
Seit Jahrzehnten steht der Liedermacher Konstantin Wecker mit all seinem Singen, Denken und Dichten für Widerstand, Anarchismus und Poesie. Im Sommer wird er 77 und es ist mehr als 30 Jahre her, seit er „Sage nein“ geschrieben hat. Dieses Lied erfährt gerade jetzt eine Renaissance. Es geht viral bei jungen und älteren Menschen, die derzeit zu Tausenden auf die Straße gehen, um gegen Rechtsradikalismus zu demonstrieren. „Das macht mich glücklich. Das gibt mir Hoffnung“, sagt der Künstler, der im September 24 in Bad Kissingen auftreten wird, im Interview. Hier erklärt er, warum er seinen Song "Sage nein" der Gesellschaft schenkt.
Schlimmer Sturz in der Sauna
So richtig auf der Höhe ist der 76-Jährige noch nicht. Im Dezember 2023 ist er bei einem Sauna-Gang in einem Baseler Hotel gestürzt, er hat sich dabei die Wirbelsäule schwer verletzt. Zu der Zeit, als in Deutschland Tausende auf die Straße gingen, musste er sich im Ausland von den Verletzungen erholen.
Wie schlimm ist das für einen, der Jahrzehnte für den Mut des Einzelnen, für Courage, wider das Vergessen, gegen Rechtstümelei und Faschismus ansingt und anschreibt, nicht dabei zu sein, wie viele Deutsche genau dagegen aufstehen und ihre Stimme erheben?
Konstantin Wecker : Das war traurig, natürlich. Aber viel trauriger ist die Entwicklung, die Deutschland nimmt. Als ich „Sage nein!“ Anfang der 90er geschrieben habe, brannten die ersten Ausländerheime. Ich hätte mir nie vorstellen können, dass das Lied wieder Symbol für Widerstand werden könnte. Ich dachte wirklich, Deutschland ist gefeit gegen jede Form von Faschismus, weil wir – im Verhältnis zu anderen Ländern – unsere Vergangenheit gut aufgearbeitet haben. Ja, ich wusste, dass es die Identitären gab und die AfD . Wirklich bewusst wurde mir die Gefahr erst durch die Recherche von Correctiv zum Potsdamer Treffen.
Hätte die Welle der Demonstrationen schon früher kommen müssen, kommen können?
Ich glaube: nein. Nicht in dieser Art, dass der sogenannte Durchschnittsbürger aufsteht, weil er die Gefahr verstanden hat. Vielleicht haben ja auch viele Menschen, so wie ich, eine Art Schutzschild vor sich hergetragen, nach dem Motto: Das kann nicht mehr passieren, nicht, nachdem Deutschland lange Zeit für die schlimmste Form des Faschismus stand. Wir glaubten das als überwunden.
Auch ich habe die AfD lange in die Spinner-Ecke geschoben. Ich fühle mich erinnert an Wilhelm Reichs Buch „Massenpsychologie des Faschismus“, das 1933 verfasst wurde. Der Inhalt: eine Untersuchung der psychosozialen Hintergründe des Faschismus. Die Propaganda damals ist gleichzusetzen mit den vielen Fakenews und Verschwörungstheorien heute im Netz und anderswo. Nur mit Mythen hat der Faschismus damals eine Chance gehabt. Und Fakenews sind die neuen Mythen.
Die Frage ist, was tun wir jetzt, Herr Wecker? Die Europawahlen stehen an, es ist ein Rechtsrutsch zu erwarten, in Thüringen und Sachsen liegt die AfD bei den Umfragen zur Landtagswahl vorne.
Für mich als Künstler gibt es nur eine Möglichkeit: Ich muss den Menschen Mut machen. Den Mut, zu sich selbst zu stehen und sich dieser Ideologie nicht anzuschließen.
Ich habe vor ein paar Jahren einen wunderschönen Brief von einer Frau erhalten. Sie schrieb, dass sie von ihrer Familie gemobbt und ausgelacht werde, weil sie sich für Flüchtlinge einsetze. „Jetzt war ich in Ihrem Konzert – und ich verspreche Ihnen, ist setze mich weiter für Flüchtlinge ein“ – das macht mich glücklich, gibt mir Hoffnung.
Und was sollten die Politikerinnen und Politiker jetzt tun?
Ich bin schon immer ein bekennender Anarcho mit dem Traum einer herrschaftsfreien Gesellschaft. Das schließt ein, dass ich mir Politiker wünsche, die nicht um jeden Preis an der Macht kleben bleiben wollen.
Nur ein Beispiel: Um mehr Stimmen zu fangen, eignete sich Bayerns Ministerpräsident Markus Söder Floskeln und Inhalte der AfD an. Sie tun alles, um ihre Macht zu erhalten. Mit dieser Art der Politik kann ich mich nicht arrangieren.
Ich war eng befreundet mit Petra Kelly , der Grünen-Gründerin, ich habe sie sehr geliebt. Wenn ich mir nun Frau Baerbock ansehe, weiß ich, dass sich Petra im Grab rumdreht. Wir hatten fantastische Politiker wie Willy Brandt von der SPD – was ist davon geblieben? Das waren Menschen mit Visionen, die haben nicht nur wegen des Machterhalts regiert.
Auch die FDP war früher mit Hildegard Hamm-Brücher oder Gerhart Baum eine interessante Partei – und jetzt haben wir Christian Lindner . Und wir müssen, wenn wir vom Faschismus sprechen, auch immer über den Kapitalismus sprechen. Die Freie Marktwirtschaft drängt die Menschen immer mehr in den Wettbewerb. Doch es macht nicht glücklicher, reich zu sein.
Was macht Sie denn glücklich?
„Die Spiritualität. Das ist seit den 70ern so, allerdings war es damals als Kerl noch ein bisschen schwieriger, sich dazu zu bekennen.
Der überwiegende Teil Ihrer Fans – also Frauen - hat es Ihnen gedankt, dass da einer zwar breitbeinig als ganzer Kerl auf der Bühne steht, aber poetische und spirituelle Balladen singt und Gedichte vorträgt.
Oh, ja, das stimmt. Spiritualität kommt aber für viele auch heute noch nur aus der Kirche, mit ihrem ganzen Machismo. Achtung! Ich kenne sehr tolle Pfarrer, aber sehr vieles ist noch immer ein Problem des Patriarchats. Wir sind noch immer besetzt vom Patriarchat.
Viele Ihrer Lieder sind zu Protestsongs für die Ewigkeit geworden. Natürlich der „Willi“ und „Sage nein“. Vor fünf Jahren hat der Dresdner Musiker Ezé Wendtoin „Sage nein“ gecovert, er geht jetzt viral. Wenn ich richtig informiert bin, schenken Sie diesen Song quasi allen Menschen, die ihn singen wollen, ob in veränderter oder alter Version.
Ja, das stimmt, ich schenke den Song nun der Gesellschaft und verdiene daran nichts. Es sind schon viele Städte auf mich zugekommen, die den Song für sich umsetzen wollen.
Ezé Wendtoin hat für sein Cover viele Künstler und Künstlerinnen eingeladen, die jeweils per Playback von Ezé einen Ihrer Sätze „singen“. Waren Sie mit Ezés Auswahl einverstanden?
Absolut! Da ist der Kolumnist und Moderator Micky Beisenherz dabei oder der Schauspieler Frederik Lau wie auch Atze Schröder, Comedian. Ich war glücklich, als ich sah, wer da mitmacht. Das kann jeder machen, der es möchte.
Es müssen nur ein paar rechtliche Formalien geklärt werden, das ist auf meiner homepage beschrieben. Wenn Textänderungen vorgenommen werden, muss ich die vorher absegnen. Nicht, dass es mir so geht wie meinem Freund Hannes Wader , dessen Lieder irgendwann von Nazis gesungen wurden.
Ihr Publikum scheint zwar mit Ihnen alt geworden zu sein, aber ich entdecke auf Mitschnitten Ihrer Konzerte auch sehr viel junge Gesichter.
Ja und das ist schön. Denn jetzt kommt die Oma mit der Enkelin.
Ihr Publikum ist meist weiblich.
Die meisten Männer standen und stehen eher auf härtere, zugespitzte Musik und nicht auf Balladen oder Poesie. Zu großem Dank verpflichtet bin ich vielen Deutschlehrerinnen.
Warum denn das?
Sie haben in ihren Klassen meine Texte durchgenommen und so quasi Interesse für mich geweckt.
Aus eigener Erfahrung kann ich sagen: Deutschlehrer haben das nicht gemacht. Dafür hat mein Deutschlehrer uns die Schrecken der Nazizeit mit Büchern und Filmen sehr nahegebracht.
Sehen Sie, das ist das, was ich meinte: Unsere Geschichte ist – zumindest in unserer Generation, wir haben da ja Schnittmengen – sehr gut aufgearbeitet worden. Deshalb entsetzt es mich so, wie sich Deutschland verändert hat.
Am 25. September 2024 stehen Sie in Bad Kissingen auf der Bühne, bis dahin hoffentlich wieder ganz genesen. Auf was dürfen sich Ihre Fans freuen?
Auf die Lieder meines Lebens, die wilden und die poetischen, natürlich auch auf meine Gedichte . Und unterstützt werde ich von der wunderbaren Fany Kammerlander am Cello und meinem Pianisten Jo Barnickel, der mich seit vielen Jahren begleitet und auch mit Till Brönner oder Udo Jürgens zusammenspielte.