachwuchs der „Hawks“ zu wechseln. In der Meistersaison mit der U13 spielte der Linksschütze bereits mit Förderlizenz für Bayreuth . Der endgültige Wechsel in die Wagnerstadt erfolgte zur Saison 2022/2023, als Defensivspieler in der U15. „Verteidiger wurde ich eher zufällig. Als ich mit Haßfurt auf einem Camp in Tschechien war, brauchten wir für ein Spiel Verteidiger. Seitdem bin ich einer.“
Fan der Eisbären Berlin
Der Aufwand für die Familie ist enorm, zumal auch Marlons Schwester ihren Sport „auswärts“ betreibt als Fußballerin beim FC 05 Schweinfurt . „Leider gibt es keine Fahrgemeinschaft, weshalb wir Marlon zwei- bis dreimal in der Woche zum Training nach Bayreuth und dann noch zu den Spielen fahren“, sagt Mutter Nicole. Dass auf den Fahrten am Laptop Schulaufgaben gemacht werden, ist Normalfall. „Außerdem muss Marlon auch im Haushalt Verantwortung übernehmen und seine Sport-Wäsche selber waschen“, weiß Nicole Henning.
Um sein Hobby ernsthaft zu betreiben, besucht Marlon Henning regelmäßig ein Hammelburger Fitness-Studio und hat sich daheim zusätzlich eine kleine „Folterkammer“ eingerichtet, um gezielt Krafttraining machen zu können. „Marlon ist für einen Verteidiger relativ klein und muss seinen Körper formen. Er spielt ja auch schon in der U17, wo die Gegner eine ganz andere Physis haben“, sagt Mutter Nicole. Im Dorf nur noch wenig Kontakt zu Gleichaltrigen zu haben, muss der Fan der Eisbären Berlin in Kauf nehmen, „dafür finden es die Schulkollegen ganz cool, was ich da mache.“
Am Wochenende wartet wieder der Eishockey-Alltag mit einem Doppelspieltag samt Übernachtung in Germering. Der Klassenerhalt in der Bayernliga ist bereits gesichert, jetzt geht es noch um eine gute Platzierung. „Es ist schon lange nicht mehr so, dass unsere Spieler nur aus Bayreuth oder der näheren Umgebung kommen. Aber was Marlon und mit ihm die Familie auf sich nimmt, ist auch ein Vertrauensbeweis für uns, dass wir in Bayreuth gute Arbeit leisten, sagt Sebastian Mayer .
Geheimnis um den neuen Verein
Zur neuen Saison wird der 38-Jährige die Entwicklung seines Spielers aber nur noch aus der Distanz wahrnehmen. Für Marlon Henning steht nämlich die nächste große Challenge an. „Um den nächsten Schritt zu gehen, wird Marlon zu einem neuen Verein wechseln. Den Namen wollen wir aber erst bekannt geben, wenn der Vertrag unterschrieben ist“, sagt Nicole Henning. Dann wird der noch 14-Jährige bei den U17-Junioren in der Division I spielen, der höchsten Liga dieser Altersklasse.
Zwei Spiele an einem Wochenende sind dann der Normalfall, weshalb der Schwärzelbacher sogar von daheim ausziehen und eine neue Schule besuchen wird. „Marlon geht dann in die 10. Klasse. Jetzt ist es oft so, dass er um 23.30 Uhr heimkommt und um 05.30 Uhr aufsteht. Das wird zu viel“, so Nicole Henning. „Diese Erfahrung wird ihm später viel helfen. Marlon wird seinen Weg gehen und von uns jegliche Unterstützung bekommen“, sagt Sebastian Mayer .
„ Abitur machen, danach studieren. Vielleicht in Richtung Sport oder Physiotherapie“, will Marlon Henning. „Wenn ich mit Eishockey Geld fürs Studium verdienen kann, wäre das super. Einmal in der Deutschen Eishockey-Liga zu spielen, wäre natürlich mega-cool.“ Den ein oder anderen Tipp könnte sich der Jugendliche bei Nina Christof abholen, die ebenfalls das Frobenius-Gymnasium in ihrer Heimatstadt besuchte, nun in den USA studiert und für die Frauen-Nationalmannschaft spielt. Oder bei Jonas Langmann , der Goalie ist beim EV Landshut in der DEL-2. Der gebürtige Bad Kissinger hatte einst ebenfalls bei den „Wölfen“ das Eishockeyspielen erlernt und wäre vor der Saison beinahe bei den Bayreuth Tigers gelandet.
Bei allem sportlichem Ehrgeiz: Die Verbundenheit ihres Sohnes zur Heimat wird nicht leiden. Davon ist die Mutter überzeugt. „An freien Wochenenden hilft Marlon seinem Opa gerne bei der Arbeit im Wald oder geht mit dem Papa angeln. Die Natur ist der Ort, an dem der Akku wieder aufgeladen wird.“