Wenn andere ihre Füße schon in dicke Socken und warme Schuhe stecken, ist Judith Michel oft noch barfüßig unterwegs. Seit rund drei Jahren ist sie bekennende Barfußläuferin und trägt wirklich nur in den kältesten Monaten des Jahres Schuhe und dann auch nur ganz leichte, sogenannte Barfußschuhe. An irritierte, verwunderte, abfällige, belustigte oder neugierige Blicke hat sich Judith Michel längst gewöhnt. Sie ist schuh- und strumpflos unterwegs, egal ob im Haus, Garten, beim Spaziergang, beim Einkaufen, Autofahren oder Arztbesuch. Die Reaktionen vieler Mitmenschen waren es wohl, weshalb sich ihre Füße anfangs leichter an das schuhlose Leben gewöhnt hätten als der Kopf, erzählt sie. Judith Michel weiß aus Erfahrung, dass Barfußläufer und -läuferinnen ein gutes Selbstbewusstsein entwickeln müssen, wenn sie sich zu diesem Schritt entschließen. Denn geguckt wird immer.
Judith Michel hatte das notwendige Selbstbewusstsein. Die Münnerstädterin hat zudem den Eindruck, dass sich die Menschen in ihrem Heimatort an ihren schuhlosen Anblick gewöhnt haben. Sie stößt kaum mehr auf Widerstände. Heute seien es eher lockere Sprüche, die sie gelegentlich hört. Die stören Judith Michel kein bisschen. Sie kann barfuß zum Arzt oder in die Geschäfte. Ihr Arbeitgeber sei sehr offen und erlaubt es ihr, so zur Arbeit zu kommen. Auch ihre Kinder seien sehr tolerant, was ihr Barfußlaufen angeht, meint Judith Michel.
Eigentlich sei sie schon immer gerne zuhause mit bloßen Füßen gelaufen, erzählt Judith Michel. Im Sommer war sie früher eine klassische Flip-Flop-Trägerin. Wohl deshalb sei der Schritt zur Barfüßigkeit wohl gar nicht so groß gewesen, meint sie. Heute, erklärt die Münnerstädterin, sei ihr Rücken besser. Die Knieprobleme sind weg. Sie hat den Eindruck, ihre Haltung habe sich deutlich verbessert. Ihr Gang hat sich verändert. Wer barfuß läuft, macht kleinere Schritte. Die ersten Ansätze eines Hallux (Großzehenballen) sind verschwunden. Sie fühlt sich ohne Schuhe einfach wohler.
Barfußlaufen hat für die Erzieherin auch etwas mit Achtsamkeit zu tun. Seitdem sie ohne Schuhe unterwegs ist, achte sie mehr auf ihre Umgebung, vor allem auf den Boden vor und unter ihren Füßen. Denn es ist natürlich sinnvoll genauer hinzuschauen, wo man hintritt. In den vergangenen drei Jahren sei sie kein einziges Mal in eine Glasscherbe getreten, erzählt sie. Nur einmal hatte sie Rosendornen im Fuß. Aber das sei kein Problem gewesen. Eine Hornhaut und ein Fußpolster haben sich entwickelt. Beide schützen. Da konnte man die Dornen einfach herausziehen.
Insgesamt widme sie ihren Füßen mehr Aufmerksamkeit. "Ich sehe sie ja immerzu", lacht Judith Michel. Die tägliche Pflege mit Cremes ist selbstverständlich. Die bunt lackierten Zehnägel sind ein modisches Statement. Mittlerweile zieren Bändchen ihre Knöchel. Neulich hat sie ein Fußband mit Glöckchen erhalten. Noch hat sie es nicht getragen.
Es gibt eigentlich nur zwei Situationen, in denen Judith Michel nicht ohne Schuhe auskommt: In den kalten Wintermonaten im Freien oder an extrem heißen Tagen, wenn sie über Asphalt laufen muss. Einmal hat sie sich an einem Sommertag sogar zwei Brandblasen an den Füßen geholt. Seitdem hat sie - geht sie an Hitzetagen auf glühendem Asphalt - ein paar Flip-Flops in der Tasche. Im Winter überbrückt sie die kältesten Tage mit leichten Barfußschuhen. Als sie heuer bei Schnee mit den Kindern ihrer Gruppe öfters zum Schlittenfahren ging, zog sie notgedrungen einmal wieder ihre alten Winterstiefel an. Das Ergebnis: Sofort meldete sich ein altes Knieproblem zurück. Sobald sie wieder auf Schuhe verzichtete, waren auch die Beschwerden weg.
Unangenehme Kommentare, die sie ganz gelegentlich mehr oder minder laut hört, prallen zwischenzeitlich an ihr ab. Immer noch verwundert ist sie, dass ihr eine Ärztin einmal erklärte, sie werde sich viele Krankheiten durch das Barfußlaufen holen. Welche das sein könnten, hat sie nicht erfahren. Mehr krank sei sie auf jeden Fall nicht. Doch es gab auch amüsante Begebenheiten. Einmal, so erinnert sie sich, wollte ihr ein Mann spontan seine neue Adidas-Treter schenken, als er bemerkte, dass sie ohne Schuhe unterwegs war. Da er kein Deutsch sprach, habe es einige Zeit gedauert ihm zu erklären, weshalb sie sein Geschenk nicht benötige, erzählt Judith Michel.
Wenn die Münnerstädterin in Großstädten unterwegs ist, hält sie oft Ausschau nach Gleichgesinnten. Aber diese seien immer noch rar, sagt sie. Barfußläufer sind hierzulande weiterhin Exoten. Aber es gibt sie, und im Internet tauschen sie sich in einer Barfuß-Community aus. Der hat sich Judith Michel angeschlossen. Dort gebe es einen regen Austausch über attraktive Wege, über Probleme und alles, was sich so ohne Schuhe tun lässt.
Das sagt ein Orthopäde
"Wer seinen Füßen etwas Gutes tun will, sollte gelegentlich barfüßig gehen", sagt Dr. Dirk Keßler, Chefarzt der Orthopädie in der Klinik Bavaria . Unsere Füße seien von Natur aus zuverlässig sehr gut dafür geeignet, barfuß zugehen.Die Füße würden es danken, wenn man gelegentlich über eine Wiese oder durch taufeuchtes Gras ohne Schuhe läuft.
Skeptisch ist Dr. Keßler dagegen, was das dauernde Barfußgehen (ohne Barfußschuhe) angeht. Er hält Schuhe im Alltag für wichtig wegen der Verletzungsgefahr und aus hygienischen Gründen. Vor allem Diabetiker müssten vorsichtig sein. Deren Empfindungssensibilität könne durch die Krankheit geschädigt sein. Dadurch bestehe die Gefahr , sich schwer heilende Verletzungen zuzuziehen.