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Kothen
Abgesiedelt: Damals war es ein Schock
Am 22. Juli 2023 findet wieder ein Werberger-Treffen im Truppenübungsplatz Wildflecken statt. Zwei Geschwister aus Kothen erinnern sich an damals.
Viele schöne Erinnerungen haben die Geschwister Cornelia Sturm und Richard Haydu aus ihrer Heimat Werberg. Das Klavier und das Gemälde von ihrem Onkel sind zwei Andenken, die sie heute noch in Ehren halten können.       -  Viele schöne Erinnerungen haben die Geschwister Cornelia Sturm und Richard Haydu aus ihrer Heimat Werberg. Das Klavier und das Gemälde von ihrem Onkel sind zwei Andenken, die sie heute noch in Ehren halten können.
Foto: Stephanie Elm | Viele schöne Erinnerungen haben die Geschwister Cornelia Sturm und Richard Haydu aus ihrer Heimat Werberg. Das Klavier und das Gemälde von ihrem Onkel sind zwei Andenken, die sie heute noch in Ehren halten können.
Stephanie Elm
 |  aktualisiert: 22.08.2024 16:45 Uhr

Werberg gibt es heute nicht mehr. Zumindest die Häuser, das Schwesternhaus, die Kirche – alles wurde 1973 dem Erdboden gleichgemacht.

Doch vergessen ist nichts davon, jede gepflückte Sauerkirsche, jede Schlittenfahrt den „Weißen Weg“ runter, jede gesammelte Patronenhülse, die von Schießübungen der Amerikaner liegengeblieben war, hat sich fest in das Gedächtnis von Cornelia Sturm und ihrem Bruder Richard Haydu verankert.

Beschluss von 1960: der Ort muss weichen

Die beiden Geschwister waren noch in Werberg geboren und verbrachten dort nur wenige, aber intensive Jahre. 1960 war endgültig beschlossen worden, dass Werberg der Erweiterung des Truppenübungsplatzes Wildflecken weichen musste, 1966 zog der letzte Bewohner aus Werberg weg.

Familie Haydu hatte schon 1963 Werberg verlassen und die Chance, in Kothen den alten Gasthof von Franz Kraus zu übernehmen, ergriffen. Dennoch: leicht ist es ihnen nicht gefallen. Cornelia und Richard haben am Küchentisch die elterlichen Diskussionen um die erzwungene Räumung mitbekommen: „Für uns war es wie ein Schock“, erzählt Richard Haydu.

Immerhin können sie heute noch zwei Erinnerungsstücke in Ehren halten: das Klavier, das der Vater Oskar einst „mit Butter und Gänsen abbezahlt hat“, erzählt Cornelia Sturm, und das Gemälde von Onkel Peter, das den Blick aus dem Küchenfenster des Bauernhauses der Haydus zeigt.

Diese Freiheit

Was den beiden Geschwistern als Erstes zu Werberg einfällt, ist: „Diese Freiheit“. Zwar war das Dorf fast komplett vom Truppenübungsplatz eingekesselt, dennoch erschien ihnen Werberg wie ein Paradies. Zu jeder Jahreszeit konnten sie sich zwischen Kirsch- und Apfelbäumen, Haselnusssträuchern und Weidewiesen austoben und auch in alten Bunkern haben sie gespielt.

Doch auch die Kinder mussten bei der landwirtschaftlichen Arbeit mit anpacken, hart hatten sich die Bauern in Werberg ihren Lebensunterhalt verdienen müssen. Hier erfuhren auch die Kinder das Gemeinschaftsgefühl, von dem jeder ehemalige Werberger in höchsten Tönen spricht.

„Alle und keiner waren fremd, wir gehörten zusammen“, bringt es Haydu auf den Punkt: Denn ab 1946 wurde Werberg, das erst acht Jahre zuvor schon vollständig abgesiedelt worden war, mit Heimatvertriebenen aus den Ostgebieten neu besiedelt. Keiner kannte sich, aber sie alle einte eine ähnliche Vergangenheit, nämlich die Vertreibung aus ihren Heimatländern.

Vor 60 Jahren weg aus Werberg

Nach der zweiten Absiedlung zerstreute sich die Werberger Dorfgemeinschaft über ganz Deutschland, sogar bis in die USA, doch Cornelia und Richard „haben bis heute viele Kontakte gehalten“.

Heuer sind es 60 Jahre, als die Geschwister mit ihren Eltern aus Werberg wegzogen – ein sehr persönliches Jubiläum, das zu feiern eigentlich niemandem zumute ist. Dennoch möchten Cornelia und Richard die Familienmitglieder bei sich versammeln und in Erinnerungen schwelgen, wie es die „Interessengemeinschaft ehemaliger Werberger“ anfangs im Saal ihrer Wirtschaft getan hatte.

Konstituierendes Treffen vor 50 Jahren

Auch die Interessengemeinschaft feiert heuer Jubiläum. Vor 50 Jahren fand das erste konstituierende Werberger-Treffen statt, damals im Volkerser Berghof von Arno Feiste.

Im Herbst 1973 hatte Ernst Zimmermann, Begründer der Interessengemeinschaft, Bohrlöcher in den schon verfallenen ehemaligen Wohnhäusern festgestellt. Die Sprengung aller Gebäude inklusive der Kirche erfolgte im Spätherbst durch die Bundeswehr und die U.S. Army.

Versprechen nicht gehalten

Das Versprechen von Landrat Richard Hänlein, dass die Werberger Gebäude der Nachwelt erhalten bleiben sollten – waren doch erst in den 50er und 60er Jahren umfangreiche Renovierungsarbeiten an den Häusern und der Kirche erfolgt -, entpuppte sich laut Zimmermann in seinen Erinnerungen in „Alte Heimat Werberg“ als „Worthülsen“. Seine Aufzeichnungen spiegeln die Emotionen von Sturm und Haydu wider: „Für viele war es so, als hätte man ihnen erneut die Heimat genommen“.

In den Anfangsjahren erfuhren die Werberger-Treffen einen großen Zulauf. 1974 fand das erste Werberger-Treffen „auf dem oberen Dorfplatz, neben den Trümmern der gesprengten Kirche“ statt, heißt es in der Chronik „Werberg – was bleibt, ist die Erinnerung“ von Heimatforscher Matthias Elm. Er stellt fest, dass auch heuer, nach dreijähriger Pause, das Interesse an Werberg ungebrochen ist.

Führung durch ehemaliges Werberger Dorfareal

Elm ist seit März dieses Jahres mit der Kommandantur des Truppenübungsplatzes Wildflecken in Kontakt und hat seitdem viele Vorbereitungen getroffen. Er wird wieder eine Führung durch das ehemalige Dorfareal „auf Wegen, die bisher nicht zugänglich waren“, anbieten.

Zeitplan des Werberger-Treffens

Das Werberger-Treffen findet am 22. Juli 2023, auf dem ehemaligen Dorfareal im Truppenübungsplatz statt. Der Zugang erfolgt über die Rothenrainer Straße gegenüber der Autobahnausfahrt Bad Brückenau/Volkers aus Würzburg kommend. Die Schranke ist von 10 Uhr bis 16 Uhr geöffnet. Führungen sind um 11 Uhr geplant. Begrüßung, Ansprachen und Andacht finden am Friedhof um 13.30 Uhr statt.

In der Werberger-Stube in Kothen werden ab 15 Uhr alte Filme aus und über Werberg gezeigt. Für Verpflegung ist gesorgt.

Die Bundeswehr weist darauf hin, unbedingt auf den Wegen zu bleiben. Das Betreten des Truppenübungsplatzes erfolgt auf eigene Gefahr, weder Bund noch Veranstalter übernehmen jegliche Haftung.

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