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Bad Kissingen
Lesetipp: "Kein Ort ist fern genug" von Santiago Amigorena
Santiago Amigorena stellt in seinem Werk "Kein Ort ist fern genug" die Perspektive ces in Buenos Aires lebenden Vincente Rosenberg in den Mittelpunkt.
aus dem Wenigen, dass er und sein Bruder recherchieren konnten, schrieb Santiago Amigorena eine ergreifende Romanbiografie, die jeden Leser wohl tief beeindruckt und nachdenklich zurücklässt.       -  aus dem Wenigen, dass er und sein Bruder recherchieren konnten, schrieb Santiago Amigorena eine ergreifende Romanbiografie, die jeden Leser wohl tief beeindruckt und nachdenklich zurücklässt.
| aus dem Wenigen, dass er und sein Bruder recherchieren konnten, schrieb Santiago Amigorena eine ergreifende Romanbiografie, die jeden Leser wohl tief beeindruckt und nachdenklich zurücklässt.
Sigismund von Dobschütz
 |  aktualisiert: 17.08.2022 12:50 Uhr

Das Schweigen der am Holocaust direkt beteiligten oder nur indirekt davon betroffenen Generation ist den Älteren in Deutschland noch aus persönlicher Erfahrung, den Jüngeren vielleicht aus der Literatur vertraut.

Das Schweigen über das Unfassbare und Unvorstellbare als Thema des im Juli in deutscher Übersetzung erschienenen und für den Prix Goncourt nominierten französischen Romans "Kein Ort ist fern genug" des argentinischen Schriftstellers Santiago Amigorena (58) wäre insofern nichts Neues. Doch bemerkenswert und deshalb lesenswert macht diesen internationalen Bestseller, dass es sich eben nicht um eine Erinnerungen eines Holocaust-Opfers oder um eine Täter-Biografie handelt, sondern - eine völlig neue Sichtweise dieses Themas - um die Frage einer persönlichen Mitschuld des während des Nazi-Regimes längst in der fernen argentinischen Hauptstadt Buenos Aires lebenden Vicente Rosenberg, Großvater des seit Jahren in Paris lebenden Autors.

Vicente hatte bereits 1928 seine Heimatstadt Warschau verlassen und war als junger Mann nach Argentinien ausgewandert, um dort ein freies Lebens zu führen - frei von der Mutter , frei vom erstarkenden Antisemitismus in Polen. Bis 1940 führte er ein glückliches Familienleben , verheiratet mit Rosita, Vater kleiner Kinder, Inhaber eines vom Schwiegervater finanzierten Möbelgeschäfts. An seine in Warschau verbliebene Mutter Gustawa, seinen Bruder Berl und die in Russland verheiratete Schwester dachte und schrieb er kaum.

Leben verdüstert sich

Mit jedem weiteren Brief der Mutter aus dem Warschauer Ghetto verdüstert sich auch Vicentes bisher so sorgloses Leben im fernen Buenos Aires von Mal zu Mal, wachsen Schuld und das Gefühl der Ohnmacht. Denn "kein Ort ist fern genug", um nicht vom Geschehen in Europa und persönlicher Verantwortung unbehelligt bleiben zu können. Welches Grauen das Leben der Juden im Warschauer Ghetto bestimmt, ließ sich aus den Briefen der Mutter erahnen: "Wie die übrige Menschheit konnte Vicente wissen und gleichzeitig nicht wissen wollen", beschreibt der Autor diese uns vertraute Haltung.

Innere Emigration

Vicente verweigert sich anfangs diesem Wissen - aus Egoismus, aus Angst. Doch letztlich "wusste er genug, um zu beschließen, nicht mehr nur mit halbem Auge, sondern gar nicht mehr hinzuschauen". Das Wissen, er hätte seine Mutter rechtzeitig nach Argentinien holen müssen und das Bewusstsein der tiefen Schuld, als Sohn versagt zu haben, lässt ihn bald verstummen und seiner Familie fremd werden. "Jetzt war er ein Flüchtiger, ein Feigling, der nicht da war, wo er hätte sein sollen, der geflohen war und noch lebte, während die Seinen umkamen." Vicente flieht in die innere Emigration, wird ein "Gefangener im Ghetto seines Schweigens". Wann Großvater Vicente nach dem Krieg erfahren hat, dass Mutter Gustawa ins Vernichtungslager Treblinka II deportiert wurde und Bruder Berl schon beim Ghetto-Aufstand umgekommen waren, weiß der Enkel nicht. Denn auch in seiner Familie waren diese Jahre später kein Gesprächsthema.

Doch aus dem Wenigen, dass er und sein Bruder recherchieren konnten, schrieb Santiago Amigorena eine ergreifende Romanbiografie, die jeden Leser wohl tief beeindruckt und nachdenklich zurücklässt. Dem Autor gelingt es, uns an den quälenden Gedanken und der schmerzenden Verzweiflung seines schweigenden Großvaters, den er selbst kaum noch gekannt hat, lebensnah teilhaben zu lassen.

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