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Schmalkalden
Vom ehrlosen Henker zum wohlhabenden Bürger
Zum 300. Todesjahr des Henkers Jeremias Glasers hat Kai Lehmann eine faszinierende Biografie veröffentlicht. Warum das Werk eines der besten Wissenschaftsbücher des vergangenen Jahres ist.
Sigismund von Dobschütz
 |  aktualisiert: 25.03.2025 02:36 Uhr

Jeremias Glaser war kein „muskelbepackter, brutaler und sadistisch veranlagter Totmacher“, sondern ein „selbst- und standesbewusster Mann, der mitsamt seiner Familie in die gesellschaftliche Lebenswirklichkeit integriert war.“ Schon vor drei Jahren räumte der Historiker Kai Lehmann , Direktor der Museen im Kultur-Zweckverband des thüringischen Landkreises Schmalkalden-Meiningen und Leiter des Museums Schloss Wilhelmsburg , in der Ausstellung „Der Henker des Herzogs. Das Leben des Johann Jeremias Glaser (1653-1725)“ mit diesem Vorurteil auf.

Glaser lebte in Wasungen und war als Scharfrichter 45 Jahre lang im Dienst des Herzogtums Sachsen-Meiningen. Zum 300. Todesjahr Glasers veröffentlichte Lehmann nun die faszinierende Biografie „Der Henker des Herzogs. Ein ganz normales Leben um 1700“.

Der Historiker und Autor Dr. Kai Lehmann mit seinem Buch „Der Henker des Herzogs“       -  Der Historiker und Autor Dr. Kai Lehmann mit seinem Buch „Der Henker des Herzogs“
Foto: Sascha Bühner | Der Historiker und Autor Dr. Kai Lehmann mit seinem Buch „Der Henker des Herzogs“

Möglich machte dies das einzigartige „Register- oder Aufzeichenbüchlein“ des Scharfrichters. Darin ordnete er sorgfältig allen einzelnen Tätigkeiten die zugeordneten Einnahmen und Ausgaben, aber auch mit autobiografischen Tagebuchnotizen zu. „Stellen Sie sich vor, Sie heben heute jede Tankstellenquittung, jeden Supermarktbeleg und jede Gehaltsabrechnung auf und garnieren das Ganze mit autobiografischen Angaben. Historiker finden in 300 Jahren Ihre Belege und können dann Sie ebenso gläsern machen, wie wir es mit Johann Jeremias Glaser machen konnten“, vergleicht Lehmann den einzigartigen Wert des Glaserschen „Anschreibebuches“ mit heutiger Zeit. Durch dieses Dokument „erhalten Historiker einen neuen Einblick in Glasers berufliches, geschäftliches und familiäres Milieu, sein alltägliches Leben, seine Wünsche und Neigungen“, sagt Glaser.

Einzigartige Informationsquelle über das Leben um 1700

Was gab es bei Hochzeiten und Tauffeiern zu essen? Was gab der Scharfrichter bei Festen für Schmuck, Kleidung und Essen aus, was für den Unterhalt seiner Mägde und Knechte? Was nahm er an Gebühren ein für das Köpfen und Foltern, aber auch für das Heilen, das Beseitigen von Tierkadavern in seiner Abdeckerei oder das Ausräumen der Fäkalgruben?

Lehmann webt aus den scheinbar dürren Zahlen und Fakten eine spannende Sozial- und Alltagsgeschichte der Jahre um 1700. Es gelingt ihm, auf 400 Seiten das private und berufliche Leben des herzoglichen Henkers bis in Einzelheiten wieder aufleben zu lassen. In chronologischer Abfolge, aber auch thematisch geordnet in 33 Kapiteln, ergänzt durch Anmerkungen und ein Literaturverzeichnis, erhält man einen unvergleichlichen Einblick in Glasers Leben.

Der Scharfrichter brach die Schranken

„Als ich diese Quelle las, konnte ich nur noch staunend mit dem Kopf schütteln“, sagte Lehmann noch immer begeistert. „Ich konnte es nicht glauben, dass bisher niemand den immensen Wert von Glasers Aufzeichnungen erkannt hat.“ Der Schmalkaldener Historiker macht in seinem Buch vor allem eines deutlich: Der Henker schafft es trotz seines unehrenhaften Berufs als Scharfrichter, die gesetzlich geregelten Gesellschaftsschranken jener Zeit zu durchbrechen.

Während sein Beruf zugleich die Aufgaben des Abdeckers und die des städtischen Kloaken-Reinigers enthielt, gelang ihm dies durch eine andere Arbeit: mit seiner zwar verbotenen, aber von der Obrigkeit geduldeten Tätigkeit als Heiler. So wurde er – trotz seiner Zugehörigkeit zum niedersten Stand eines „Totmachers“ – in Bürgerhäuser eingeladen und schaffte es, ehrhafte Bürger zu Paten seiner Kinder zu machen.

Glaser war kein brutaler Henker, wie wir sie aus Kinofilmen kennen, sondern ein musisch begabter, liebevoller Familienvater und ein betriebswirtschaftlich sowie juristisch gebildeter Mann, der es zum wohlhabenden Unternehmer, Grundbesitzer, Landwirt und durch Kauf eines mit dem Bürgerrecht verbundenen Hofes in Wasungen sogar in den Bürgerstand schaffte.

Eines der besten Wissenschaftsbücher des Jahres 2024

„Ich wäre niemals auf die Idee gekommen, dass so etwas existiert“, nimmt der erfahrene Historiker Lehmann noch einmal Bezug auf Glasers „Register- oder Aufzeichenbüchlein“. „Zum ersten Mal konnten wir dadurch das frühneuzeitliche Leben eines Menschen, der nicht einer oberen Gesellschaftsschicht angehörte, von der Geburt bis zur Bahre in allen Einzelheiten erzählen.“

Nachdem die Ausstellung auf dem Schmalkaldener Schloss notgedrungen nur einen groben Überblick geben konnte, schaffte es Kai Lehmann nun in seiner faszinierenden und leicht lesbaren Biografie über den „Henker des Herzogs“ tiefgehend auf diese Quelle einzugehen. Es wurde als eines der besten Wissenschaftsbücher des Jahres 2024 ausgezeichnet.

Informationen zum Buch: Kai Lehmann : „Der Henker des Herzogs“, wbg Theiss im Herder Verlag , gebunden, 400 Seiten, Preis: 28 Euro, ISBN 978-3534610037

 
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