
Tiefschürfende Weltansichten, comedyhafte Erzählungen , geschüttelte und gereimte Kalauer oder psychoanalytische Selbstreflexionen - wer nicht nur seine Gedanken gerne in Texten ausdrückt, sondern diese ebenso gerne vorträgt, für den ist " Poetry Slam " Herausforderung und Vergnügen zugleich.
Beim "3. Münnerstädter Poetry Slam " stellten sich sechs Kandidaten dem Wettbewerb - und das Publikum entschied sich für Bert Uschner, dessen makabre und skurrile Wortschöpfungen letztlich den stärksten Applaus einheimsten.
Der Innenhof des Deutschordensschlosses in Münnerstadt war die Arena für die moderne Form eines Dichterwettstreits, dem einige wesentliche Regeln zugrunde liegen. Organisator Manfred Manger freute sich nicht nur, dass der 3. Poetry Slam endlich unter Coronabedingungen durchgeführt werden konnte, sondern dankte der Stadt für die Klärung der Kostenfrage und dem Altstadtverein für die Unterstützung.
80 Besucher
Den knapp 80 Besuchern erklärte er die strengen Regeln des Wettstreits, dessen Grundlage nur selbstverfasste Texte sein dürfen, wobei es keine literarischen Grenzen gibt. Maximal sieben Minuten hat man für die Performance auf der Bühne und die Jury ist das Publikum - und hier hat Manger fünf Teams willkürlich ausgewählt, die in der Vorrunde mit der Staffelung von 1 = Nie mehr bis 10 = supertoll bewerten durften. Bei der Wertung wurde dann die beste und die schlechteste Beurteilung gestrichen, um familiäres Wohlwollen oder persönliche Abneigung auszuschließen. Für das Finale war dann der Applaus aller Gäste entscheidend.
Nach diesen einleitenden und erklärenden Worten spielte Manfred Manger selbst das Opferlamm und stellte sich dem Votum mit einem Text zu "Sommerferien/Reiselust", in dem die einst so große und weite Welt immer kleiner wird, in dem "die Welt besitzen" wichtiger ist als "die Welt verstehen". "Schön ist das Reisen, wenn's nicht alle tun", war sein Fazit.
Heimspiel für Hannah Conrady
Nach diesem Warmup ging es mit jeweils drei Kandidaten in die beiden Vorrunden, und Thomas Eiwen aus Rosenheim stellte sich als erster ans Mikrofon. Sein Liebesgedicht "Darum" führte von der pubertären Liebessuche hin zur Suche nach der wahren Liebe und verpackte dies in skurrile Satzbausteine, die die Publikums-Jury mit insgesamt 24 Punkten bewertete. Dieser Liebessinfonie schloss sich ungewollt Hannah Conrady an, die als geborene Münnerstädterin Heimvorteil hatte. In ihrer literarisch-berührenden Kurzgeschichte sezierte sie den Moment, an dem sich die beiden Geschlechter treffen und eine entstehende Beziehung durch "Ihr Männer wollt immer ..." und "Ihr Frauen seid ...." ungewollt ausgebremst wird - 22 Punkte war der Lohn.
"Reimsüchtig" präsentierte sich Bert Uschner aus München, der makabre Schüttelreime als "Einstiegsdroge" zum Besten gab - gefolgt von den härteren Stoffen wie Limmericks über Ingolstadt und Krefeld. Nervös, atemlos, hyperaktiv verkörperte er seine gespielte Reimsucht (?) und bedauerte deren Folgen: "Man wird einsam dadurch." Der Nonsens mit einem Schuss Satire gefiel und wurde mit 25 Punkten bewertet.
Die zweite Vorrunde wurde von Theresa Conrady (München) eingeläutet, die in einem nachdenklichen Text mit Tiefgang die Welt mit Bleistiftstrich verändern möchte: Was nicht passt, wird weggestrichen. Wäre die Welt dann besser? Oder fehlt ihr dann die Farbigkeit, die Vielfalt, die Diversität? Ihr Fazit nach einem engagierten Vortrag - "Toleranz ist das, was die Welt verbessert." - wurde mit 26 Punkten belohnt.
Titanic-Szenario
Ausdrucksstark und dynamisch präsentierte sich Enora de Corre (Bonn) auf der Bühne, die ihre beruflichen Erfahrungen aus einem Psychologie-Studium in einem Titanic-Szenario einfließen ließ. In sieben Stufen beschrieb sie mit düsteren Worten das Fallen des Subjekts und dessen Niedergang sowie die Schwärze der Welt - der psycho-analytische Leidensweg gefielt mit 24 Punkten. Den Abschluss der Vorrunde bildete Oliver Walter aus Spalt, der mit jenseits der 35 die "Technik als wieder der Natur" qualifizierte und in einem unterhaltsamen Statement die Redewendung der digitalen Revolution auf die Erfindung des Buches bzw. die Entdeckung des Feuers anwendete: Stundenlang in das Feuer schauen war auch nichts anderes als stundenlang auf das Handy-Display vor der Nase zu haben. Mit 25 Punkten wurde der nachdenklich-humorvoller Beitrag bewertet, der mit dem lapidaren Fazit endete: "Der Mensch ist das Problem, nicht die Technik."
Finale
In der Endrunde standen dann nochmals vier Sprachakrobaten auf der Bühne. Thomas Eiwen mit einem bayrisch-englisch-französischen Text zu Wertschätzung der Slamer untereinander, Oliver Walter mit einem humorig-zynischen Text zu "Tante Anni im Pflegeheim", Bert Uschner, der mit skurrilen Wortverdrehungen und überdrehten Alltagsanalysen das Publikum zum Mitmachen bewegte, sowie Theresa Conrady mit einer Selbstreflexion, denn Joggen bedeutet kein Ausgleich, wenn man sich mit einer App unter Leistungsdruck setzt. Diese vier mussten sich der Wertung des Publikums stellen, das per Applaus den/die Besten/Beste des Abends kürte - und nicht nur die Ohren von Manfred Manger hörten Bert Uschner als Sieger, sondern auch der anerkennende Beifall der Poetry Slamer auf der Bühne.