
Was tun, wenn die Beine immer breiter werden und weder eine Diät noch viel Sport etwas ändern? So ergeht es Menschen, die an einem Lipödem oder Lymphödem erkrankt sind.
Die chronische Fettverteilungsstörung (Lipödem) bleibt oft lange unerkannt, weil sie häufig als Übergewicht oder Fettleibigkeit (Adipositas) fehlgedeutet wird.
Bei einem Lymphödem entstehen Schwellungen, ist die Transportfähigkeit des Lymphsystems eingeschränkt. Beides kann jeden treffen. Seit Anfang Oktober gibt es in Bad Kissingen eine Selbsthilfegruppe.
Nach der Diagnose erstmal ratlos
Bei Lisa wurden vor sechs Jahren beide Krankheiten festgestellt – „ich hab sozusagen den Jackpot erwischt“, sagt sie scherzhaft, „aber nach der Diagnose habe ich endlich gewusst, warum mein Körper so ist, wie er ist.“
Nachdem Lisa das Verhütungsmittel gewechselt hatte, kamen die körperlichen Veränderungen. „An Beinen, Hüfte und Oberarmen habe ich immer mehr an Volumen zugelegt. Aber ich hatte keine Schmerzen und hab das erstmal so hingenommen“, erzählt die 34-Jährige.

Durch eine Freundin habe sie den Tipp bekommen, sich auf ein Lipödem oder Lymphödem hin untersuchen zu lassen. „Doch die Krankheit war für mich erstmal nicht greifbar. Ich wusste nicht, was sie mit mir macht, was sie bedeutet und welche Auswirkungen sie hat“, beschreibt Lisa eine Zeit der Ungewissheit.
„Keiner hat mir gesagt, warum ich diese Kompressionsstrümpfe tragen soll, und ich habe es, ehrlich gesagt, in der Anfangszeit nur sehr sporadisch gemacht.“
Viel selbst in der Hand
Erst durch einen Reha-Aufenthalt 2019 habe sie sich näher mit dem Thema auseinandergesetzt und die Krankheit in ihr Leben integriert.
„Ich trage die passgenauen Kompressionen bis zu 14 Stunden am Tag, ernähre mich ausgewogen und entzündungshemmend, achte auf entsprechende Hautpflege und regelmäßige Bewegung, wie Wandern, Fahrradfahren oder Aqua Jumping.“
Genauso dazu gehört es, Stress zu vermeiden, um Hormonschüben vorzubeugen. Viel hängt von dem eigenen Willen und der Eigenmotivation ab.
„Ein positiver Umgang damit ist sehr wichtig, denn man hat ganz viel selbst in der Hand und man sieht Erfolge“, betont Lisa. Diese Erfahrungen möchte sie auch in der neu gegründeten Selbsthilfegruppe in Bad Kissingen weitergeben.
Um anderen Mut zu machen, hat sie einen Instagram-Blog erstellt, in dem sie von Ihrem Alltag mit der Krankheit erzählt.
Die Gruppe „Lip- und Lymphödem“ wurde im September von Petra Weber gegründet. Fast 30 Jahre lang hatte sie als Inhaberin eines Sanitätshauses mit Betroffenen zu tun. Zudem ist sie Organisatorin des Venen- und Lymphtages, der dieses Jahr bereits zum siebten Mal in der Kurstadt stattfand.
„Ich selbst bin nicht betroffen, habe mich aber bei meiner Arbeit im Sanitätshaus auf Lymphologie spezialisiert und in der Zeit viele Kunden mit diesem Leiden betreut.“
Dabei habe sie bemerkt, dass viele Erkrankte sich alleingelassen fühlen und viel Aufklärung notwendig sei. „Jetzt bin ich nicht mehr aktiv im Berufsleben und habe Zeit für die Selbsthilfegruppe“, sagt die 62-Jährige.
Selbstmanagement unterstützen
Ziel der monatlichen Treffen sei neben dem Erfahrungsaustausch, die Akzeptanz der Krankheit und das Selbstmanagement.
„Ich habe geplant, immer wieder Referenten einzuladen, um die Krankheit von verschiedenen Seiten zu beleuchten und unterschiedliche Therapieansätze vorzustellen.“ Aber auch gegenseitige Unterstützung bei Anträgen und gemeinsame Ausflüge sind angedacht.
Die Gruppe trifft sich jeden ersten Dienstag im Monat im Mehrgenerationenhaus in Bad Kissingen. Die Auftaktveranstaltung im September war bereits gut besucht, genauso wie das erste Treffen Anfang Oktober.
Mobbing in der Schule
Patricia ist froh um die neue Gruppe. Auch sie ist von beiden Krankheiten betroffen, zusätzlich noch von Adipositas, „das geht leider oft Hand in Hand.“
Seit der Pubertät leidet sie an einem Lipödem. Dadurch hat sich zusätzlich ein Lymphödem entwickelt: „Ich bin trotz Sport und gesunder Ernährung immer mehr geworden und keiner konnte sich das erklären“, erzählt die heute 26-Jährige.
„Mit 18 Jahren habe ich sehr starke Schmerzen bekommen und konnte keine langen Strecken mehr laufen.“ Hinzu kam der psychische Druck durch Mobbing in der Schule, Selbstzweifel und Schuldgefühle.
Diagnose war Erleichterung
Durch Zufall bekam sie den Tipp, zu einem Lymphologen zu gehen. „Als ich dann die Diagnose bekommen habe, war das eine krasse Erlösung für mich. Weil ich nicht selbst schuld dran war“, beschreibt sie den Moment.
Jetzt geht Patricia zweimal wöchentlich zur Lymphdrainage, macht viel Sport und trägt den ganzen Tag Kompressionsstrümpfe. „Da kommt schon einiges an Zeit- und Selbstmanagement zusammen.“ Zudem hat sie gelernt, sich Blicke und blöde Sprüche nicht mehr zu Herzen zu nehmen.

Was sich Patricia wünscht, ist mehr Unterstützung durch die Krankenkassen: „Ich habe Stadium zwei, das heißt, ich bekommen nur zwei Kompressionsversorgungen pro Jahr. Ich muss sie aber von sechs Uhr morgens bis zehn Uhr abends tragen.“
Außerdem wünscht sie sich von der Gesellschaft, dass Menschen nicht nach ihrem Äußeren beurteilt werden und vorverurteilt werden.
Das steckt hinter den Krankheiten Lip- und Lymphödem
Lipödem:
- Bei einem Lipödem ist das Unterhautfettgewebe vermehrt. Meist betreffen die symmetrischen Fettanlagerungen die Beine, seltener auch die Arme.
- Die chronische Fettverteilungsstörung tritt praktisch ausschließlich bei Frauen auf, oft nach hormonellen Umstellungen wie der Pubertät oder einer Schwangerschaft.
- Zu den sichtbaren Fettvermehrungen kommen regelmäßig auftretende spürbare Beschwerden wie Schmerzen und eine erhöhte Druckempfindlichkeit der Haut.
- Die genauen Ursachen des Lipödems sind noch nicht vollständig erforscht.
- Bestehend aus manueller Lymphdrainage, Kompressions-Bestrumpfung, Hautpflege und Bewegung ist das Selbstmanagement ein Bestandteil der Komplexe Physikalische Entstauungstherapie.
Lymphödem:
- Bei einem Lymphödem ist die Transportkapazität des Lymphsystems eingeschränkt, was zu meist einseitigen Schwellungen führt.
- Ursachen können angeborene Fehlbildungen des Lymphsystems sein oder anderweitige Erkrankung (zum Beispiel Übergewicht oder Tumore, Verletzungen) beziehungsweise deren Behandlung (Operation, Bestrahlung).
- Frauen erkranken häufiger an einem Lymphödem als Männer.
Selbsthilfegruppe:
- Die Selbsthilfegruppe trifft sich jeden ersten Dienstag im Monat um 18 Uhr im Mehrgenerationenhaus, Von-Hessing-Straße 1, in Bad Kissingen.
- Am 5. November referiert der Heilpraktiker Bastian Sauerbier zum Thema "Ganzheitliche Therapieansätze bei Lymphödem und Lipödem".
- Am 3. Dezember stellt Matthias Vollmuth das Buch "Katapult ins Glück" vor und Übungen für Lachyoga.
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