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BAD KISSINGEN
Lebensmittelstandards in Gefahr?
Keine Gefahr: Für das Regionalsiegel „Dachmarke Rhön“ (Rhönwiese) befürchtet die Arbeitsgemeinschaft Rhön keinen Wertverlust, wenn das TTIP durchgesetzt werden sollte. Denn die Produkte sind ganz speziell und absolut regional, argumentieren die Verantwortlichen.
Foto: Arge Rhön | Keine Gefahr: Für das Regionalsiegel „Dachmarke Rhön“ (Rhönwiese) befürchtet die Arbeitsgemeinschaft Rhön keinen Wertverlust, wenn das TTIP durchgesetzt werden sollte.
Peter Rauch
 |  aktualisiert: 06.01.2015 19:24 Uhr

Europa und die USA verhandeln seit Juli 2013 in geheimer Mission über das Transatlantische Freihandelsabkommen (TTIP), das viele Vorteile zeitigen soll, wie neue Arbeitsplätze und mehr wirtschaftliches Wachstum. Was nicht klar gesagt wird: Der neue Pakt hat erhebliche Auswirkungen auf Kommunen und Verbraucher. Ist da alles Gold, was glänzt? Wir fragten bei Kommunalpolitikern nach.

„Wir müssen uns auf jeden Fall wehren“, sagt Oberthulbas Bürgermeister Gotthard Schlereth (Freie Wähler). Er sieht die kommunale Selbstverwaltung in Sachen Daseinsvorsorge bedroht. Denn mit TTIP könnte es soweit kommen, dass bislang typische kommunale Dienstleistungen wie die Trinkwasserversorgung oder der Öffentliche Personennahverkehr im Rahmen eines verordneten „Marktzugangs“ privatisiert werden, weil die Leistungen öffentlich ausgeschrieben werden müssen. Rein theoretisch kann dann auch ein Anbieter aus dem Ausland die Wasserversorgung übernehmen, spinnt Schlereth den Faden weiter.

Auch Burkardroths Bürgermeister Waldemar Bug (ÖDP) lehnt es ab, dass Kommunen so etwas wie den Friedhofsbetrieb öffentlich ausschreiben sollen. „Wenn die Kommune das selbst anbietet, will sie keine Gewinne erzielen“, sagt Bug. Sie sorgt im Gegenteil dafür, dass die Abgaben für die Bürger möglichst niedrig ausfallen.

„Die Sorgen sind berechtigt“, sagt Landrat Thomas Bold (CSU). „Bislang haben wir die Entscheidungshoheit darüber, ob wir beispielsweise die Müllabfuhr selbst machen oder ausschreiben.“ Wenn die Abfallwirtschaft dem Wettbewerb unterliegt, kann man nicht mehr mitbestimmen, werden die Müllgebühren vielleicht auch steigen, sagt Bold.

„Wer lässt sich denn dann bei der Kommunalwahl noch aufstellen?“
Monika Horcher Stellvertretende Landrätin

Die kommunalen Spitzenverbände entwarfen im Oktober 2014 zusammen ein Positionspapier zu TTIP, in dem sie fordern, den Bereich der Daseinsvorsorge aus den Verhandlungen auszunehmen. Auch der Bad Kissinger Kreistag hat sich dieser Resolution unlängst angeschlossen.

Aber es gibt auch noch andere Themen, die die Kommunalpolitiker umtreiben. Wenn die Kennzeichnungspflicht für Lebensmittel im Rahmen von TTIP künftig gelockert wird, liegen im Supermarkt um die Ecke dann vielleicht neben den Biohühnchen aus der Rhön die mit Chlor desinfizierten Hühnchen aus den USA – allerdings ohne dass man das Chlor auf der Verpackung vermerkt findet, überlegt Bürgermeister Schlereth.

Und was ist, wenn sich eine ausländische Firma hier ansiedelt und ihren Beschäftigten keinen deutschen Tariflohn zahlen will, fragt sich Schlereth. Denn die Gewerkschaften befürchten, dass man sich in der TTIP-Kommission auf den wirtschaftsfreundlichsten Lohnstandard aller Einzelstaaten einigt. Bürgermeister Bug hat noch ein Beispiel: Sollten solche ausländischen Unternehmen gezwungen werden, Mindestlöhne zu zahlen, könnten sie vor einem Schiedsgericht klagen und Gewinnverluste geltend machen.

Die im TTIP angestrebte „Investitionsschutzklage“ macht's zudem möglich, dass eine Firma gegen die Kommune oder den Kreis auf Schadenersatz klagen kann, weil diese zum Beispiel beim Bau eines Windrads teure Umweltschutz-Auflagen einfordert. Für die stellvertretende Landrätin Monika Horcher (Die Grünen/BfU) ist das ein Unding. „Wenn eine US-amerikanische Firma mich als Lokalpolitikerin regresspflichtig macht, vergeht mir der Spaß an der Politik“, sagt sie. „Wer lässt sich denn dann bei der Kommunalwahl noch aufstellen?“ Für Horcher wäre das ein „Schlag gegen die Demokratie“.

Auch Kreischef Bold ist der Ansicht, dass bestehende Lebensmittelstandards „nicht ausgehebelt werden und Kommunen nicht zum Spielball von Investoren werden dürfen. Die Bundesländer haben in dieser Sache jedoch kein Mitspracherecht. Nach Bolds Ansicht kann man über die Spitzenverbände Einfluss nehmen. Die Bundesregierung hat zwar ein Entscheidungsrecht. Aber sie kann das Abkommen lediglich ablehnen oder annehmen.

„Wir diskutieren momentan nur die Risiken, aber TTIP hat auch Chancen“, sagt CSU-Landtagsabgeordneter Sandro Kirchner (CSU, Premich). Dennoch müsse man in Bezug auf kommunale Belange „sensibel“ sein. Momentan werde bereits enormer politischer Druck auf EU und USA ausgeübt, damit die Themen dieser geheimen Verhandlungen transparent gemacht werden, weiß Kirchner.

„Nein, verhandeln können wir nicht“, sagt auch SPD-Bundestagsabgeordnete Sabine Dittmar (Maßbach). Der Vertragsentwurf wird aber mit dem Ministerrat abgestimmt. Dass die Angelegenheit unter Ausschluss der Öffentlichkeit verhandelt wird, ist Dittmar „suspekt“, denn sie hält eine öffentliche Debatte für wichtig. Für ihre Partei gibt es, was den Verbraucherschutz angeht, eine „rote Linie“: Unter den bestehenden Standards „geht gar nichts“.

Wenn Deutschland im Wettbewerb der Nationen mithalten will, könne man nicht mehr „jede Wurst und jeden Käse“ mit einem regionalen Siegel versehen, sagte jetzt Bundesagrarminister Christian Schmidt einem Nachrichtenmagazin. Könnte dann vielleicht auch die „Dachmarke Rhön“ dem TTIP zum Opfer fallen? Heiko Kümmel, Geschäftsführer der Arge Rhön (Meiningen) sieht das gelassen. „Alles, was mit der Dachmarke Rhön ausgezeichnet ist, hat eine hohe Qualität und kommt garantiert aus der Rhön.“ Ein eigenes Marketing, feste Kunden und 300 Produzenten, die treu „bei der Stange bleiben“, sind nach Kümmels Meinung Sicherheit genug für ein Fortbestehen des Rhön-Siegels.

Transatlantisches Freihandelsabkommen

Hoffnungen: Internationale Produkte in allen Geschäften, allgemeine Belebung des Wirtschaftswachstums, mehr Arbeitsplätze, höheres Durchschnittseinkommen der Arbeitnehmer, Abbau von Zöllen, Gleichbehandlung bei öffentlichen Aufträgen, Angleichung von Gesundheitsstandards und Lebensmittelgesetzen, Rücknahme von Kontrollen und einschränkenden Regeln für den Finanzsektor, Ausbau der wirtschaftlichen Vormacht von EU und USA gegenüber Asien, freier Marktzugang für alle Unternehmen, Anbieter aus dem Ausland können hier auch private Universitäten eröffnen.

Befürchtungen: Kein Verhandlungsrecht der Mitgliedsstaaten, also keine demokratische Kontrolle, Untergraben von Umwelt- Datenschutz- und Gesundheitsstandards, Aufweichen von Arbeitnehmerrechten, Abschaffung der Kennzeichnungspflicht für Lebensmittel (Beispiel Gentechnik, Hormone), Angleichung der regionalen Schutzsiegel für Lebensmittel, gigantische Entschädigungsklagen wegen des Investorenschutzes, Verlust von Arbeitsplätzen und Einbußen beim Einkommen, Fracking könnte auch in Europa greifen, gefährliche Stoffe könnten wieder vermehrt zugelassen werden.

 
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