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Bad Kissingen
Krise ist, was man selbst daraus macht
Lastwagen, die Särge abtransportieren, tausende Covid-19-Tote - die Bilder in den Nachrichten aus Italien sind erschreckend. Franco Tortorella lebt in Bad Kissingens Partnerstadt Massa und hat uns erzählt, wie es ihnen im Alltag geht mit der verschärften Ausgangssperre.
Jeden Abend sitzt Lucilla Tortorella mit ihrem Mann vor dem Fernseher, wenn Massas Bürgermeister Francesco Persiani die neuesten Zahlen der Corona-Opfer verkündet und den Bürgern Mut macht. Foto: Franco Tortorella       -  Jeden Abend sitzt Lucilla Tortorella mit ihrem Mann vor dem Fernseher, wenn Massas Bürgermeister Francesco Persiani die neuesten Zahlen der Corona-Opfer verkündet und den Bürgern Mut macht. Foto: Franco Tortorella
| Jeden Abend sitzt Lucilla Tortorella mit ihrem Mann vor dem Fernseher, wenn Massas Bürgermeister Francesco Persiani die neuesten Zahlen der Corona-Opfer verkündet und den Bürgern Mut macht. Foto: Franco Tortorella
Kerstin Väth
 |  aktualisiert: 17.08.2022 19:05 Uhr

Jeden Abend um 20 Uhr sitzen Franco Tortorella und seine Frau vor dem Fernseher. Dann spricht Francesco Persiani, Bürgermeister von Massa, auf dem Lokalsender zum Volk. "Er gibt jeden Abend die neuesten Zahlen der Toten und Corona-Infizierten bekannt, macht uns Mut durchzuhalten und mahnt uns zu Hause zu bleiben, denn nur so kann man dieser verrückten Spirale entkommen", sagt Tortorella.

Am Samstagabend waren es acht Tote in Massa, 41 im Landkreis Massa-Carrara. Die meisten sind in Massa gestorben, wo es seit fünf Jahren ein neues Krankenhaus für Akutfälle gibt. Wer in der Nähe wohnt, hört ständig das Martinshorn, weiß Tortorella von Freunden.

In der Toskana habe Massa-Carrara die höchste Infiziertenquote, elf Prozent der Corona-Infizierten (Anm. d. Red. am Samstagabend waren es 3817 Infizierte in der Toskana) sterben hier, berichtet Tortorella. "Wir haben in Italien schon über 10 000 Tote, es ist ein Krieg", sagt er. Auch 40 Ärzte , "die wir als unsere Schutzengel ansehen", seien in nur vier Wochen schon gestorben. "In so kurzer Zeit, das ist sehr hart zu verkraften", so der Italiener.

Das Problem sei, dass Italien so viele ältere Menschen habe. Auch seine Schwiegermutter (91) hatte letzte Woche hohes Fieber. Aber die Ärzte kommen nicht nach Hause. Sie sagen, das wird schon wieder - "oder aber sie stirbt", schiebt er hinterher. Sie hat es überstanden. Franco Tortorella ist froh: "Jeder muss irgendwann sterben, aber man möchte seine Angehörigen nicht durch so einen Virus verlieren."

Franco Tortorella ist 74 Jahre alt und gehört damit selbst zur Risikogruppe. "Wir haben Angst, wenn wir rausgehen, aber wir müssen ja einkaufen oder den Müll raustragen", gesteht er. Immerhin die Müllabfuhr funktioniert. In Italien gilt seit einer Woche die absolute Ausgangssperre. Keiner darf ohne Grund raus. "Man muss ein Formular vom Innenministerium aus dem Internet ausdrucken und jeden Schritt belegen, sonst gibt es Strafen bis 3000 Euro", erzählt Tortorella.

Spazierengehen mit dem Hund ist nur bis maximal 200 Meter von der Wohnung entfernt erlaubt. "Es darf nur einer zum Einkaufen und auch nur zum nächstgelegenen Supermarkt, also gehe ich, weil meine Frau das schwere Wasser und die Einkäufe nicht tragen kann", erzählt der Italiener. Im Auto trägt er nur Handschuhe, aber vor dem Aussteigen zieht er einen Mundschutz an. Weil auch hier wie in Deutschland 1,5 Meter Abstand zum anderen Kunden gilt, bilden sich Schlangen.

Die Deutschen und ihr Klopapier

Es fehlen aber lediglich Schutzmasken. Gerade heute habe er welche bekommen, freut sich der Italiener. Man habe in Massa eine Firma gefunden, die Schutzmasken näht und für 2,25 Euro pro Stück verkauft. Das sei billig. Letztes Mal habe er in einer Apotheke welche gekauft, pro Stück zwölf Euro.

Nach Hamsterkäufen und leeren Regalen befragt, muss Franco Tortorella lachen: "Die Deutschen sind auch bei uns schon berühmt für ihr Klopapier". Lagerkoller hat er keinen. "Es macht mir nichts aus daheim zu bleiben, es ist ja für unsere Gesundheit", sagt der Pensionär. Außerdem habe er das Glück, einen Mini-Garten zu haben und er fährt oft auf dem Hometrainer Fahrrad, weil es draußen nicht geht.

Schwieriger sei die Situation bei seinem Sohn, der mit Frau und zwei Kindern in Mailand in einer 45 Quadratmeter kleinen Wohnung lebt. Weil er am Flughafen arbeitet und der geschlossen wurde, ist er daheim und passt auf die vier und sieben Jahre alten Kinder auf. Seine Frau arbeitet von zu Hause aus, meist auf dem Balkon, wenn es das Wetter zulässt. "Sie sind seit über zwei Wochen daheim, dürfen nicht raus und haben auch keinen Garten", beschreibt der 74-Jährige die Situation.

Scheidung oder Babys?

Schulen und Kindertagesstätten sind zunächst bis Ostermontag geschlossen, der gesundheitliche Notzustand dauert bis 31. Juli, damit "der Ministerpräsident kurzfristig auf Verbesserungen oder Verschlechterungen reagieren kann". Er könne schon verstehen, wenn nach der Coronakrise viele Ehen auseinandergingen. Aber vielleicht gibt es in ein paar Monaten ja auch einfach nur mehr Babys. Dann hätte die Corona-Pandemie auch etwas Gutes gehabt. Es gibt keinen amtlichen Termin, wann sie wieder rausdürfen, sagt der Italiener. Aber er wäre froh, wenn Ende Mai die Krise besser würde und er sich dann wieder einmal mit der Familie seines Sohnes treffen und gemeinsam spazieren gehen könnte. Dass große Zusammentreffen wie Fußballspiele noch lange nicht möglich sein werden, davon geht er aus.

Eigentlich wollte Franco Tortorella, der die Bürgermedaille der Stadt Bad Kissingen hat und regelmäßig kommt, zum Rakoczy-Fest herfahren. Wenn das nicht klappt, dann im September zur 60-Jahr-Feier. Momentan ist der Pensionär, der als Reiseleiter arbeitet, aber erst einmal damit beschäftigt, bei den Stornierungen der zwei geplanten Fahrten für Mai zu vermitteln.

 
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