zurück
Bad Kissingen
Experte beim Kissinger Sommer zu Gast: Auch in kleinen deutschen Orten gibt es mafiöse Strukturen
Mit Sandro Mattioli kommt am 13. Juli ein Mafia-Experte zum Kissinger Sommer. Er sagt, selbst in kleinen Orten gebe es in Deutschland mafiöse Strukturen.
Sandro Mattioli kommt nach Bad Kissingen.       -  Sandro Mattioli kommt nach Bad Kissingen.
Foto: Lorenzo Maccotta | Sandro Mattioli kommt nach Bad Kissingen.
Angelika Despang
 |  aktualisiert: 19.07.2024 15:45 Uhr

Anfang Mai wurden dreißig Verdächtige im Rahmen einer Anti-Mafia-Razzia in Deutschland verhaftet. Vor wenigen Tagen haben Ermittler einen mutmaßlichen Mafiapaten in Münster festgenommen. Der bekannte italienische Staatsanwalt Nicola Gratteri sagt, Deutschland sei nach Italien das Land mit der stärksten 'Ndrangheta-Präsenz.

Sandro Mattioli ist investigativer Journalist. Im Rahmen des Kissinger Sommers ist er Gast beim Vokalmusik und Talk „Bella Italia – La dolce vita?“ am 13. Juli. Der Mafia-Experte über italienisches Dolce Vita, organisiertes Verbrechen, den romantischen Blick der Deutschen auf Italien und was das mit dem Ukraine-Krieg zu tun hat.

 

Herr Mattioli, Sie haben einmal gesagt, Ihre Identität sei für einen Schwaben zu Italienisch, für einen Italiener aber zu Deutsch und für eine eindeutige Antwort zu kompliziert. Warum das?

Sandro Mattioli (lacht): Vereinfacht gesagt, geht man als Schwabe eher mit Effizienz an die Probleme heran und als Italiener eher mit Improvisation und Kreativität. Das ist nicht immer kompatibel. Ich vereine zwei Länder oder Kulturen in mir, mein Vater kam als klassischer Arbeitsimmigrant hierher, meine Mutter ist Deutsche. 

 

Für die Deutschen ist Italien der Inbegriff von Lässigkeit, Eleganz, Spaghetti und Sonne. Aber auch die Mafia ist untrennbar mit dem Bild Italiens verbunden – wie sehen Sie Ihr zweites Heimatland?

Ich schätze Italien als Land sehr. Das Bild der Deutschen von Italien ist sehr reduziert, denn es gibt nicht nur Dolce Vita und Lässigkeit. In meiner italienischen Familie, die Obst- und Gemüsebauern sind, wurde unter der Woche auf dem Feld hart gearbeitet. Am Wochenende oder an Festtagen wurde dafür gerne mal gefeiert.

Das Dolce Vita hat also einen Gegenpart, der fällt in der deutschen Wahrnehmung meist unter den Tisch. 

Genauso haben viele Deutsche von der Mafia ein romantisiertes Bild, das von Filmen wie „Der Pate“ geprägt ist. Katzen-streichelnde, alte Männer haben wenig damit zu tun, was die Mafia heute ist.

Aber dieses falsche Bild ist kein Wunder, es ist ja wenig Wissen vorhanden und es gibt kaum wissenschaftliche Forschung zum Thema Mafia. Da ist es schwierig zu unterscheiden und für mich und meinen Verein mafianeindanke sehr mühsam gegen diese Bilder anzukämpfen.

 

Sie sind nach Ihrem Volontariat als freier Journalist nach Rom gegangen – warum haben Sie sich die – nicht gerade dolce – Mafia als Arbeitsschwerpunkt gesucht?

Es war nicht so, dass ich mir die Mafia als Schwerpunkt ausgesucht hatte, aber bei Recherchen zu kontaminierter Erde aus Industriegebieten, die auf deutsche Mülldeponien exportiert wurde, bin ich relativ schnell auf sie getroffen.

Als ich weiter zu dem Thema gearbeitet habe, wurde es mehr und mehr und mündete 2011 in mein erstes Buch „Die Müll-Mafia“. Irgendwann wird man dann zum Experten, was ich ursprünglich gar nicht werden wollte. 

 

Mafia-Mitglieder sind wahrscheinlich nicht begeistert, wenn man über sie schreibt. Wie recherchieren Sie und wie kommen Sie mit ihnen ins Gespräch?

Vor wenigen Wochen hatte ich für eine Berichterstattung zufällig mit einem Mann zu tun, der sagte, bei der Mafia gewesen zu sein und jetzt aber in Rente ist. Er schien glücklich zu sein, darüber sprechen zu können. Es ist also nicht immer so, dass keine Presse erwünscht ist. Aber grundsätzlich ist es im Interesse der Mafia, so unauffällig wie möglich zu sein.

In Deutschland ist die Lage allerdings sehr schwierig. Es gibt sehr viele Mafiosi, man darf sie bloß nicht als solche bezeichnen. Es wäre eine Diffamierung, weil hierzulande praktisch keines der Mitglieder der Mafia-Clans wegen Mitgliedschaft in einer kriminellen Organisation bestraft wird. In Italien ist das viel häufiger der Fall.  

Für meine Recherchen habe ich allerdings selten mit aktiven Mafiosi zu tun. Da bin ich auch zurückhaltend und arbeite viel mit italienischen Akten, mit Mafia-Aussteigern und der italienischen Berichterstattung.

 

Journalisten werden in Italien von Mafia-Clans sogar in Gerichtssälen bedroht. Ihr Gesicht ist bekannt – wie schützen Sie sich bei der Arbeit und privat?

Es ist schon klar, dass bei diesem Thema eine andere Gefahrenlage vorliegt, doch wenn mir etwas im klassischen Mafia-Stil passieren würde, würde das der Mafia nichts nutzen. Denn das erregt nur Aufmerksamkeit und daran haben die Clans kein Interesse.

Dieser Umstand schützt Journalisten. Diese Strategie kann sich allerdings jederzeit ändern, doch für den Moment ist es so.

 

Wurden Sie schon mal bedroht oder gab es brenzliche Situationen?

Die gibt es, insgesamt wurde ich dreimal bedroht, auch wenn es kein Brief mit Pistolenkugel war.

Einmal kam ein Immobilienunternehmer nach meinem Vortrag zu mir und hat im klassischen Mafia-Stil versucht, mich einzuschüchtern. Es war eine kleine Veranstaltung, ich hatte nicht damit gerechnet und auch keine Zeugen. Ich habe dann Erkundigungen eingeholt und die Polizei hat mir bestätigt, dass es sich um ein Mitglied der kalabrischen 'Ndrangheta handelt.

Passiert ist mir weiter nichts. Aber darum geht es zunächst auch nicht, sondern darum, einen Samen der Angst zu säen. Da braucht es schon eine gewisse psychische Stabilität. In Italien bekommt die Bedrohung von Journalisten mehr Aufmerksamkeit. 

 

War die Razzia gegen die 'Ndrangheta-Gruppierung Anfang Mai „ein kräftiger Schlag“ wie der bayrische Innenminister Joachim Herrmann es formuliert hat?

Das ist schwierig zu sagen. Monate vor der Aktion habe ich einmal Innenminister Herrmann gefragt, ob angesichts der hohen Zahl von Mafia-Mitgliedern genug gegen die Organisationen getan wird. Er meinte, ja, aber man könne immer mehr machen. Das gilt meiner Meinung auch jetzt.

Nach offiziellen Zahlen haben die italienischen Mafia-Organisationen in Deutschland 770 Mitglieder. 30 wurden Anfang Mai verhaftet, das sind weniger als vier Prozent. Dazu kommt, dass die Mafia schnell neue Leute rekrutiert. Es war trotzdem eine gute Aktion, die eine gewisse Wirkung hatte. Damit ist aber der Pflicht nicht Genüge getan, jetzt muss die Mafia weiter im Fokus bleiben, sonst würde die Wirkung verpuffen.

Es kann nicht sein, dass hier mehrere tausend Mitglieder und Unterstützer der Mafia leben. Das wäre bei einer islamistischen Organisation undenkbar. Aber das ist wieder der deutsche, romantisierende Blick auf die Mafia, hinzu kommt, dass jeder gerne italienisch Essen geht und dass hochrangige Vertreter in Deutschland in den Kokainhandel involviert sind.

Auch haben zivilgesellschaftliche Organisationen, die gegen die organisierte Kriminalität kämpfen, keine Lobby.

 

Ist Deutschland mafiaverseucht?

Ich würde das so sagen, ja! Ich habe eine Karte von Bayern erstellt, auf der die Orte, in denen Mafia-Aktivitäten stattgefunden haben, mit Punkten markiert sind. Bayern ist fast flächendeckend betroffen. Auch in Bad Kissingen gibt es Treffer. 

 

Also gibt es die italienische Mafia auch hier auf dem Land?

Ja, zumindest gab es in der Vergangenheit Mafia-Mitglieder in und um Bad Kissingen. Ob sie heute noch hier leben oder die Organisation aktiv unterstützen oder andere Leute herzogen, weiß ich nicht. Aber keiner kann sagen: das gibt es bei uns nicht.

Und dabei umfasst mein Aktenbestand bei Weitem nicht alle Akten dazu. Deutschland hat hier ein Problem, zwar nicht in jedem Ort, aber auch in kleinen Orten oder Kleinst-Orten. Denn dort, wo sie sich einmal niedergelassen haben, setzen sich die Strukturen fest. Wir unterschätzen die Anwesenheit der Mafia.

 

Warum ist Deutschland für die Mafia so attraktiv?

Die Romantisierung der Mafia hilft, die unzureichenden Gesetzgebung, die geografische Lage ist attraktiv für den Kokainhandel, aber auch, dass Deutschland ein politisch und wirtschaftlich stabiles Land ist. 

Beim Thema Organisierte Kriminalität sieht Deutschland vor allem auf die sogenannten arabischen Clans. Wenn man aber den Aufwand, den man dort betreibt, aufbringen würde, um gegen die Strukturen der italienischen Mafia und ihr deutsches Unterstützerumfeld vorzugehen, würde man ein sehr viel größeres Problem aufdecken. Da bin ich mir sicher. Von dem Umsatz, den die `Ndrangheta in Deutschland macht, können die arabischen Clans nur träumen.

 

Was muss sich in Deutschland ändern? Was sind die Forderungen Ihres Vereins Mafianeindanke?

Relativ viel, auch wenn wir schon einiges erreicht haben. Unsere aktuelle Forderung ist eine Anpassung des Paragrafen 129 im Strafgesetzbuch, sodass die Mitgliedschaft in einer kriminellen Organisation höher bestraft wird und Ermittlungen dazu attraktiver werden.

Außerdem fordern wir eine zivilgesellschaftliche Beobachtungsstelle, der Lösungsvorschläge für die Bundes- und Landespolitik erarbeitet. Auch sollte das Thema organisierte Kriminalität in Schulunterricht und Wissenschaft präsenter sein.

Zudem hoffen wir auf eine stabilere Förderung unserer Arbeit, damit wir die Zivilgesellschaft noch besser erreichen können.

 

Tritt das altbekannte Problem Mafia bei den derzeitigen Krisen auf der Welt nicht in den Hintergrund?

Ich habe volles Verständnis dafür, wenn in Zeiten von Pandemie und Krieg gegen die Ukraine der Fokus der Menschen nicht auf der Mafia liegt. Aber das Beispiel Krieg zeigt mehrfach, wo die Probleme liegen.

Bei der Sanktionierung von Putin-treuen Geschäftsleuten hat man gesehen, dass es kaum möglich ist, deren Investments aufzuspüren, gleiches gilt auch für Mafia-Investments. Da schläft Deutschland.

Zudem zeigt Russland, dass der Übergang von organisierter Kriminalität zu staatlichen Regimen fließend ist. Oft hängen die Dinge mehr zusammen, als man gemeinhin denkt.

Wenn wir auf Mafia-Gefahren hinweisen, sind das keine Kinkerlitzchen: wenn staatliche Strukturen unterwandert werden können, ist das immer relevant.

 

Zur Person

Sandro Mattioli wurde 1975 in Heilbronn geboren und zählt zu den wichtigsten Mafia-Kennern in Deutschland. Der investigative Journalist hat neben zahlreichen Reportagen ein Buch über die Müllmafia veröffentlicht. Mattioli ist Vorsitzender des Vereins „Mafia – nein, danke“, der über die Mafia-Kriminalität in Deutschland aufklärt. Er ist Gast beim Vokalmusik und Talk „Bella Italia – La dolce vita?“ am 13. Juli im Rahmen des Kissinger Sommers. 

 

Das könnte Sie auch interessieren:

 
Themen & Autoren / Autorinnen
Bad Kissingen
Deutsche Sprache
Italienische Familien
Kissinger Sommer
Kriminelle Organisationen
Mafia
Lädt

Damit Sie Schlagwörter zu "Meine Themen" hinzufügen können, müssen Sie sich anmelden.

Anmelden Jetzt registrieren

Das folgende Schlagwort zu „Meine Themen“ hinzufügen:

Sie haben bereits von 50 Themen gewählt

bearbeiten

Sie folgen diesem Thema bereits.

entfernen
Kommentare
Aktuellste
Älteste
Top