
Noch nie waren die Chancen so gut, sofort einen betrieblichen Ausbildungsplatz zu bekommen. Statistisch stehen jedem Schulabgänger im Landkreis Bad Kissingen zwei Ausbildungsstellen zur Verfügung, weshalb viele unbesetzt bleiben müssen. "Trotz aller Unwägbarkeiten wegen der Pandemie und aktueller oder noch zu erwartender Auswirkungen des Ukraine-Kriegs suchen Betriebe aus allen Branchen händeringend nach Azubis ." Dies ist das Ergebnis des Ausbildungsmarktberichts, der in dieser Woche von Thomas Schlereth , Teamleiter Berufsberatung im Bereich der Agentur für Arbeit Schweinfurt, und der im Landkreis zuständigen Berufsberaterin Sandra Dorn vorgestellt wurde.
Aktuell standen für die der Arbeitsagentur im Landkreis gemeldeten 1 059 Ausbildungsstellen nur 528 Bewerber zur Verfügung. Das ist das aus Bewerbersicht beste Verhältnis seit dem Jahr 2013. Konnten sich 2006 die Betriebe für ihre 693 Ausbildungsstellen noch unter den 1 395 Bewerbern die bestgeeigneten aussuchen, war das Verhältnis vor etwa zehn Jahren ausgeglichen und drehte sich dann ins Gegenteil zugunsten der Schulabgänger.
Da gemäß der Schulabgängerprognose des Kultusministeriums die Zahl der Schulabsolventen noch sinken, der Bedarf der Firmen aber steigen wird, "geht der Wettbewerb um die Auszubildenden weiter", heißt es im Bericht. Schon jetzt werden Azubis mit dem Geschenk eines Tablets oder einem Zuschuss zum Führerschein nach Ausbildungsantritt umworben, weiß Berufsberaterin Sandra Dorn.
Dennoch sollten sich Schulabgänger nicht auf einen Wunschberuf festlegen, empfiehlt Teamleiter Thomas Schlereth . So dominiert im Raum Schweinfurt die Industrie, während im Bäderlandkreis Bad Kissingen eher Fachkräfte im Bau oder für Kliniken und im Hotel- und Gastronomiebereich gebraucht werden. Generell stellt Schlereth fest, "dass viele junge Menschen eine Ausbildung im Bereich Informatik oder Büro anstreben, obwohl hier die Chancen auf einen Ausbildungsplatz ungleich schlechter sind als im Handel".
Die in vergangenen Jahren unternommenen Anstrengungen, mit "Girl's Days" oder "Boy's Days" das geschlechtsspezifische Verhalten bei der Berufswahl aufzubrechen, zeigten kaum Wirkung: Männliche Bewerber streben nach wie vor in die von Männern beherrschten Berufe, Bewerberinnen suchen weiterhin typische "Frauenberufe". So beginnt die Wunschliste der männlichen Schulabgänger mit dem KFZ-Mechatroniker, gefolgt vom Einzelhandelskaufmann und Gebäudetechniker, während die weibliche Wunschliste mit der medizinischen Fachangestellten beginnt und mit der Büro- sowie der Industriekauffrau fortsetzt.
Trotz bester Ausbildungsplatzsituation haben die Berufsberater der Arbeitsagentur im abgelaufenen Schuljahr bei vielen Jugendlichen eine Verunsicherung bei der Berufswahl feststellen müssen, die sich in mangelnder Entschlussfreudigkeit zeigte. Ein Grund ist der Wegfall der Praktika während der Corona-Jahre, so dass den Schulabgängern wichtige Einblicke in die praktische Berufswelt fehlten. Die Unsicherheit wirkt sich auch darin aus, dass manche Jugendliche lieber freiwillig ein weiteres Jahr in der Schule verbleiben. " Jugendliche lassen sich zu viel Zeit bei der Entscheidungsfindung", bemängelt die Berufsberaterin.
Der Trend unter Jugendlichen , eine betriebliche Ausbildung zu meiden und stattdessen nach Schulabschluss eine Fachhochschule oder eine andere weiterführende Bildungseinrichtung zu besuchen, fördert den Fachkräftemangel nicht nur im Handwerk. "Unser Kind soll es mal besser haben und studieren", ist nach Ansicht der Berufsberater die ungeeignete Einstellung bei der Berufswahl, zumal die Garantie der Arbeitsplatzsicherheit in Produktions- und Handwerksbetrieben höher sei als in akademischen Berufen. Teamleiter Thomas Schlereth wünscht sich, "dass mehr Jugendliche die betriebliche Ausbildung zu schätzen wissen", zumal man später mit einem dualen Studium noch nebenberuflich darauf aufbauen kann. "Und ich wünsche mir Eltern, die ihre Kinder darin unterstützen."